Eppelheim. Für den Aufstieg der Nationalsozialisten in den 1920ern bis Anfang der 1930er-Jahre gibt es viele Gründe. Die massive Wirtschaftskrise, die ideologische Spaltung der Gesellschaft, das charismatische Talent Hitlers, der diese Spaltung geradezu gekonnt bespielte, die Wut auf Juden, die Unzufriedenheit mit dem Parlament, die Sehnsucht nach einem Führer oder auch die mangelnde Ernsthaftigkeit der etablierten Kräfte gegenüber den Nationalsozialisten.
Es gibt wahrlich viele Faktoren, die den Nationalsozialisten auf dem Weg an die Macht in die Hände spielten. Doch ein Punkt wurde lange unterschätzt und gerät erst in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus. Für den Historiker Professor Gerd Krumeich ist die unbewältigte Niederlage im Ersten Weltkrieg ein zentrales Instrument, mit dem Hitler die Massen begeisterte und entfesselte.
Ja, so Krumeich, die Niederlage im Erste Weltkrieg und die aus Hitlers Sicht demütigenden Friedensverhandlungen in Versailles waren für die Nationalsozialisten das Vehikel, mit dem sie an die Macht gelangten. Natürlich seien in der Weimarer Republik viele Fehler gemacht worden. Man denke nur an die Sparpolitik der Regierung Heinrich Brüning, die die verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Deutschland noch verschlimmerte.
Vortrag in Eppelheim blickt zunächst auf Ersten Weltkrieg
Doch ohne den Blick zurück auf den Ersten Weltkrieg und seine direkten Folgen bliebe die Erzählung des nationalsozialistischen Aufstiegs und der Niedergang der Weimarer Republik unvollständig. Die Erfolge Hitlers können nur verstanden werden, wenn man die zentrale Bedeutung des Ersten Weltkriegs im ideologischen Gerüst der Nationalsozialisten berücksichtigt.
Worte, die bei der großen Zuhörerschaft, unter ihnen auch Bürgermeister Matthias Kutsch, im Franziskushof sichtlich Eindruck machten. Krumeich war auf Einladung der Inhaberin des Eppelheimer Buchladens, Dr. Christine Beil, mit seinem neuen Buch „Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann“ hier. Für sie selbst eine kleine Zeitreise. Denn als Historikerin hat sie mit Krumeich zusammengearbeitet und die Anfänge seiner Forschung rund um das unterschätzte Gewicht des Ersten-Weltkrieg-Narratives für die Nationalsozialisten begleitet.
Und man könnte zur Überzeugung kommen, dass es für die Beiden eine gute Zeit gewesen sein muss. Die Lust, mit der Krumeich vermeintliche Wissensbestände gegen den Strich bürstete und sich ins Verstehen-Wollen verbeißt, war immer noch zu spüren.
60 Zuhörer beim Vortrag zum Aufstieg der Nationalsozialisten in Eppelheim
Und so gelang es ihm geradezu mühelos, seine rund 60 Zuhörern auf eine Reise in die Weimarer Republik mitzunehmen, die stets im Schatten des Ersten Weltkrieges agierte und gerade im Umgang mit dessen Folgen schicksalhafte Fehler beging.
Dazu muss man wissen, dass in diesem Krieg auf deutscher Seite zwei Millionen Soldaten fielen, viereinhalb Millionen kehrten als Kriegsversehrte heim und viele Millionen waren traumatisiert. Noch heute löst bei Krumeich der Umgang mit den rückkehrenden Soldaten Kopfschütteln aus.
Im Grunde wurden sie weitgehend ignoriert. In Frankreich wurden öffentlich Mahnmale errichtet, bei Veranstaltungen durften sie in der ersten Reihe sitzen und im öffentlichen Raum wurde ihnen mit Respekt begegnet. Ganz anders in der Weimarer Republik. Mahnmale entstanden lediglich von privater Seite her und es wurde, so der Professor, einfach erwartet, dass sich die Rückkehrer still wieder in den Alltag eingliederten.
Professor beschreibt in Eppelheim die damalige Wut gegen die Weimarer Republik
Dass da Frust auftrat, sich Wut aus dem Gefühl, nicht gesehen zu werden, breit machte, und sich diese Wut dann gegen die Weimarer Republik richtete, sei da nicht so wirklich überraschend. Ganz anders die Nationalsozialisten, die beispielsweise einen riesigen Triumphbogen planten, auf dem alle Namen der zwei Millionen gefallen Soldaten stehen sollten.
Die ganze Geschichte über den Ersten Weltkrieg und vor allem das aus deutscher Sicht unrühmliche Ende mit dem Versailler Friedensvertrag erschien Hitler wie die goldene Kugel für die Weimarer Republik. Sie musste nur noch abgefeuert werden und das tat Hitler bei jeder Gelegenheit.
Krumeich hat bei zahlreichen Reden Hitlers genau hingehört und es steht außer Frage, dass der Applaus vor allem dann aufbrandete, wenn Hitler sich dem Ersten Weltkrieg, der Ehre der Soldaten und dem „ungerechten“ Versailler Friedensvertrag zuwandte. Berühmt ist hier die Erzählung zur sogenannten Dolchstoßlegende, in der Politiker in Berlin der kämpfenden Truppe in den Rücken fielen.
Das Militär als leuchtender Stern Deutschlands, die Politik dagegen eine Ansammlung elitärer Vaterlandsverräter. Die Verantwortungsträger der Weimarer Republik unterschätzten die Bedeutung der Erinnerungspolitik massiv, sie ließen hier eine fatale Leerstelle, die die Nationalsozialsten geradezu gnadenlos ausnutzten und als Tür in die Herzen der Deutschen nutzten.
Und Hitler verknüpfte das geschickt mit einer Friedensbotschaft. Krumeich ließ keinen Zweifel daran, dass Hitler von Anfang an Krieg wollte. Doch in seinen Reden vermittelte er vor seiner Machtergreifung Friedensabsichten und zu anfangs schien das zu seinen außenpolitischen Erfolgen auch zu passen. Aus Sicht vieler Deutschen wurde Deutschland wieder wer, ein Mitspieler im Konzert der Großmächte.
Vortrag in Eppelheim: Als die Nazis auf dem Zenit ihrer Macht standen
Auch als es dann doch zum Krieg kam, war den Nationalsozialisten Erfolge beschieden. Vor allem als Deutschland 1940 Frankreich besiegte und Hitler durch Paris spazierte, die Deutschen den Ersten Weltkrieg sozusagen nachträglich gewannen, und die historische Schmach, der Versailler Vertrag, getilgt war, standen die Nazis und Hitler im Zenit ihrer Macht. Von Verdun, der Somme und dem Versailler Vertrag führt für Krumeich eine gerade Linie zum Aufstieg der Nationalsozialisten, ihrer Machtübernahme und schlussendlich zum Zweiten Weltkrieg.
Eineinhalb Stunden brauchte Krumeich für diesen großen Bogen vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg und erntete dafür viel Applaus. Man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man auch ihm einiges Charisma attestiert. Aber anders als Hitler nutzt er es nicht zur Verführung und der Abkehr von der Wahrheit, sondern zur Aufklärung und der Suche nach der Wahrheit.
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