Gesundheit - Timo Berger bekommt die Droge zur Schmerzlinderung seit Jahren verschrieben / Er erzählt von seinem Spießrutenlauf

Cannabis-Gesetz hilft ihm enorm

Von 
Volker Widdrat
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Schmerzpatient Timo Berger freut sich, dass er Cannabis als Medizin endlich auf Kassenrezept bekommt.

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Schwetzingen/Hockenheim. Das Gesetz ist am 10. März in Kraft getreten: Schwerkranke Menschen ohne Therapiealternative bekommen Cannabis auf Kassenrezept. Heißt also: Betroffene Patienten erhalten getrocknete Cannabisblüten und -extrakte auf ärztliche Verschreibung in Apotheken. Darauf haben Schmerzpatienten wie Timo Berger lange gewartet, wie er unserer Zeitung im Gespräch erzählt.

Für den Hockenheimer ist das neue Gesetz ein Segen, denn bisher musste er sich eine offizielle Ausnahmeerlaubnis bei der Bundesopiumstelle einholen. Das dauerte immer und kostete viel Geld. Der 42-Jährige leidet an Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung), Arthrosen und Bandscheibenvorfall. Cannabis und der Inhaltsstoff Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt hier schmerzlindernd, entzündungshemmend und krampflösend.

Früher machte Berger viel Sport. Er hat Bürokaufmann, Schlosser und Metallbauer gelernt. Eine Medikamententherapie im Krankenhaus hatte erhebliche Nebenwirkungen, erzählt Berger von seinem Kampf, Cannabis nutzen zu dürfen. Dafür habe er gerade drei Verfahren an der Backe. Im Sommer vergangenen Jahres rauchte er mit einem Freund in der Öffentlichkeit Wasserpfeife. Als er sich danach aufs Fahrrad setzte, rief das die Polizei auf den Plan. Er hatte zwar eine fachärztliche Bescheinigung dabei, die ihm das Fahren unter THC-Einfluss erlaubt, doch es nützte nichts. Die Strafe kam dennoch (wir berichteten).

Eine teure Angelegenheit

Der Anzeige wegen Trunkenheit auf dem Fahrrad und dem Besitz von illegalen Betäubungsmitteln folgte drei Monate später eine Hausdurchsuchung. Als er einmal in Speyer mit dem Roller unterwegs war, wurde er ebenfalls angehalten und einer Kontrolle unterzogen. Er hatte eine Wasserpfeife dabei. Der Roller soll frisiert gewesen sein. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: "Bekiffter Mofafahrer unterwegs". Immer wieder habe er den Polizisten erklären müssen, dass er mehrmals täglich Medizin nehme. Das nerve ihn: "Ich poche einfach auf mein Recht und auf die Einsicht der Polizei. Trotzdem werde ich immer als Lügner dargestellt. Einige Zeit später kommt dann immer ein Strafbefehl." Letztes Mal war es eine Geldbuße von 1600 Euro. Dazu zwei Jahre Führerscheinsperre, obwohl ihm die Führerscheinstelle die Fahrerlaubnis erteilt hatte. Da bleibe nur der Einspruch über seinen Freiburger Anwalt: "Diese Zermürbungstaktik seitens der Behörden kostet nur Zeit und vor allem jeden Monat viel Geld."

Schon früher kam er immer wieder mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt, musste Haftstrafen absitzen, bekam Bewährungsauflagen mit Drogenscreenings und Entzugstherapie. Viel von dem ganzen Ärger habe er sich damals selbst eingebrockt, gibt der 42-Jährige zu. Bei der letzten Hausdurchsuchung habe man ihn in Haft nehmen wollen. Sein Anwalt habe ihn "gerade noch rausgehauen". Das Amtsgericht verurteilte ihn schließlich zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung, 300 Euro Geldstrafe und 80 Sozialstunden. Die Urteilsbegründung war 13 Seiten lang. Für zwei weitere Verfahren hat er noch keine Termine. Auf Nachricht von der Führerscheinstelle wartet er immer noch.

"Früher hatte ich wirklich viel Dreck am Stecken. Heute versuche ich alles, dass rechtlich nichts mehr schief geht. Ich versorge mich nur mit meiner Medizin. Dabei bekomme ich immer wieder die Existenz zerstört, da verliert man allmählich jeden Lebensmut", sagt Berger. Seit zwei Jahren hat er die Ausnahmegenehmigung zum legalen Konsum. "Herr Berger benötigt aus medizinischen Gründen eine Therapie mit Cannabis", hatte ihm seine Ärztin bescheinigt. Danach durfte er sich Cannabisblüten in der Apotheke besorgen. Die Kosten waren immens.

Führerscheinstelle angeschrieben

Er freut sich über das neue Gesetz. Die Kostenzusage seiner Krankenkasse hat er längst. Familie und Freunde wissen seit langem, dass ihm der Gebrauch von Cannabis gut tut. Der 42-Jährige möchte nur nicht länger kriminalisiert werden. Er möchte sein Recht bekommen. Die Führerscheinstelle ist auch angeschrieben. Wenn er wieder Auto fahren dürfe, falle es ihm leichter, einen Job zu finden. Dann müsse er sein Geld nicht mehr für Cannabis-Medizin ausgeben, sagt Berger: "Ich möchte nur ein ganz normaler Mensch sein und wieder ins Berufsleben einsteigen können."

"Verbesserte Palliativversorgung"

"Schwerkranke Menschen müssen bestmöglich versorgt werden. Dazu gehört, dass die Kosten für Cannabis als Medizin für Schwerkranke von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders wirksam geholfen werden kann. Das ist auch ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Palliativversorgung", sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im Januar nach dem Beschluss des Bundestages. Bei schweren Erkrankungen wie chronischen Schmerzen oder Multipler Sklerose könne Cannabis als Medizin helfen, Symptome zu lindern.

Den staatlich kontrollierten Anbau in Deutschland übernimmt übrigens eine Agentur. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte steuert und kontrolliert den Anbau von Cannabis. Mit der Gesetzesänderung läuft auch eine Begleitstudie, in der Informationen zum langfristigen Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken gesammelt werden. Dazu übermitteln Ärzte ohnehin vorliegende Daten, zum Beispiel zur Diagnose, Therapie, Dosis und Nebenwirkungen, anonymisiert an das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Hintergrund

Mit 10. März ist die medizinische Anwendung von Cannabis in Deutschland keine Ausnahmeregelung mehr. Patienten mussten bisher eine Genehmigung für eine cannabis-basierte Therapie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einholen.

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Kosten für die Therapie mit Medizinalhanf im Regelfall übernehmen, wenn die Erkrankung so schwerwiegend ist, dass keine andere medizinische Leistung Linderung verspricht. Eine Genehmigung zur Verordnung muss der Patient mit Unterstützung des Arztes vor der Erstverordnung einholen. kaba

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

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