Es steht noch heute groß an der Wand des Ignatius-Saales des Stadtdekanats: „Einen neuen Aufbruch wagen“ – so lautet das Motto des Katholikentages in Mannheim 2012. Wenn er auch viele Reformhoffnungen in der von Missbrauchsskandalen erschütterten katholischen Kirche nicht erfüllt hat – für Mannheim ist dieser Aufbruch sehr wohl gelungen. Alleine 14 Kirchengebäude in der Stadt werden dazu saniert. Mannheim profitiert wirtschaftlich, zieht viele Gäste an, gewinnt durch herrliche Fernsehbilder von Menschenmassen vor dem Schloss oder der Barockkirche am Marktplatz an Image. Der Katholikentag 2012 – er ist das mit Abstand am meisten prägende Ereignis dieses Jahrzehnts in der Quadratestadt und die bis dahin größte Veranstaltung der Nachkriegsgeschichte.
Schon ab 2010 gibt es im früheren „Rheinbraunhaus“ eine Geschäftsstelle. Vom 16. bis 20. Mai 2012 strömen über 80 000 Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet nach Mannheim. Während des Katholikentags halten sich nach Schätzung der Polizei 50 000 Personen mehr als gewöhnlich in der Stadt auf, darunter viel Prominenz. Bundespräsident, Bundestagspräsident und Bundeskanzlerin sind bei dem Großereignis dabei. Die komplette Staatsspitze auf drei genau aufeinander folgenden Seiten im „Goldenen Buch“ der Stadt – das ist einmalig.
Das neue Stadtquartier Q6/Q7 hat die Dimension vom Schloss
Aber es geht weiter mit großen Events. 2013 ist Mannheim, gemeinsam mit Heidelberg, Ludwigshafen und 19 weiteren Orten der Metropolregion, Gastgeber vom Internationalen Deutschen Turnfest. Es wird mit einer Inszenierung vor dem Wasserturm, die über 40 000 Zuschauer anzieht, sowie einem Festzug mit über 9000 Teilnehmern durch die Innenstadt eröffnet und mit einer Gala im Carl-Benz-Stadion beendet. Insgesamt werden 50 000 Teilnehmer in der gesamten Region gezählt.
2015 schaut die ganze Reitsportwelt nach Mannheim. Der von Peter Hofmann geführte Reiterverein richtet auf dem Maimarktgelände die renommierteste, internationalste Reitsportveranstaltung aus, die Mannheim je gesehen hat: das Turnier „CSIO – Preis der Nationen“. Dafür verändert das MVV-Reitstadion völlig sein Gesicht, damit dort Olympiasieger, Welt- und Europameister starten und die weltweite Fachpresse berichten kann. Vom „Heu-Eis“ bis zur „Galanacht der Pferde“ gibt es auch zahlreiche Aktionen für das breite Publikum. 27 000 Besucher werden gezählt, und Mannheim festigt seinen Ruf als Austragungsort für Riesen-Reit-Events.
2013/14 macht Mannheim mit einer überregional bedeutenden kulturhistorischen Ausstellung Schlagzeilen: die Wittelsbacher-Ausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen. Sechs Monate wird sie im Zeughaus und im Schloss – eine in der Form einmalige Kombination – gezeigt, und über 111 000 Besucher wollen diese erste umfassende Darstellung der Geschichte dieser bedeutenden Herrscherfamilie sehen. Zudem beteiligen sich 46 Orte der Metropolregion mit 350 Veranstaltungen zur Geschichte der Adelsdynastie an dem Kulturprojekt.
Doch ungeachtet dieser Großveranstaltungen ändert die Innenstadt ihr Gesicht, vor allem durch den Bau des neuen Stadtquartiers Q6/Q7 durch Diringer & Scheidel. Für 250 Millionen Euro soll hier ein neuer, zwei Quadrate umfassender Gebäudekomplex mit Läden, Restaurants, Wohnungen, Hotel, Fitnessstudio, Büros und Arztpraxen entstehen. Es ist das größte Bauprojekt in den Quadraten seit der Errichtung des Schlosses ab 1720, umfasst auch die Aufwertung des nahen Quadrats R 5 und bedeutet das Ende eines Schandflecks: Auf Q 6 befindet sich bis dahin nämlich nur der Rest eines Tiefbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg mit Parkplätzen, der aufwendig entfernt werden muss. 2012 ist Baubeginn, begleitend gibt es zahlreiche ungewöhnliche Events in der Baugrube, etwa ein Bagger-Ballett mit Lichtshow, und bei der Eröffnung Ende September 2016 erlebt das neue Quartier gleich einen großen Ansturm der Besucher.
Wegen dieser Großbaustelle bewusst verschoben wird der Umbau der Planken, die – 1975 zur Fußgängerzone geworden – dringend eine Modernisierung brauchen. Die nimmt die Stadt 2017 in Angriff und schließt sie 2019 (mit Ausnahme der Seitenstraßen) ab. Der Handel investiert parallel, etwa die Eigentümer des Gebäudes in P 7 und Engelhorn, das sein Haupthaus, um zwei Etagen auf nun sieben Geschosse aufstockt. Schon zuvor verwandelt sich die Bank-Immobilie in P 3 zu einem Büro- und Drogeriehaus. In O 4, wo die BW-Bank auszieht, kann eine Bürgerinitiative um den Verein Stadtbild zwar den Abriss nicht verhindern, aber immerhin einen an das historische Bank-Palais angelehnten Neubau erreichen.
Für die neue Kunsthalle stehen die Bürger gerne Schlange
Abriss oder Neubau – diese Frage stellt sich auch bei zwei großen Kulturinstitutionen. Schon 2008 regt Kunsthallen-Direktorin Ulrike Lorenz, kaum im Amt, darüber nach, über einen Neubau anstelle des von 1983 stammenden Mitzlaff-Erweiterungsbaus der Kunsthalle nachzudenken. Bis 2012 folgen über 40 Diskussionsveranstaltungen, Foren und öffentliche Sitzungen dazu. Eine Bürgerinitiative wendet sich gegen den Abriss – vergeblich. Nachdem im Juli 2011 SAP-Mitgründer Hans-Werner Hector und seine Frau 50 Millionen Euro als Spende für einen Neubau zusagen, fasst im gleichen Monat der Gemeinderat den – historisch zu nennenden – Beschluss, den Mitzlaff-Bau aufgrund zahlreicher technischer und baulicher Mängel abzureißen und neu zu bauen. Nur zehn Millionen Euro würde die Stadt dazugeben, den fehlenden Rest müssten private Spender aufbringen.
2014 startet der Abbruch, und im Dezember 2017 kommt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um das Bauwerk und das Engagement der privaten Mäzene zu würdigen. Immerhin sind 85 Prozent der Baukosten privat finanziert. Doch nur der Bau selbst ist fertig. Weil die Testläufe für Klimatisierung und Sicherheitseinrichtungen ausstehen, bekommt der Bundespräsident nur ein – fast – leeres Museum zu sehen. Lediglich neun Großskulpturen stehen.
Am 1. Juni 2018 ist es dann soweit. „Ein unglaublicher Anblick“, fängt Kunst- und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer ihre Rede zur Eröffnung der Kunsthalle an und schaut sich im voll besetzten, 22 Meter hohen Atrium des Neubaus um. Der wirklich „unglaubliche Anblick“ bietet sich in dem Moment aber vor dem Gebäude: Da stehen mehrere Hundert Menschen, die nicht mehr eingelassen werden, geduldig in einer Warteschlange, die bis ums Eck in die Tattersallstraße reicht. Zuletzt bei den „Körperwelten“ 1998 und 2010/11 bei den „Staufern“ erlebte Mannheim Warteschlangen vor Kultureinrichtungen. Doch die Kunsthalle erweist sich wirklich als „Quelle für Bürgerstolz“, wie Oberbürgermeister Peter Kurz in seiner Rede sagt. Entstanden sei „einer der überzeugendsten Museumsbauten weltweit“, fordert Kurz die Mannheimer auf, „in den nächsten Tagen zu kommen und sich begeistern zu lassen“. Und das tun sie. Am ersten Abend muss das gerade eröffnete Haus mehrfach aus Sicherheitsgründen wieder geschlossen werden, so groß ist der Andrang. Das Eröffnungswochenende über werden 32 000 Besucher gezählt.
Nicht nur die Kunsthalle lockt 2018 tausende von Besuchern an – auch zwei andere neue Kultureinrichtungen erweisen sich sofort als Magnet. Über 13 000 Besucher strömen im März zum „Tag der offenen Tür“ ins Marchivum. Sie sind neugierig, was in zwei Jahren hinter teils mehr als zwei Meter dicken Mauern passiert ist: Der Ochsenpferchbunker, einst Mannheims größter Hochbunker, hat sich dank Architekt Peter Schmucker zum „Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung“ gewandelt. Es gilt als „einzigartiges Beispiel, wie man ein geschichtlich belastetes Denkmal zu einem lebendigen Ort der Kultur machen kann, mit Strahlkraft für ganz Deutschland“, lobt Markus Eltges vom Bundesamt für Bauwesen, denn der Bund hat es als „Nationales Projekt des Städtebaus“ eingestuft.
Und noch eine Kultureinrichtung wird neu geschaffen und kommt sofort prima an: Im September eröffnet Jazzmusiker Thomas Siffling im früheren, lange verwaisten Rosengartenkeller den neuen Jazz-Club „Ella & Louis“. Mehrfach meldet er ausverkaufte Konzerte.
Ab 2018 prägt die geplante Generalsanierung des aus dem Jahr 1957 stammenden Nationaltheaters die kommunalpolitische Debatte. Auf dem Papier ist eigentlich alles seit 2015 klar. Da erteilt der Gemeinderat den Auftrag, eine „beschlussfähige Kostenermittlung und ausschreibungsfähige Planung“ vorzulegen. Im Herbst 2016 erhält der Mannheimer Architekt Andreas Schmucker den Auftrag. Im Juli 2017 präsentiert er eine erste, vorläufige Kostenschätzung: 185 Millionen Euro – deutlich mehr als zuvor gedacht, auch wenn das nur Vermutungen waren. Konkret wird Schmucker im Mai 2018. Da legt er eine Kostenberechnung mit Bestandserfassung und Entwurfsplanung vor, beziffert sie auf 200 Millionen Euro. Bei dieser Summe erschrecken viele Kommunalpolitiker, auch Bürger, selbst große Theaterfreunde. Manch einer fragt sich, ob nicht ein Neubau letztlich kostengünstiger wäre. Dessen Befürworter gehen aber nie öffentlich aus der Deckung.
Nationaltheater-Sanierung wird beschlossen
Der „MM“ startet daraufhin eine großangelegte Serie „Nationaltheater – Was wird daraus?“, liefert zu dieser wichtigen Weichenstellung umfassende Hintergründe, Fakten, Interviews und Meinungen. Dabei wird bekannt: Bereits 2012 hat die Stadtverwaltung außer einer Generalsanierung auch mehrere andere Möglichkeiten prüfen lassen – Abriss oder Teilabriss und Erweiterung an gleicher Stelle oder kompletter Neubau. Das Ergebnis ist zuvor aber nie öffentlich erörtert worden.
Daher lädt der „MM“ zur Debatte ins Schauspielhaus ein. Über 600 Zuhörer kommen. Viele sind am Ende überzeugt, dass eine Sanierung den besten Weg darstellt. Die Diskussion zeigt auch, dass Bürger und Politik eindeutig hinter dem Haus stehen. Wenige Tage später kommt eine frohe Botschaft aus Berlin: Der Bund fördert die Generalsanierung des Nationaltheaters mit 80 Millionen Euro – und zahlt damit erstmals überhaupt für ein kommunales Theater. Vom Land kommen 40 Millionen Euro. In zwei großen Debatten befasst sich der Gemeinderat mit dem Projekt. Im Juni 2018 erteilt er den Auftrag und bewilligt die Mittel, die Pläne bis zur Baureife weiterzuentwickeln und eine konkrete Baugenehmigung zu beantragen. Endgültig ist dann der Beschluss am 18. Dezember: Einschließlich nötiger Umbauten der Probebühne Neckarau und der Errichtung eines neuen Zentrallagers stimmt der Gemeinderat mit großer Mehrheit der Generalsanierung mit einem Kostenrahmen von 240 Millionen Euro zu. Hinzu kommen Mieten für Ersatzspielstätten, die zu dem Zeitpunkt noch gar nicht alle feststehen.
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