Schwetzingen. Schon mehrfach wurde in der Stadtbibliothek „geslammt“. Für alle, die noch nie das Vergnügen hatten: Bei einem Poetry-Slam (PS) treten mehrere Autoren mit kurzen selbstgeschriebenen Stücken gegeneinander an. Das Publikum zeigt dann durch jeweilige Applausstärke, wer am meisten überzeugt, ins Finale kommt und wer gewinnt. 1986 in Chicago erstmals in einer Kneipe durchgeführt, erfreut sich diese Form des literarischen Wettstreits besonders in Deutschland größter Beliebtheit. Die hiesige PS-Szene gilt als eine der größten weltweit. 2016 wurden die deutschsprachigen PS sogar in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Gut besucht war die Veranstaltung am Donnerstagabend und gut gelaunt führten die Hockenheimer Autorin Marlene Klaus und ihr Co-Moderator und LeseZeit-Mitglied Erik Hauser durch den Abend. Am Start: Edith Brünnler aus Ludwigshafen, Emmanuel Eisenberger aus Oberhausen-Rheinhausen, Dirk Gollnick aus Reilingen, Laura Hope Hamm aus Mauer, Lea Lischka aus Ketsch, Uwe Schick aus Wiesloch und Matthias Zech aus Speyer.
Schon mehrfach war die LeseZeit in Schwetzingen zu Gast. Die Slammer boten für jeden Geschmack etwas von heiter bis brüllend komisch und tiefgründig. Den Auftakt machte Edith Brünnler, regional bekannte Autorin und Slammerin. Ihr Fachgebiet: der hiesige Dialekt. Groß das Erstaunen des Publikums, als sie ihre Verse über überdimensionierte Weihnachtsdekoration und 130 Dezibel aus den Lautsprechern, mit denen die Weihnachtsmusik die Nachbarschaft beschalle, im Rap-Stakkato vortrug. Lustig auch ihre an den Spenden sammelnden „Parrer“ gerichtete Frage, was denn Weihnachten mit der Kirche zu tun habe. Vor lauter Kommerz habe sie der Geistliche daran erinnern müssen, dass es doch um die Geburt von Jesus Christus ginge.
Geheimnisvoll das Stück von Uwe Schick. Ein gewisser Artur habe alles verspielt. Spannung entstand, obwohl er dem Publikum die Antwort schuldig blieb, worum es genau ging. Hope, bürgerlich Laura Hope Hamm, wurde konkreter. Eigentlich hätte sie ja Fahrlehrerin werden wollen. Doch Horror-Tagträume von Fahrten mit der heutigen Jugend hätten sie davon abgebracht. Kein Wunder, verstand ihr imaginärer Schüler doch unter „Achtung Baustelle – Arbeiter umfahren“, etwas anderes, da er versuchte, sie mit Vollgas „um-zufahren“. Zum Glück nur in ihrer Vorstellung.
Tiefgründiger wurde es bei Matthias Zech, der sich im Dialekt selbst ermahnte: „Des derf man doch net emool denke“, also „Das darf man doch nicht einmal denken“. Man erfuhr von der 82-jährigen pflegebedürftigen Mutter und seinen Gedanken dazu, dass es besser für sie sei, zu sterben. Zumal nicht immer alles gut gewesen sei und sie undankbar. Ein Thema, dass niemanden kaltließ, ging es doch darum, dass auch alte Menschen und auch Eltern toxisch sein können. Wieder gelacht werden konnte bei Dirk Gollnick, der sich laut fragte, was denn „typisch deutsch“ sei. Für einen pakistanischen Studienkollegen seines Sohnes seien dies Schokocroissants und Erdbeermilch. „Hoffentlich beschweren sich da keine Franzosen wegen kultureller Aneignung“, scherzte er. Emmanuel Eisenberger erzählte mit aberwitziger Wortakrobatik von dem wohl lustigsten missglückten Tankstellenüberfall der Welt, den er aus der Sicht eines Mitarbeiters schilderte.
Das Publikum klatschte Edith Brünnler und Eisenberger ins Finale, worauf die Kontrahenten noch einmal alles gaben. Brünnler legte weihnachtlich nach mit einem selbst gebauten Adventskranz, wieder gekonnt dialektal rappend, während Emmanuel von seinen Erlebnissen in einem Großstadtcafé der orientalischen Art und der Begegnung mit jungen Männern mit „überbordender Männlichkeit“ erzählte. Trotz Gewaltandrohung im schlimmsten City-Slang deutete er das Aufeinandertreffen falsch homoerotisch. Aber sein zuvor konsumiertes Sieben-Euro-Curry rettete ihn genau im richtigen Moment, indem es ihn auf dem Wege verließ, auf dem er es sich einverleibt hatte. Wieder gab es dabei Wortakrobatik vom Feinsten, sodass er sich mit leichtem Klatsch-Abstand als Gewinner durchsetzen konnte. So meinte Marlene Klaus auch zuvor zum Publikum: „Ich wollte jetzt nicht an eurer Stelle sein, entscheiden zu müssen.“
Eisenbergers Ehefrau meinte humorvoll auf die Frage, ob er Zuhause auch so sei: „Ja, ist er, es ist bei uns immer lustig. Sonst hätte ich ihn sicher nicht geheiratet.“ Besucherin Erika Zimmermann aus Karlsruhe verriet: „Das war mein erster Poetry-Slam und es wird sicher nicht mein letzter sein. Ich könnte mir durchaus vorstellen, selbst einmal teilzunehmen.“ Stadtbibliotheksleiterin Saskia Lindenbeck freute sich über den großen Erfolg der Veranstaltung und kommentierte: „Ich finde toll, wie vielseitig so ein Poetry-Slam ist und dass man damit auch jüngere Erwachsene anspricht – eine Gruppe, die weniger in einer Bibliothek anzutreffen ist.“ Dass es nächstes Jahr wieder einen PS gebe, sei daher sehr wahrscheinlich.
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