Zum Leserbrief „Provokation der Nato in den Blick nehmen“ vom 25. Februar wird uns diese Meinung geschrieben:
Sehr geehrte Frau Müller, ich gebe Ihnen in vielem Recht, aber Ihre Aussage, die Nato sei der Provokateur, muss man zurückweisen. Ich bin weder von den Aussagen von Selenskyj und schon gar nicht von Putin begeistert, überhaupt nicht. Und was unsere Politiker von sich geben, ist manches Mal zum Haare ausreissen. Ich sehe aber nicht, dass die Ukraine Propaganda oder unsere Medien und unsere Politiker uns einer Gehirnwäsche unterziehen wollen. Wenn Sie dieser Meinung sind, dann gebe ich Ihnen den Rat, Zeitungen und Fernseher abzumelden.
Mich würde auch sehr interessieren, woher Sie die Ihrer Meinung nach wahren Hintergründe der Krim-Annektierung haben? Fakt ist, die Russen – mit ihnen meine ich Putin und seine Schergen – sind die wahren Provokateure. Schon im Krimkrieg 1854 bis 1856 waren England und Frankreich Verbündete, um die Expansionsbestrebungen von Zar Nikolaus I. einzudämmen.
Putin beruft sich nicht zum ersten Mal darauf, Russland in seiner „alten Größe“ zurückholen zu wollen. Schon in früheren Kriegen gegen das Osmanische Reich hatte Russland die Halbinsel Krim an sich gerissen. Seit 1853 versuchten die Russen, die Schwächen des Osmanischen Reichs für einen Zuwachs ihrer Macht zu nutzen und sich freien Zugang zu den Weltmeeren zu sichern.
Putin – und mit ihm seine Altvorderen – hatten es nach der Wiedervereinigung Deutschlands bis heute nicht verkraftet, dass die Sowjetunion nach und nach zerfiel. Am 1. Dezember 1991 entschieden sich die Ukrainer in einem Referendum mit 90,3 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Und auch auf der Krim stimmten über die Hälfte der Bewohner dafür. Bereits am 2. Dezember erfolgte die Anerkennung der Ukraine durch Russland, Polen und Kanada. Das hat Putin scheinbar vergessen – aber scheinbar auch mancher Zeitungsleser.
Im Juli 1993 folgte eine Grundsatzerklärung der ukrainischen Regierung, dass sie offiziell auf Atomwaffen verzichtet. Die Ukraine wolle atomwaffenfrei sein. Nachdem Mitte Juli 1993 die auf ukrainischem Territorium stationierten Interkontinentalraketen (SS19) abgebaut waren, forderte die Ukraine Sicherheitsgarantien für ihr Land und finanzielle Unterstützung. Diese Unterstützung, liebe Frau Müller, wird und wurde bis heute von den USA, aber auch von den europäischen Staaten, gezahlt. Und meiner Meinung nach war dies auch eine bessere Unterstützung als ins Wettrüsten zu investieren, oder die Gefahr eines Atomkrieges mitten in Europa zu riskieren. Immerhin war die Ukraine zur damaligen Zeit die drittgrößte Atommacht weltweit. Ich glaube nicht, dass die Ukraine sich heutzutage noch mal so entscheiden würde.
Bleiben wir bei der angeblichen Provokation der Nato gegenüber Russland und Putin. Die sehe ich nämlich nicht. Einzig und allein hat Russland in den vergangenen Jahren gemordet und vergewaltigt. Russland ist auch gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht zimperlich. Beispiele der letzten 30 Jahre gibt es genug.
Von 1991 bis 1999 hat Russland neun Kriege geführt oder unterstützt. Darunter 1992 bis 1997 den Bürgerkrieg in Tadschikistan. 1994 bis 1996 den ersten und 1999 bis 2009 zweiten Tschetschenien-Krieg. Die Liste lässt sich fortsetzen bis in die jüngere Vergangenheit. Dort sind auf allen Seiten unschuldige Menschen gestorben. Ob das russische oder andere Soldaten und Zivilisten waren, spielt keine Rolle. Putin setzt mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel seine Macht ein. Er lässt Pazifisten niederknüppeln oder einsperren. Selbst vor Auftragsmorden schreckt er nicht zurück.
Vergessen ist bei Putin und scheinbar auch bei Ihnen die Unterstützung Syriens, der Regierung, die selbst vor Giftgas nicht haltmachte. Hier wurden Kinder, Alte, Kranke niedergemetzelt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Putin nach dem Fall der Ukraine weitere abtrünnige Staaten der ehemaligen Sowjetunion angreifen würde. Zählen Sie eins und eins zusammen und dann wissen Sie vielleicht, was ich meine.
Auch ich finde nicht gut, dass die Nato, entgegen der ursprünglichen Vereinbarungen bei der Wiedervereinigung Deutschlands, sich doch Richtung Russland ausbreitete. Und leider haben all unsere vorherigen Regierungen nach dem Jahr 1991 verschlafen, die Bundeswehr zu modernisieren beziehungsweise haben sie sogar die Wehrpflicht abgeschafft.
Wie ich bereits schrieb. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was Selenskyj fordert oder wünscht. Aber mehr solcher charismatischen Politiker bräuchten wir meiner Meinung nach in Deutschland.
Jakob Burkhardt, Ketsch