Die Demokratie im Fadenkreuz autoritärer Regierungen

Von 
Stephan Bierling
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Grundrechte, Freiheit und Selbstbestimmung: Auch in vielen europäischen Ländern werden diese Werte und Normen derzeit beschnitten und außer Kraft gesetzt.

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Russland, China oder Saudi-Arabien - sie alle eint das Ziel, freiheitliche Werte zu bekämpfen. Politiker wie Wladimir Putin oder Xi Jinping versuchen beständig, den prophezeiten Siegeszug der der westlichen Regierungsform zu verhindern, betont Politikwissenschaftler Stephan Bierling. Ein Gastbeitrag.

27 Jahre ist es her, seit der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte" verkündete. Er meinte damit, dass mit dem Kollaps des Kommunismus die westliche Demokratie als Regierungsform alternativlos geworden sei. Fukuyama hat weitgehend Recht behalten. Mit Ausnahme des Islamischen Staats mit seiner global wenig attraktiven Idee eines Kalifats gibt es bis heute keinen weltanschaulich geschlossenen Gegenentwurf zur Demokratie. Was Fukuyama aber nicht vorhersah: Autoritäre Regierungen, die ihre Existenz durch demokratische Entwicklungen gefährdet sehen, ergeben sich keineswegs in ihr Schicksal, sondern schlagen mit aller Macht zurück.

Seit den Farben-Revolutionen Mitte des vergangenen Jahrzehnts in Georgien, der Ukraine und Kirgistan, seit der Rebellion der Mittelklasse im Arabischen Frühling 2011 und seit dem Maidan-Aufstand 2013/14 wird den Diktatoren von Peking über Kairo bis Moskau eines immer klarer: Nationalismus und Wohlstand reichen allein nicht aus, ihre Herrschaft dauerhaft zu legitimieren. Und: Die westliche Demokratie - als Idee und als Staatsform - ist die größte Gefahr für ihren Machtanspruch. Deshalb gehen sie immer aggressiver gegen sie vor. Christopher Walker von der amerikanischen Demokratie-Stiftung National Endowment for Democracy spricht sogar von einer neuen Politik "der Eindämmung der Demokratien".

Geschwächte Institutionen

Die wichtigsten Protagonisten der Anti-Demokratie-Front sind Russland, China, Venezuela, Saudi-Arabien und Ägypten. Auch wenn sie selten im Konzert agieren, bedienen sie sich doch ähnlicher Instrumente und verfolgen identische Ziele: die Ausbreitung der Demokratie zu verhindern, die demokratische Regierungsform zu diskreditieren und etablierte internationale Institutionen, die demokratische Werte vertreten, zu unterminieren.

Zum ersten Ziel: Nachdem autoritäre Regierungen die Ausbreitung demokratischer Staaten oder demokratische Entwicklungen in Nachbarländern lange Zeit hingenommen hatten, treten sie diesem Trend nun entschlossen entgegen. In Bahrain intervenierte Saudi-Arabien 2011 mit der Nationalgarde, um die Anti-Regierungsproteste zu zerschlagen und ein Überspringen des Arabischen Frühlings auf ein Nachbarland zu verhindern. In der Ukraine wie vorher schon in Moldau und in Georgien organisiert und unterstützt Moskau Abspaltungen vom Mutterland, um die dortigen demokratischen Regierungen zu destabilisieren. In Hong Kong unterdrücken die Machthaber auf Pekings Geheiß die Demokratiebewegung, die für freie Wahlen kämpft.

Vor allem gehen die Diktatoren aber gegen die Ausbreitung demokratischer Ideen vor. Im Januar 2015 ordnete das Pekinger Bildungsministerium an, den Gebrauch ausländischer Bücher an Universitäten zu begrenzen, um die Infiltration "westlicher Werte" zu verhindern. Die autoritären Herrscher sehen internationale Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) als trojanische Pferde, die Ideen von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie ins Land schmuggeln. Kairo verbot deshalb ausländischen NGOs, darunter der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung, ihre auf Demokratie und Pluralismus ausgerichtete Arbeit.

Verschärfte Internetzensur

Am 28. Juli 2015 veröffentlichte der Kreml eine Liste mit "unerwünschten Organisationen", die eine "Gefahr für das Fundament des Verfassungssystems der Russländischen Föderation, seiner Verteidigungsfähigkeiten und seiner Nationalen Sicherheit" darstellen. Betroffen davon sind Demokratie-Förderinstitutionen wie das erwähnte National Endowment for Democracy oder die Open Society Foundations des US-Milliardärs George Soros, die helfen will, "dynamische und tolerante Demokratien aufzubauen". Chinas Präsident Xi Jinping nahm sich Putin zum Vorbild und unterwarf nur wenige Wochen später alle ausländischen NGOs neuen Regeln, die ihnen alle auf Demokratisierung zielenden Aktivitäten untersagen. Zugleich verschärft Xi die Internetzensur und lässt Menschenrechtsanwälte einsperren.

Demokratische Entwicklungen sollen aber nicht nur zu Hause bekämpft werden, sondern die Diktatoren wollen - und das ist ihr zweites Ziel -, die Demokratie auch insgesamt diskreditieren. Russland und China bauten in den vergangenen Jahren mit RT und mit CCTV teure Fernseh-Auslandssender auf, die den Westen und seine demokratischen Errungenschaften verächtlich machen. Die Trolle des Kremls in Sankt Petersburg und ihre Fußtruppen im Westen nutzen Twitter und andere soziale Medien, um Moskau-Kritiker zu verunglimpfen, Gerüchte über angebliche Chemieunglücke, Ebola-Ausbrüche und Vergewaltigungen durch Flüchtlinge im Westen zu streuen sowie homo- und xenophobe Hetze zu verbreiten. Letztes prominentes Opfer des russischen Informationskriegs ist die finnische Investigativ-Journalistin Jessikka Aro, die die Praktiken der Troll-Armee aufdeckte. Aro erhielt Hass-Emails, wurde in den sozialen Medien als "Nato-Hure" und Drogen-Dealerin beschimpft und auf YouTube als "wahnsinnige USA-Tussi" diffamiert.

In den Augen des russischen Präsidenten Wladimir Putin sind auch Politiker in Demokratien für die eigenen Zwecke einsetzbar. Ein Coup gelang ihm, als er Kanzler Gerhard Schröder wenige Monate nach dessen Abwahl 2005 auf eine lukrative Stelle bei Gazprom hieven konnte. Selbst den amerikanischen Präsidenten George W. Bush fragte Putin einmal, ob es "ihm helfen" würde, falls er dessen engen Freund und Ex-Wirtschaftsminister Donald Evans einen hochbezahlten Job bei einem russischen Staatskonzern verschaffe. Die Botschaft: Ich kann alle kaufen, Politiker in Russland sowieso, aber selbst die im Westen. Auch so versucht Putin, den Zynismus gegenüber der Demokratie anheizen.

Drittens schließlich setzen die Diktatoren alles daran, internationale Institutionen zu diskreditieren, die sich westlichen Werten verschrieben haben. Als im reformierten UN-Menschenrechtsrat auf Druck des Westens Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) Sprechrecht erhielten, hatte Peking schnell eine Lösung parat: Es gründete seine eigenen NGOs, die Eins-zu-Eins die Regierungsposition vertreten. Russland, Aserbaidschan und Kasachstan haben eigene Wahlbeobachter-Gremien aus befreundeten ausländischen links- und rechtsradikalen Parteien geschaffen, um die etablierten Missionen der OSZE zu unterlaufen.

Eingeschränkte Freiheit

In Lateinamerika versucht Venezuela mit Verbündeten wie Nicaragua, Ecuador und Bolivien die Menschenrechtsarbeit der Organisation der amerikanischen Staaten zu sabotieren. Neue Organisationen wie der Shanghai Kooperationsrat unter Führung Chinas und Russlands oder der Golf-Kooperationsrat unter Führung Saudi-Arabiens wollen autoritäre Normen salonfähig machen. So beschließen die Staaten dort internationale schwarze Listen, um Demokratieaktivisten besser überwachen und ihre Bewegungsfreiheit einschränken zu können.

Der ultimative Triumph für Russland wäre der Zerfall von EU und Nato, der beiden wichtigsten demokratischen Institutionen der Welt. Für dieses Ziel lässt Putin den Wahlkampf des rechtspopulistischen Front National in Frankreich offen mit hohen Millionendarlehen unterstützen. Zugleich beschäftigt RT in seinem Büro in Paris viele Funktionäre dieser Partei. Schließlich hat der Front National versprochen, im Falle eines Wahlsiegs aus dem Euro und der EU auszutreten.

Auch andere rechtsradikale Parteien wie die ungarische Jobbik-Partei, die bulgarische Angriffspartei, die slowakische Volkspartei und die pro-russische Partei Litauens sollen Hilfe aus dem Kreml erhalten. Diese Parteien zahlen es Putin zurück, indem ihre Abgeordneten im Europaparlament gegen Russland-kritische Resolutionen stimmen. Andere Kreml-freundliche Parteien wie Die Linke in Deutschland, der französische Front National oder die italienische Lega Nord senden Beobachter zu Referenden und Wahlen in Separatistengebiete und machen sich so zum Instrument russischer Destabilisierungspolitik. 15 der 24 wichtigsten rechtsradikalen Parteien in Europa stehen offen zu Putins Ziel, die EU zu zerstören. Von Paris aus orchestriert das russische "Institut für Demokratie und Zusammenarbeit" die Vernetzung der Rechtsradikalen.

Das Bemühen der autoritären Herrscher, die Ausbreitung von Demokratien einzudämmen, war nicht ohne Erfolg. Die dritte große Demokratisierungswelle, deren Ausgangspunkt der US-Politikwissenschaftler Samuel Huntington Mitte der 1970-er Jahre verortete und die mit dem Zerfall der Sowjetunion ihren Höhepunkt erreichte, ist ins Stocken geraten. Schlimmer noch: In manchen Ländern droht eine Rückabwicklung der Demokratie. Polen manipuliert sein Justizsystem, Ungarn schränkt demokratische Freiheiten ein, und die Türkei, die sich vor zehn Jahren noch auf einem guten Weg befand, ist heute eine Erdogan-Diktatur.

2015 klassifizierte die Denkfabrik Freedom House 46 Prozent aller Staaten der Erde als "frei" - genauso viele wie 1998. Es sieht danach aus, als ob das "Ende der Geschichte" und der Triumph der Demokratie nicht so schnell nahen, wie von Fukuyama vorhergesagt.

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