Gedenkfeier

Tag der Pogromnacht in Schwetzingen: „Der Antisemitismus war nie tot“

Mit einem Gottesdienst und einer Gedenkfeier an den Schwetzinger Mahnmalen erinnerten Schüler des Hebel-Gymnasiums und zahlreiche Besucher an die Opfer der Reichspogromnacht.

Von 
Marco Montalbano
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Die Anteilnahme in der Bevölkerung ist groß. © Marco Montalbano

Schwetzingen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in der sogenannten Reichspogromnacht in Deutschland Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume. Doch auch Wohnungen wurden von SA-Leuten in Zivil ins Visier genommen – genau wie alles, was jüdisch war. Mindestens 30.000 Menschen wurden interniert, Geschäfte geplündert, Juden misshandelt und verschleppt. So steht die Pogromnacht für den traurigen Zeitpunkt, ab dem aus Diskriminierung systematische Vertreibung und Unterdrückung wurde und Antisemitismus sowie Rassismus – für die ganze Welt offen sichtbar – vom Staat praktiziert wurden, bis hin zum Mord. Die Polizei sah dabei am 9. November tatenlos zu.

Elfriede Fackel-Kretz-Keller betont die Wichtigkeit des Erinnerns und spricht ein Grußwort in Vertretung des Oberbürgermeisters. © Marco Montalbano

Mit einem Gottesdienst in der evangelischen Stadtkirche wurde daran erinnert, bei dem Schüler der zehnten Klassen des Hebel-Gymnasiums „Stille Helfer“ präsentierten: Menschen, die – auch wenn es für sie sehr gefährlich war – im „Dritten Reich“ zu ihren jüdischen Mitbürgern standen; dies geschah auch in Schwetzingen.

Auch in Schwetzingen Widerstand gegen den Nationalsozialismus

„Ob wir damals den Mut gehabt hätten, den Hetzern und Mördern zu widerstehen?“, fragte Pfarrer Steffen Groß und zitierte aus dem Jakobusbrief: „Wer also weiß, wie er Gutes tun kann und es nicht tut, der macht sich schuldig.“ Denn basierend auf dem Buch „Stille Helfer“, herausgegeben von Dr. Norbert Giovannini, einem Pädagogen, ehemaligen Hochschuldozenten und unermüdlichen Forscher zum jüdischen Leben zu Zeiten des nationalsozialistischen Terrorregimes, hatten Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Religionslehrer Dr. Henning Hupe hypothetische Dialoge erarbeitet, die sie vortrugen. Menschlichkeit und Nächstenliebe von Bürgern wurden anhand der Gespräche von jüdischen Verfolgten mit deren Helfern greifbar.

Violinist Daniel Spektor und Pianist Alexander Levental bereichern den Gottesdienst musikalisch. © Marco Montalbano

Schüler Tammo meinte: „Es gab auch in Schwetzingen Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Mut und Menschlichkeit gezeigt haben, wie Karl Gerwig, der sein Haus für jüdische Frauen öffnete.“ Er habe sie zum Kaffee eingeladen – eine einfache Geste, die aber großen Mut verlangte, um ihnen Nähe, Würde und ein Stück Normalität zu schenken. Auch Professor Ludwig Maier von der Hebelschule habe Flagge gezeigt, indem er mit jüdischen Mitbürgern, öffentlich sichtbar, spazieren ging. Sie und andere Schwetzinger hätten trotz Gefahr an der Menschlichkeit festgehalten und stille, aber starke Zeichen gegen das Unrecht gesetzt.

Hakenkreuze entdeckt worden

„Der Antisemitismus war nie tot“, so Groß. Vor zwei Tagen seien Hakenkreuze, das zentrale Symbol der Täter, in der Nähe der Invalidengasse, dem einstigen Standort der Synagoge, in einem WC-Häuschen entdeckt worden. Wenn eine renommierte jüdische Soziologin wie Eva Illouz einen Vortrag an der Uni Rotterdam nicht halten könne, der am 21. November hätte stattfinden sollen, weil ihr abgesagt worden sei, man fühle sich mit ihr „unwohl“, sei das ohne Nennung triftiger Gründe Antisemitismus. Zudem verurteile sie das Vorgehen und das „schändliche Verhalten“ von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu scharf, was zu Abneigung dem ganzen israelischen Volk gegenüber geführt habe.

Lehrer Dr. Henning Hupe (r.) und seine Schüler (erste und zweite Reihe) vom Hebel-Gymnasium gestalteten den Gottesdienst mit hypothetischen Dialogen von Verfolgten und Helfern mit. © Marco Montalbano

„Feindschaft gegenüber Juden, einfach weil sie Juden sind, ist verwerflich. Und für Christinnen und Christen ist es Verrat an Christus, der als Jude zur Welt kam und es Zeit seines Lebens blieb“, so der Geistliche, der ergänzte: „Es ist an der Zeit für laute Helfer, die ihre Stimme erheben. Und es ist die Zeit, zu unterscheiden.“ Gegen Ende des Gottesdienstes meinte Pfarrer Groß hinsichtlich der nationalsozialistischen Verbrechen: „Endlos müsste unsere Scham sein.“ Passend musikalisch umrahmt wurde der Gottesdienst von Violinist Daniel Spektor und Alexander Levental am Piano.

Hebel-Schüler sehen Menschlichkeit

Schülerin Lena Hauff sagte: „Ich habe viel erfahren und sehe, wie aktuell das alles wieder ist.“ Und ihre Klassenkameradin Clara Conrad fügte hinzu: „Norbert Giovannini sprach mit uns. Das war eine wertvolle Erfahrung.“ Lehrer Dr. Hupe erläuterte: „Man muss immer die Menschen sehen und nie nur die Geschichte. Denn Menschlichkeit ist das, was uns verbindet – über alle Grenzen der Religion und Kultur hinweg.“

Religionslehrer Dr. Henning Hupe spricht, wie auch Pfarrer Groß v.l.), Kulturreferentin Dr. Barbara Gilsdorf und Kirchengemeinderätin Elfriede Fackel-Kretz-Keller, die Fürbitte. © Marco Montalbano

Im Anschluss gingen die Gottesdienstbesucher zu den Mahnmalen in die Zeyerstraße, die sich vor dem Eingang des nördlichen Zirkelbaus des Schlosses befinden. Dieser wurde in der Zeit von 1901 bis 1933 als jüdische Gebetsstätte benutzt. Wie wichtig den Menschen das Gedenken an die an jüdischen Mitbürgern von Deutschen begangenen Verbrechen ist, zeigte die rege Beteiligung und die Anwesenheit zahlreicher Stadträte, Honoratioren und Politiker wie CDU-Landtagsmitglied Andreas Sturm.

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Klarinettist Simon Abraham spielte an der Gedenkstätte gefühlvoll Klezmer-Musik. Pfarrer Groß meinte: „Ihr jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger habt unter uns gelebt. Wir versprechen: ‚Wir vergessen euch nicht.‘“ Stadträtin Elfriede Fackel-Kretz-Keller sprach in Vertretung des Oberbürgermeisters ein Grußwort, und Kulturreferentin Barbara Gilsdorf unterstrich: „Ihr habt uns mit eurer Kultur und eurem Wissen beschenkt, unsere Stadt mit euren Geschäften bereichert und unsere Wirtschaft mit Ideen und Arbeitskraft belebt.“

Klarinettist Simon Abraham spielt emotionsgeladene Klezmer-Stücke. © Marco Montalbano

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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