Schriftsteller mögen Figuren und Plots ersinnen – die eigene Biografie verläuft hingegen oft anders als gedacht. Darüber könnte Walter Popp ein Buch schreiben. Allein oder mit Bernhard Schlink. Schließlich waren die beiden schon mal ein Autorenduo – als sie 1987 mit „Selbs Justiz“ einen Erstlingscoup landeten. Eine Begegnung so spannend wie ein Krimi.
Bei dem Namen Bernhard Schlink kommt einem sofort ein gutes Dutzend Romane in den Sinn, vor allem „Der Vorleser“, in mehr als 50 Sprachen übersetzt.
Aber wer bitte ist Walter Popp? So oder ähnlich dürften sich einige fragen. Wir treffen uns in dessen Heimatstadt Nürnberg im „Literaturhaus“-Restaurant. Bei der Kontaktaufnahme Wochen zuvor hatte der Mittsiebziger verblüfft reagiert. In all den Jahren, ließ er am Telefon wissen, habe sich niemand dafür interessiert, was aus dem einstigen Co-Autor des Erfolgsschriftstellers Schlink geworden ist.
„Bernhard und ich liebten Krimis“, erzählt Popp und verrät, dass sie besonders Raymond Chandler wegen dessen schnoddrigen Stils verschlangen. Dies sind freilich nicht die einzigen Berührungspunkte. Beide haben Jura studiert, sich bei einem gemeinsamen Forschungsaufenthalt in den USA mit EDV und Recht beschäftigt.
Die Idee, zusammen einen Krimi zu schreiben, sei über ein Jahrzehnt gereift. Aber zunächst war die berufliche Laufbahn im Blick: Der vier Jahre ältere Schlink promovierte in Heidelberg, habilitierte sich in Freiburg und startete als Professor eine Hochschulkarriere.
Popp betrieb in Mannheim mit Kollegen eine Kanzlei – „ich war ein linker Anwalt“. Damals besuchte er häufig das (nicht mehr existierende) Café Gmeiner am Wasserturm, den Kleinen Rosengarten in Theaternähe – diese Örtlichkeiten sollten später genauso in „Selbs Justiz“ auftauchen wie der Frauenbuchladen Xanthippe.
Popp und Schlink formulieren zusammen Satz für Satz
„Ich bin gern Anwalt gewesen“, blickt Popp zurück. Gleichwohl beschloss er nach fünf Jahren etwas Neues zu wagen, zog 1983 nach Paris, wo er als Barmann jobbte. Ein Jahr später siedelte er in die Provence um. Weil es seinerzeit noch schwierig gewesen ist, als deutscher Anwalt in Frankreich tätig zu sein, arbeitete er als Übersetzer. Dafür sollte sich ein langgehegter Traum erfüllen: das Schreiben eines Krimis gemeinsam mit dem Freund und Kollegen. Bernhard Schlink wohnte während eines Freisemesters drei Monate bei ihm.
Und wie ist „Selbs Justiz“ entstanden? „Oft haben wir zusammen an der Schreibmaschine Satz für Satz formuliert.“ Es seien aber auch inhaltlich vorbesprochene Kapitel getrennt geschrieben worden. Popp: „Am spannendsten war, den Plot auszutüfteln und zu überlegen, bringen wir Korten um oder nicht.“
Bekanntlich wird Generaldirektor Korten, einst gnadenloser Nazi, von Privatdetektiv Selb, ebenfalls mit brauner Vergangenheit, von einem Steilküstenpfad in den Tod geschubst. Dass der wie ein Unfall aussehende Mord an einem Mörder ungestraft bleibt, so Walter Popp, habe das Lektorat von Rowohlt gestört. „Wir wollten aber nichts umschreiben“, erzählt er. Und deshalb schickten die beiden das Manuskript an den Diogenes-Verlag, der „Selbs Justiz“ 1987 herausbrachte. „Dort hatte man mit unserem Schluss kein Problem.“
Bei Kritikern wie Lesern kam der in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen spielende Kriminalroman ebenfalls gut an. Besonders gefiel, dass die beiden Autoren eine spannende Handlung locker wie lakonisch, aber gleichwohl lehrreich mit Gesellschaftskritik verknüpften.
„Man darf mit Recht gespannt sein auf die weiteren Ermittlungen von Selb“, schrieb der „Mannheimer Morgen“. Und die sollten kommen – diesmal von Schlink als Soloautor.
Über den Bruch der Schreibpartnerschaft und der Freundschaft redet Walter Popp gegenüber einer Journalistin nur verhalten. Im Gespräch blitzt freilich auf, wie ihn enttäuscht haben muss, dass Schlink kaum in Deutschland zurück ein zweites Buch begonnen hat. Ohne Popp.
Nach Jahren der Funkstille sind sie heute wieder Freunde
Und der verhehlt nicht, sich außerdem schwergetan zu haben, dass sein Leben und Lieben in dem 1988 erschienenen Schlink-Roman „Die gordische Schleife“ als Blaupause diente. Für die Hauptfigur Georg Polger, der seine Anwaltskanzlei aufgeben hat und sich in Südfrankreich als Übersetzer mehr schlecht als recht durchschlägt.
Popp ärgerte, nein schmerzte, dass er als Mitautor des Auftaktes der „Selb-Trilogie“ zunehmend unter den Tisch fiel. Zwar prangen bis heute beide Namen auf dem Buch-Cover, aber in Rezensionen oder Krimi-Blogs wird „Selbs Justiz“ häufig als Schlink-Erstling gewürdigt – ohne Hinweis auf den Co-Autor.
„Nach Jahren der Funkstille haben wir uns wieder als Freunde gefunden“, erzählt Popp, der 2016 von Südfrankreich in die Heimat zurückgekehrt ist. Schlinks 80. Geburtstag – am 6. Juli – sieht er als gute Gelegenheit, sich mal wieder zu treffen statt nur telefonisch auszutauschen. „Aber erst muss ich mobil werden. “ Ein neues Hüftgelenk soll die blaue Krücke überflüssig machen.
Kann er sich nach dem vor einigen Jahren mit der Mannheimer Illustratorin Ingeborg Kempf herausgegebenen „Tagebuch eines Boule-Spielers“ ein weiteres Projekt als Schriftsteller vorstellen? Popp nickt und sagt, er würde gern für Tochter und Enkel „etwas schreiben, das bleibt“. Das Thema Kinderrechte bewege ihn. Und Kinderarmut treibe ihn um. Dass er finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet ist, daraus macht er kein Geheimnis. Seit Aufträge für Übersetzungen rar geworden sind, sei er auf „Grusi“ angewiesen, wie er Altersgrundsicherung kürzelt.
Und wie sieht es mit Tantiemen für den Longseller „Selbs Justiz“ aus? „Meine Rechte daran habe ich schon vor Jahren verkauft.“ Vielleicht sollte Walter Popp einen Roman schreiben und diesmal selbst sein Leben als „Stoff-Steinbruch“ nutzen. „Keine schlechte Idee“, frotzelt er. „Aber erst nach der Hüft-OP.“
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