Leben mit einer Krankheit

Sophia aus Plankstadt hat einen seltenen Gendefekt

Das kleine Mädchen leidet am „MEF2C Haploinsuffizienz Syndrom“. Eltern Marija und Simon Max haben einen Verein gegründet, der die Forschung ankurbeln möchte.

Von 
Stefan Kern
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Die kleine Sophia, hier gemeinsam mit Mama Marija und Papa Simon, leidet an einem seltenen Gendefekt. © privat

Plankstadt. Von John Lennon, dem Sänger der englischen Kultband „The Beatles“, stammt der Satz: „Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst.“ Ein Satz, den die Familie Max aus Plankstadt wie nur wenige zu spüren bekommen hat. Vor 17 Jahren begann ihre Geschichte. Marija und Simon lernten sich kennen, verliebten sich, zogen zusammen und irgendwann stand der Wunsch nach Kindern im Raum. Sie wurde schwanger und Sophia kam ziemlich genau mit dem Aufkommen von Corona zur Welt. Vor der Geburt, so sagte sie es der Schwetzinger Zeitung, war sie nervös. „Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.“

Aber Ärzte und Hebamme erklärten unisono, dass alles in Ordnung sei. Das glaubten sie auch noch eine ganze Weile nach der Geburt. Sophia schielte stark, doch das beunruhigte die Ärzte nicht. Auch andere Signale, das kleine Mädchen konnte lange den Kopf nicht heben, lösten erst einmal keinen Alarm aus. Auch bei den Eltern nicht. Heute sagen sie beide, „vielleicht wollten wir es auch nicht sehen“. Doch das änderte sich. Die U3 (eine Reihe gesetzlich vorgeschriebener ärztlicher Untersuchungen an Kleinkindern, Anm. der Red.) verlief noch problemlos. Doch nach neun Monaten, mit der U4, wurden auch die Ärzte zunehmend unsicher. Und das zurecht, nach einigen Untersuchungen und einer Genanalyse wurde klar, dass Sophia an einer extrem seltenen genetischen Erkrankung namens „MEF2C Haploinsuffizienz Syndrom“ (MCHS) leidet. Eine Erkrankung, die schwerste Entwicklungsverzögerungen mit sich bringen kann und die Lebensplanung von Marija und Simon Max ziemlich massiv durcheinanderwirbelte.

Für die kleine Familie aus Plankstadt beginnt eine Odyssee

Denn mit der Diagnose begann die Odyssee eigentlich erst. Es galt: So selten diese Erkrankung ist, so dürftig ist der Wissensstand. „Erst einmal fühlten wir uns allein gelassen.“ Im Gespräch betonten sie, dass sie da niemandem einen Vorwurf machten. Weltweit sind derzeit rund 400 Fälle aktenkundig. In Deutschland sind es 14. Bei solch kleinen Zahlen seien große Forschungsanstrengungen nicht unbedingt zu erwarten. Auf die Eltern wirkte das aber weniger desillusionierend als motivierend. Klar, „am Anfang fiel ich ein Loch“, so Marija Max. Aber das Leben frage nicht nach Befindlichkeiten. „Es gehe einfach weiter und am Ende stelle sich die einfache Frage, wie stelle ich mich dazu“.

Was ist das „MEF2C Haploinsuffizienz Syndrom“ (MCHS)?

  • Das MEF2C Haploinsuffizienz Syndrom (MCHS) ist eine extrem seltene genetische Erkrankung, verursacht durch eine Veränderung im Gen MEF2C.
  • In der Regel ist das Syndrom auf eine sogenannte De-novo-Mutation zurückzuführen. Heißt, es handelt sich um eine spontane Veränderung der DNA-Sequenz und nicht um eine Vererbung elterlicher Anlagen.
  • Weltweit sind 400 Fälle dokumentiert, in Deutschland sind es derzeit 14.
  • Durch MCHS, eine Art Dysfunktion dieses Proteins MEF2C, das eine zentrale Rolle für das Nerven-, Muskel-, Herz-, Kreislauf- und das Immunsystem spielt, kommt es zu globalen Entwicklungsverzögerungen, schwerwiegende Sprachstörung, tiefgreifende Lernschwierigkeiten, Epilepsie, ausgeprägte Muskel-Tonusstörungen, repetitive Bewegungsmuster, Schlafstörungen, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und autistische Phänomene. Meist erreichen Kinder, die an MCHS leiden, nur das kognitive Niveau von Kleinkindern.
  • Entdeckt wurde das MEF2C Gen im Jahr 2008 von Dr. Stuart Lipton, Burnham Institut in San Diego, Kalifornien. Seine Studien an Mäusen zeigten, dass eine Störung der Funktion von MEF2C zu kleineren Gehirnen und einer geringeren Zahl von Neuronen führt.
  • Die Mutation des Gens wird auch mit weiteren Erkrankungen, wie dem Rett-Syndrom, dem Pitt-Hopkins-Syndrom und zahlreicher Autismusspektrumstörungen, in Verbindung gebracht.

Und so kam das Paar, auch dank eines schon bestehenden Vereins in Spanien, schnell ins Akzeptieren und Tun. Ein Tun, das im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre sehr beeindruckend erscheint. Heute sind die jungen Eltern mit ihrem Verein „MEF2C Hilfsorganisation“ im Herzen eines weltweiten Netzwerkes, das die Forschung rund um diese genetische Erkrankung tatsächlich spürbar vorantreibt. Wie viel Zeit das gekostet hat und nach wie vor kostet, wissen die beiden nicht. Als Paar gerate man da schon etwas in die Defensive. Auch weil sie mit der zweijährigen Emilia und dem wenige Wochen alten Raphael noch zwei Kinder haben. Beide sind gesund. Doch bei allen Aufgaben hätten sie sich nicht aus den Augen verloren. „Wir vertrauen einander und sehen uns.“ Bedeutet zum Beispiel, dass sie sich für eigene Momente gegenseitig den Rücken frei halten. Dass das gelinge, hänge auch an den Eltern der Eheleute. Ihre Mutter ist Krankenschwester und eine unerlässliche Stütze. Ohne sie, und damit meinen die Plankstadter beide Elternpaare, könnten sie ihr Leben so nicht stemmen.

Familie Max tut alles dafür, dass es der kleinen Sophia gut geht

Die Sinnfrage stellt sich für sie übrigens nicht. Es ist ihre Tochter, in ihrer Welt scheint sie oft glücklich und natürlich sei das Machen für sie wichtig. „Welche Mutter oder Vater würde nicht alles tun, damit es dem eigenen Kind gutgehe?“ Ja, es seien nur ganz wenige Kinder betroffen, in der ökonomischen Logik sei das gesellschaftliche Nicht- oder Wenig-Tun vielleicht erwartbar. In einer anständigen Gesellschaft nicht.

Sophia bei der Therapie mit einem Delfin. © privat

In dem Star Treck Film „Auf der Suche nach Mr. Spock“ kommt es in diesem Kontext zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung zwischen Captain Kirk und seinem erste Offizier Mr. Spock. Kirk rettete das Leben seines ersten Offiziers, riskierte dabei aber das Leben seiner Crew. Auf die Frage Spocks, warum er das getan habe, wo doch das Wohl von Vielen schwerer wiege, als das Wohl von Wenigen oder gar von Einem, antwortete Kirk, dass das so nicht richtig sei, denn das Wohl von Einem wiege genauso viel wie das Wohl von Vielen. Was der Überzeugung des Königsberger Philosophen Immanuel Kant ziemlich nahe kommt. Für ihn galt, ein Mensch ist immer „Zweck an sich“, sein Wert lässt sich niemals gegen Werte anderer aufrechnen.

Darüber hinaus, so Marija und Simon Max, wüsste man ja nie, wem die Forschung an diesem MEF2C-Gen noch helfen könne. So sei es beispielsweise eng mit verschiedenen Autismus-Spektrum-Störungen verknüpft.

Auf der Suche nach einer Behandlung für Sophia aus Plankstadt

Wie dem auch sei, auf dem Weg zu einer möglichen Behandlung haben sie, gemeinsam mit vielen Eltern überall auf der Welt verteilt, beeindruckende Fortschritte gemacht: Über das ganze Netzwerk hinweg rund 600 000 Euro gesammelt und das Forschungsprogramm „Pathway to Hope“ unter der Führung von Dr. Christopher Cowan, Leiter des Fachbereichs Neurowissenschaften an der Medical University of South Carolina, auf den Weg gebracht. Sie stehen im Kontakt mit der amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden FDA und EMA. Gerade dran sind sie an der sogenannten „Natürlichen Verlaufsstudie“ (Natural History Study). Das sind wissenschaftliche Ausgangsdaten, rund um die Krankheitsverläufe betroffener Kinder, die sicher stellen, dass Auswirkungen einer künftigen Behandlung genau gemessen werden können. Ohne, dass es einer Placebo-Kontrollgruppe bedarf, die dann verglichen wird mit der Gruppe der wirklich behandelten Kinder.

Sophia aus Plankstadt ist ein fröhliches Mädchen. © privat

Das Ehepaar Max weiß, dass keine Wunder zu erwarten sind. Aber für die Chance, dass es ihrer Sophia besser gehen könnte, sie etwas selbstständiger leben kann, dürfe nichts unversucht bleiben. Vielleicht, so Simon Max, „sind wir in vier oder fünf Jahren soweit, dass es einen Therapieansatz gibt“. Und wenn es nicht mehr dem eigenen Kind hilft, so hilft es vielleicht anderen. Für die zwei ist das Leben stimmig. Klar hätte man sich ein gesundes Kind gewünscht, gerade für das Kind. Aber das Leben spiele nach eigenen Regeln. Und völlig unabhängig davon, was das Leben für Aufgaben stelle, gehe es am Ende immer darum, damit aktiv umzugehen und die glücklichen Momente bewusst zu erwischen. Mit sich, mit dem Partner, den Kindern und der Welt. Der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal behauptete einst, dass das Leben zum Verrücktwerden schön sei, nicht, dass es so wäre, aber er sehe es so. Es scheint, dass die Familie Max das ganz ähnlich sieht.

Spenden für den Plankstadter Verein

  • 2023 konnte das Vereins-Netzwerk, rund um den Plankstadter Verein „MEF2C Hilfsorganisation“, dank zahlreicher Spenden das Forschungsprogramm „Pathway to Hope“ unter der Leitung des Neurowissenschaftlers Dr. Christopher Cowan von der Medical University of South Carolina auf den Weg bringen.
  • Weitere Information finden sie unter der Vereinsadresse www.mef2c.de.
  • Kontaktdaten: Mail: info@mef2c.de oder telefonisch unter 49 159 01474279.
  • Spenden können sie unter: Kontoinhaber: MEF2C Hilfsorganisation e.V., IBAN: DE07830654080005371198, BIC: GENODEF1SLR

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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