Interview

Aleksey Igudesman in Mannheim: Vom Konzertsaal bis TikTok

Der Geiger Aleksey Igudesman spielt am Donnerstag, 19. Dezember, mit den Mannheimer Philharmonikern ein Weihnachtsprogramm im Rosengarten – mit Werken Beethovens und eigenen Kompositionen. Was ihn bewegt

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Will die klassische Musik farbenfroher machen: Aleksey Igudesman. © Julia Wesely

Mannheim/Wien. Seinen Lebensmittelpunkt hat er in Wien, falls man das sagen kann. Denn Aleksey Igudesman ist meistens unterwegs – das gilt nicht nur für die Konzertreisen, sondern auch für sein Navigieren auf den Kommunikationsplattformen TikTok, Instagram et cetera. Auf YouTube präsentiert der Musiker derzeit 368 Videos. Eines zeigt die Nummer „Salsa De La Luna“ – die Musik, Tanz, Comedy und Akrobatik kombiniert. Igudesman ist stets ein Multikünstler. Auch bei seinem Mannheimer Konzert im Musensaal des Rosengartens, das er uns vorab schon mal am Telefon erläutert.

Herr Igudesman, Ihr Mannheimer Programm heißt „Beethoven & More – A Christmas Special“. Wenn man allerdings an weihnachtskompatible Komponisten denkt, kommt einem nicht unbedingt zuerst Beethoven in den Sinn, würde ich sagen.

Aleksey Igudesman: Naja, er wurde immerhin um Weihnachten herum geboren. Das genaue Datum ist zwar nicht bekannt, doch den Geburtstag feiert man am 17. Dezember. Und die Sache ist ja die: In Mannheim soll es eine Feier werden, nicht bloß ein Konzert. Wir feiern Beethovens Diversität. Oft wird vergessen, dass er sich verschiedenster Musikstile bedient hat. Er ist außerdem ein Urvater des Jazz, etwa in seiner letzten, 32. Klaviersonate.

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Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
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Igudesman: Genau. Und deshalb gehe ich auch noch ein bisschen weiter, überlege mir, wie würde er wohl komponieren, wenn er heute leben würde. Ich vermute, Beethoven würde noch weiter gehen. In der Zeit zum Jahreswechsel wird ja oft die 9. Sinfonie gespielt – das Hauptthema im Schlusssatz habe ich genommen und dazu Variationen komponiert, im Geist von Schillers „Alle Menschen werden Brüder“. Und ich reise mit dem einen Thema um die Welt: etwa nach Spanien, Afrika, Lateinamerika. Aber ein paar spezifisch weihnachtliche Stücke wird es auch geben.

Die kommen eher nicht von Beethoven?

Igudesman: Nein, einer dieser Titel heißt „Christmas Confusion“, und ich habe ihn für Joshua Bell geschrieben, den bekannten Geiger. Er und ich sind halbjüdischer Abstammung, wir haben also ein Chanukka- und ein Weihnachtsherz. Mein Stück versucht, damit humorvoll umzugehen. Das Konzert im Rosengarten hat ein buntes und für Mannheim – und für Boian Videnoff und sein Orchester – maßgeschneidertes Programm.

Aleksey Igudesman im Überblick

  • Aleksey Igudesman, geboren 1973, stammt aus einer Leningrader Musikerfamilie, die bald in den Westen emigrierte. Das war noch zu Zeiten der Sowjetunion.
  • Igudesman nahm dann in Wien ein Geigenstudium auf. Doch das genügte ihm rasch nicht mehr, er ist längst auch Komponist, Schauspieler, Filmemacher und Orchestergründer.
  • Unter seinen vielen Comedy- und Bühnenproduktionen könnte man „The Music Critic“ nennen; es geht darin um berühmte Vorurteile über Meisterwerke der Musikgeschichte.
  • Für die Aufführungen konnte er keinen Geringeren gewinnen als John Malkovich, einen der angesehensten Charakterdarsteller Amerikas.
  • Am Donnerstag, 19. Dezember, 20 Uhr, tritt Igudesman im Musensaal des Rosengartens in Mannheim auf. Bei „Beethoven & More - A Christmas Special“ wird er von jungen Künstlerinnen unterstützt: der Geigerin (und Sängerin) Claire Wells und der Schlagzeugerin (und Komponistin) Lucy Landymore. Außerdem von Boian Videnoff und den Mannheimer Philharmonikern. hgf

Sie musizieren da nicht nur?

Igudesman: Ich rede immer mit dem Publikum, es ist bei mir auch immer eine Show. Ich will nicht einfach konzertieren, ein paar lustige Momente wird es höchstwahrscheinlich auch geben.

Ihr Lebenslauf liest sich sehr faszinierend: Sie sind Geiger, Komponist, Comedian, Schauspieler und Mitbegründer einer App, wahrscheinlich fehlt in dieser Aufzählung sogar die Hälfte. Haben Sie bei allem, was Sie machen, überhaupt noch eine Hauptbeschäftigung?

Igudesman: Es ist die Kreativität, die von Musik ausgeht. Wir Menschen können sehr viel mehr, als uns oft eingetrichtert wird. Zu diesem Zweck habe ich eben erst auch das „Limitless Orchestra“ gegründet, seine Mitglieder haben die Stilvielfalt, die ich mir wünsche. Alle kommen von der Klassik her, aber die hergebrachten klassischen Orchester haben sich ja leider in den letzten 150 Jahren kaum verändert. Wir indessen wollen die Veränderung. Im Januar haben wir Auftritte in Dubai, unser musikalischer Patron Hans Zimmer wird daran beteiligt sein.

Mit Zimmer haben Sie des Öfteren gearbeitet. Wird Filmmusik die klassische Musik der Zukunft sein? Sie sickert ja schon immer mehr in „klassische“ Konzertprogramme ein.

Igudesman: Zusammen mit der tollen jungen Geigerin Claire Wells, die ich nach Mannheim eingeladen habe, spiele ich die „Sherlock Holmes Fantasy“. Ich habe damals an der Filmmusik Hans Zimmers mitgearbeitet. Da gibt es immer eine Menge Material, das in der Endfassung des Films keine Verwendung findet, was oft schade ist. Das habe ich nun für die konzertante Suite verwendet.

Ich fand sie als YouTube-Video äußerst actionreich und sprunghaft, es ging immer schnell von einem Punkt zum anderen. Ist das Ihr Stil?

Igudesman: Ich glaube schon. Es sind die kreativen Sprünge, die man auch im Kopf hat. Überhaupt: Die heutige Musik ist eine farbenfrohe, anders als die doch recht trübe, museale aus dem späten 20. Jahrhundert.

Gut vernetzt scheinen Sie auch zu sein, berühmte Geiger spielen manche ihrer Stücke: Gidon Kremer und Viktoria Mullova. Wie schafft man das?

Igudesman: Über die Jahre lernt man viele Leute kennen. Und Hans Zimmer hat mir beigebracht: Als Musiker muss man vor allem furchtlos sein. Niemand wird sterben, wenn in einer Aufführung etwas danebengeht, und niemand wurde wegen falscher Noten ins Spital gebracht. Aber die klassische Musik ist in den letzten mehr als 100 Jahren leider äußerst streng und ernst geworden – grundlos, wie ich finde. Denn sie sollte Lust machen. Für mich gibt es zwei Arten von Musik, und das sind „E“ und „U“: „E“ steht für Entertainment, „U“ für Unterhaltung. Anders ausgedrückt: Alles ist Unterhaltung.

Doch die ganze Welt ist schon so laut und lustig. Wäre ein Kontrastprogramm nicht manchmal auch ganz schön?

Igudesman: Das Innige und Tiefe muss natürlich seinen Platz haben. Aber die Klassik darf eben nicht nur zum Meditieren oder Schlafen dienen. Dafür sind schon die Konzertkarten zu teuer.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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