Speyer. Im November 2018 haben wir über die Herausgabe eines Buches berichtet, mit dem der Speyerer Professor Dr. Heinrich Reinermann dem Gelehrten und Prediger Johannes Lonicerus (1499 bis 1569) ein literarisches Denkmal setzte. Nun ist ein Folgeband erschienen, in dem der Name Lonicerus leicht abgewandelt wiederum eine zentrale Rolle spielt. Allerdings hat Reinermann den Handlungsstrang diesmal um eine Urenkelin des Schülers, Mitbruders und Freundes von Martin Luther geflochten.
Dabei handelt es sich um Elisabeth Lonicer (1614 bis 1697), eine couragierte Witwe, die im westfälischen Herford lebte und sechs Töchtern das Leben schenkte. Selbst nie im Rampenlicht stehend, haben andere Familienmitglieder über Generationen hinweg durchaus Karriere gemacht. So war ihr Schwager Dr. juris Franziskus von Giese Kanzler und Regierungspräsident von Pfalz-Neuburg. Neffe Wendelin Lonicer wiederum machte Karriere als königlicher Hofrichter bei Friedrich I. aus dem Hause Hohenzollern, der sich 1701 zum ersten König in Preußen krönte.
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Das Buch mit dem Titel „Elisabeth Lonicer (1614 bis 1697)“ und den Untertiteln „Couragierte Witwe mit sechs Töchtern in Herford / Martin Luthers Reformation als Spielball europäischer Machtpolitik“ ist über den Buchhandel und den Verlag „Books on Demand“ in Norderstedt zu beziehen, wo es im Print-on-Demand-Verfahren gedruckt wird.
Kontaktadresse: www.bod.de/buchshop. Das gebundene Werk kostet 27,99 Euro. Es ist auch als E-Book erhältlich. ISBN: 978-3-75262-5790
Wer den Bekanntheitsgrad der Hauptfigur nicht ganz zu Unrecht infrage stellt, sollte jedoch schnell umdenken. Denn der für seine akribischen Forschungen bekannte Buchautor nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise in das 17. Jahrhundert, das von dramatischen Ereignissen wie dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648), dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 bis 1697), weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen auf europäischer Ebene und den von Schicksalsdramen begleiteten Nachwehen der Reformation geprägt war.
Im Buch werden familiäre, geschichtliche und religiöse Stränge miteinander verflochten. In einer Zeit, in der Martin Luthers Reformation zum Spielball europäischer Machtpolitik geworden war, katholische und protestantische Interessen auf das Heftigste aufeinanderprallten und sich selbst Lutheraner, Calvinisten, Hugenotten, Puritaner und Mennoniten aneinander rieben, nimmt Elisabeth Lonicer eine Art beobachtende Rolle ein. Dazu bediente sich Reinermann einer Methode, die bereits in der altgriechischen Literatur Verwendung fand. Als „Teichoskopie“ oder Mauerschau wird der mündliche Bericht einer Figur bezeichnet, die von einer erhöhten räumlichen Position aus Vorgänge sieht und schildert, die auf einer Theaterbühne nicht darstellbar sind.
Die Elisabeth Lonicer zugedachte Rolle der Beobachtenden macht das Buch vor allem für Literaturfreunde mit Vorlieben für historische Ereignisse lesenswert. Denn ein Großteil der mit Vorwort und Anhängen 340 Seiten umfassenden Publikation ist solchen Vorkommnissen gewidmet. Da Elisabeth Lonicer nichts Schriftliches hinterlassen hat, versteht sich der Autor als ihr Kopf, schaut quasi mit ihr über die Mauer und berichtet, was in ihrer Zeit und Lebenswelt geschehen ist.
Fundiertes Panorama
In den drei Strängen Reformation, Genealogie und allgemeingeschichtlicher Hintergrund entfaltet der Autor ein wissenschaftlich fundiertes, flüssig lesbares und durch Quellen belegtes Panorama, wie man es interessanter kaum vermitteln kann. Fallweise bezieht sich der Text auch auf Speyer und die Region. Für den emeritierten Ordinarius der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer waren diese Abschnitte eine gute Gelegenheit, dem Leser die geschichtliche Bedeutung seiner Wirkungsstätte ins Gedächtnis zu rufen.
Was den regionalen Bezug anbelangt, ist der Dreißigjährige Krieg, der vom auslösenden Prager Fenstersturz 1618 bis zum Westfälischen Frieden 1648 dargestellt und analysiert wird, eng mit dem Heidelberger Kurfürsten Friedrich V. verbunden. Der „Winterkönig Böhmens“ galt als Speerspitze der Protestantischen Union.
Reinermann erinnert ferner an die gewaltsame Verbringung der weltberühmten Heidelberger „Bibliotheca Palatina“ nach Rom zu Papst Gregor XV. Sie erfolgte nach Einnahme der Pfalz und Heidelberg durch Tilly, seinerzeit oberster Heerführer der Katholischen Liga und kaiserlichen Truppen. In annähernd 200 Kisten verpackt, wurde die „Mutter aller Bibliotheken“ mit circa 3500 Handschriften und 12 000 Drucken in den Vatikan geschafft, wo sie im August 1623 von der Bibliotheca Apostolica Vaticana übernommen wurde.
Ein regionaler Bezug lässt sich auch zur Zeit der Hexenverfolgung nachweisen. Der berüchtigte „Hexenhammer“, 1486 vom Dominikanermönch Heinrich Kramer in einem Speyerer Kloster verfasst, ist erstmals in der Speyerer Druckerei von Peter Drach erschienen. Auf der Gegenseite wirkte der Jesuit Friedrich Spee, der als Kämpfer gegen den Hexenwahn mehrere Jahre in Speyer lebte. Nach ihm ist ein Gebäude am Edith-Stein-Platz auf der Nordseite des Domes benannt.
Die literarische Rückschau umfasst ferner vertiefende Blicke auf den Pfälzischen Erbfolgekrieg, das von 1527 bis 1689 in Speyer residierende Reichskammergericht und den für Katholiken und Protestanten folgenschweren Reichstag 1529 zu Speyer.