Der Kandidat der Republikaner, Donald Trump, punktet in den Vereinigten Staaten mit populistischen Parolen. Trotzdem dürfte die Demokratin Hillary Clinton die Wahl gewinnen, denn sie dominiert in den großen Staaten.
Die USA sind in guter Verfassung. Die Arbeitslosigkeit ist seit 2009 von zehn auf 4,9 Prozent gefallen, nach Jahren der Stagnation steigen die Einkommen wieder. Die Gewaltkriminalität ist in den vergangenen 25 Jahren deutlich zurückgegangen. Gab es in New York 1990 noch 2245 Morde, waren es 2015 nur mehr 350. Der Anteil der US-Amerikaner ohne Krankenversicherung ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr und fällt weiter. 2016 lebten weniger illegale Immigranten im Land als 2008. Seit den Attacken von 9/11 haben die USA keinen schweren Terror-Anschlag mehr hinnehmen müssen.
Trotzdem ist es dem Außenseiter Donald Trump gelungen, mit seinen apokalyptischen Parolen die Kandidatur der Republikanischen Partei an sich zu reißen. Mehr noch: In den Umfragen ist er Hillary Clinton von den Demokraten dicht auf den Fersen. Kein professioneller Beobachter der US-Politik hat so etwas vor einem Jahr für möglich gehalten. Warum könnte ein narzisstischer Zyniker ohne jede politische Erfahrung 2017 ins Weiße Haus einziehen?
Ängste vor dem Wandel
Der wichtigste Grund: Trump bedient verbreitete Ängste vor dem rapiden Wandel in Wirtschaft, Gesellschaft und internationaler Politik. Seit dem Ende des Kalten Kriegs verändert sich die Welt so schnell wie nie zuvor. Hunderte Millionen Asiaten sind in die globale Arbeitsteilung eingestiegen, China ist innerhalb einer Generation zur Werkbank der Welt und zum Exportweltmeister geworden. Industrieroboter und Amazon revolutionieren Produktion und Vertrieb von Waren; Google, Facebook und Co. definieren die Kommunikation um und schaffen mit rasender Geschwindigkeit neue Geschäftsfelder. Weiße heterosexuelle Männer verlieren ihre beherrschende Stellung, Frauen, Andersfarbige und Schwule emanzipieren sich.
Diese Entwicklungen verunsichern viele Menschen, besonders ältere weiße Männer ohne College-Ausbildung. Ihre Löhne stagnieren, ihre Jobs werden prekärer, und sie bangen um ihren Status. Trump greift ihre Ängste auf, heizt sie an und liefert die Sündenböcke gleich mit. Herkömmliche Politiker wollen die Bürger mit Argumenten, Statistiken und Daten überzeugen, der Wandel der letzten 25 Jahre habe mehr Wohlstand und Chancen gebracht. Trump diffamiert das als Lügen des Establishments und der ihm hörigen Experten und halluziniert sich seine eigene postfaktische Welt herbei. Diese Welt ist voller Feinde, die den weißen US-Amerikaner um die Früchte seiner Arbeit bringen - illegale Immigranten, chinesische Exporteure, schwarze Sozialhilfeempfänger, die Eliten in Washington, die angeblich den Ausverkauf der USA betreiben, Muslime, die bloß darauf warten, das Land anzugreifen.
Das alles untermauert Trump mit bizarren Anekdoten, die einer Überprüfung nicht standhalten. So behauptet er, im Fernsehen Tausende Araber in New Jersey gesehen zu haben, die die Terrorattacken von 9/11 bejubelten. Dafür gibt es nicht den kleinsten Beleg. Die mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Website Politifact stellte fest: Nur 15 Prozent von Trumps Aussagen sind wahr oder überwiegend wahr. Im Durchschnitt, so ermittelte das Online-Magazin Politico, lügt er in seinen Wahlkampfreden alle fünf Minuten. Solche Werte würden einem normalen Politiker das Genick brechen, für Trump und sein Gefolge spielen sie keine Rolle. Seine Geschichten prägen sich ein, weil Menschen sich besser an drastische Erfindungen erinnern als an abstrakte Wahrheiten. Sie kursieren in den Echokammern rechter TV- und Radioshows, Websites und Blogs, bevor sie in die größere politische Welt gestreut werden.
Trump sieht die US-Wirtschaft vor dem Kollaps, die Kriminalität auf dem Vormarsch, denunziert Obama als unrechtmäßigen Präsidenten und Gründer des Islamischen Staats, nennt Einwanderer Mörder und Vergewaltiger, Muslime potenzielle Terroristen - und seine Anhänger johlen. Die Folge: 81 Prozent seiner Wähler in den Vorwahlen meinten, das Leben sei heute schlechter als vor 50 Jahren. 59 Prozent hegten ausgeprägte rassistische Ressentiments - doppelt so viel wie im Wählerdurchschnitt. Überdurchschnittlich viele fordern radikale, zum Teil verfassungs- und gesetzeswidrige Maßnahmen gegen Terrorverdächtige.
Rassisten, Populisten und Elitenverächter sind kein neues Phänomen in den USA. 1968 gewann der Schwarzenhasser George Wallace 13,5 Prozent der Wähler für sich und siegte in fünf US-Bundesstaaten im Süden, 1992 holte der schräge Milliardär Ross Perot 19 Prozent. Aber sie agierten außerhalb des traditionellen Zweiparteiensystems. Trump passt von seiner Persönlichkeit und seinen Ansichten her perfekt in diese Gruppe. Sein Geniestreich war es, nicht als Unabhängiger anzutreten, sondern in die Kandidatenkür der Republikaner einzusteigen und die Partei zu kidnappen. Dass dies geschehen konnte, hat sich die Parteiführung selbst zuzuschreiben: Ihre hetzerische Obstruktionspolitik, mit der sie Obama von Beginn an überzog, schuf ein Klima, das zunächst die radikale Tea Party gebar und jetzt Trump möglich macht. Ironischerweise zerstört der mit seinem Protektionismus, seinem Isolationismus und seiner Garantie sozialstaatlicher Wohltaten den ideologischen Kern der Republikanischen Partei - der Revolutionär frisst seine Väter.
Wahlkampfregeln außer Kraft
Trumps Siegeszug erschüttert die Annahme der Wahlforscher, ein erfolgversprechender Präsidentschaftsbewerber brauche ein konsistentes Programm, Sachkenntnis und Selbstbeherrschung. Trump erfindet Dinge, während er spricht, weiß kaum etwas über die Welt und rüpelt sich durch öffentliche Auftritte. Auch andere Gewissheiten fallen in sich zusammen: Etwa, dass viel Geld und ein Wahlkampfapparat wichtig sind. Trump warb deutlich weniger Spenden ein als seine republikanischen Rivalen oder Hillary Clinton und hat kaum Personal vor Ort. Im vielleicht wahlentscheidenden Florida beschäftigt Trump gerade einmal 30 feste Wahlkampfhelfer, Clinton 500.
Die Bekanntheit eines Reality-TV-Stars und hemmungslosen Selbstvermarkters reicht, um rabiate, minimalistische Botschaften an den Mann und - seltener - die Frau zu senden. Nicht umsonst ist Twitter mit seiner Obergrenze von 140 Zeichen Trumps Lieblingsmedium. Dort folgen ihm elf Millionen Amerikaner, nur der Papst und der indische Premierminister haben unter politischen Führern höhere Zahlen.
Politische Polarisierung
Die Republikaner-Vorwahl zu gewinnen, ist eine Sache, weil sich daran nur 15 Prozent aller Wähler beteiligten. Eine andere ist es, eine Mehrheit der US-Bürger hinter sich zu scharen. Deshalb überrascht, wie nah die Kandidaten in Umfragen beieinander liegen. Clinton fragte kürzlich genervt, warum sie angesichts der sexistischen und fremdenfeindlichen Parolen Trumps keinen Vorsprung von 50 Prozentpunkten habe. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens war die politische Polarisierung in den USA noch nie so ausgeprägt wie heute. Selbst Republikaner, die Trump als Person und seine Ideologie widerlich finden, stellen sich aus Parteidisziplin hinter ihn. Zweitens: Trump mag der Präsidentschaftskandidat mit den höchsten Negativwerten in der Geschichte der Umfragen sein, aber Clinton ist die mit den zweithöchsten.
Deshalb wird die Wahl am 8. November kein erdrutschartiges Ergebnis bringen, wie es etwa 1964 oder 1972 der Fall war. Damals gewannen Lyndon Johnson und Richard Nixon gegen radikale Rivalen je 61 Prozent der Stimmen. Im besten Fall kann Clinton auf einen Vorsprung von drei bis fünf Prozentpunkten hoffen. Dieser Vorsprung ist allerdings sehr solide, weil die Demokraten seit 1992 eine Koalition von Wählergruppen geschmiedet haben, die ihnen bei fünf der letzten sechs Präsidentschaftswahlen eine Mehrheit verschaffte: gut ausgebildete Frauen, Schwarze, Hispanics, junge Menschen. Da sie alle panische Angst vor einem Präsidenten Trump haben, stehen sie fest zu Clinton.
Dass Clinton siegen wird, ist auch aus einem weiteren Grund wahrscheinlich. Die Amerikaner wählen den Präsidenten nicht direkt, sondern durch ein Kolleg von 538 Wahlmännern. Wer in einem Bundesstaat die meisten Wählerstimmen gewinnt, erhält dort alle Wahlmänner zugesprochen.
Dabei haben die Demokraten einen strukturellen Vorteil: Sie dominieren in den großen Staaten wie Kalifornien (55 Wahlmänner), New York (29) und Illinois (20). Zählt man die Wahlmänner der Staaten zusammen, die die Parteien bei den letzten sechs Präsidentschaftswahlen durchweg gewannen, kämen die Demokraten 2016 auf 242, die Republikaner auf 102. Um Präsident zu werden, benötigt ein Kandidat 270 Wahlmänner. Clinton hat also viel mehr Wege, um die fehlenden Stimmen in den umkämpften Swing States zu holen, allein ein Sieg in Florida mit seinen 29 Stimmen würde ihr den Einzug ins Weiße Haus sichern. Für Trump bleiben dagegen nur wenige Möglichkeiten, die magische Zahl 270 zu erreichen.
Eine der letzten Chancen für Trump, das Blatt noch zu wenden, war die erste Präsidentschaftsdebatte. Aber er ging als Verlierer vom Podium. Immer wieder drängte ihn Clinton mit Zitaten in die Defensive, mit denen er im Wahlkampf Frauen, Latinos und Schwarze beleidigt hatte. Da in vielen Bundesstaaten schon in den nächsten Tagen die Briefwahlen beginnen, läuft Trump jetzt die Zeit davon. Den USA dürfte ein egozentrischer Rechtspopulist als Präsident erspart bleiben.
Stephan Bierling
- Stephan Bierling (Bild), 54, ist Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg.
- Zuletzt erschien von ihm "Vormacht wider Willen. Deutsche Außenpolitik seit der Wiedervereinigung".
- Für seine Arbeit wurde Bierling mehrfach ausgezeichnet. 1996 erhielt er den Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik.
- Er hatte Professuren an Universitäten in Südafrika, Israel, den USA und Australien inne. 2001 forschte er als German Marshall Fund Fellow am Pacific Council on International Policy an der University of Southern California in Los Angeles.
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