Maria – bei dem Namen kommen einem zwei Personen in den Sinn: zum einen die Mutter Gottes, zum anderen „La Divina“, „Die Göttliche“, die in New York geborene griechische Ausnahmesopranistin Maria Callas (1923-1977). Letztere hat Regisseure weltweit zu Leinwand- und TV-Arbeiten inspiriert.
Francesco Zeffirelli näherte sich der „Primadonna assoluta“ 2002 in „Callas Forever“ in Form eines Spielfilms an, „Callas Assoluta“ (2007) bzw. „Maria By Callas“ (2017) betitelten Philippe Kohly respektive Tom Volf ihre Dokumentationen. Der deutsche Ausnahmeproduzent Bernd Eichinger („Der Name der Rose“) plante jahrelang – vergeblich – einen Film über sie, sein italienischer Kollege Pier Paolo Pasolini besetzte sie 1969 als „Medea“ seiner freien Bearbeitung der antiken Tragödie.
Bei Pablo Larraín tauchte sie 2016 in „Jackie: Die First Lady“ auf. Als Gegenspielerin von Präsidentengattin Jacqueline Kennedy, die – nach der Ermordung ihres Mannes – Callas den Gelebten, den schwerreichen Reedertitanen Aristoteles Onassis, abspenstig machte. Als „companion piece“, als „Schwesterfilm“ kann man nun dessen „Maria“ durchaus (auch) sehen. Einmal mehr begibt sich der chilenische Filmemacher in die High Society, in die vermeintlich wunderbare Welt der Schönen und Reichen. Wie zuletzt bei seinem „Lady Di“-Porträt „Spencer“, wo er sich ebenfalls als exzellenter Frauenversteher erwies. Wieder nach einem klugen, von pointierten Dialogen getragenen Drehbuch des Briten Steven Knight („Kleine schmutzige Tricks“) sowie einem sicheren Gespür für die richtige Besetzung.
Vielschichtiges Künstlerporträt und große Oper
Nach Natalie Portman und Kristen Stewart, beide Publikumslieblinge und Arthouse-Größen, hat er sich diesmal für die streitbare und ikonische Angelina Jolie („Maleficent“) entschieden. Eigenschaften, die auch die Callas ausmachten, die bei Larraín am Herd steht. „Es dauert genauso lange, ein Omelette zu braten wie Vincenzo Bellinis Arie ‚Casta Diva‘ zu singen“, erklärt sie ihrer treuen Haushälterin Bruna (Alba Rohrwacher). Ihre Stimme testet sie. Vier Jahre sind seit ihrem letzten öffentlichen Auftritt vergangen. Nun plant sie ein Comeback. Beobachtet und beschützt von ihrem langjährigen, fürsorglichen Diener Ferruccio (Pierfrancesco Favino) und ihrem Pudel, den sie mit Schinken von ihrem Teller füttert.
Hauptschauplatz ist die noble Pariser Wohnung der exzentrischen Diva. Fast täglich muss Ferruccio, der auch als Chauffeur tätig ist, den Flügel verschieben, da dessen idealer Standort laut Hausherrin auch nach Jahren noch nicht gefunden ist. Dann ist da noch das Problem mit den Pillen, die das Angestelltenduo vergeblich vor ihrer tablettensüchtigen Dienstgeberin zu verstecken versucht. Im September 1977 ist sie 53 Jahre alt. Auf die Bühne wird sie nie mehr zurückkehren, das Publikum ihr nie wieder zujubeln. Im ersten Bild liegt sie bereits tot auf dem Boden ihres wuchtig ausgestatteten, mit Blumen geschmückten Wohnzimmers. Bedeckt mit einem weißen Leintuch. Ein Stillleben. Ein Schwanengesang. Ein letzter Vorhang.
Angelina Jolie
Angelina Jolie wurde 1975 in Los Angeles geboren, besuchte in Beverly Hills die High School und nahm Schauspielunterricht am Lee Strasberg Theatre and Film Institute .
1999 gelang ihr als psychisch erkrankter Teenager in „Durchgeknallt“ der Durchbruch – belohnt mit einem Oscar als beste Nebendarstellerin .
Als Lara Croft reüssierte sie in „Tomb Raider“ (2001). Einen Hit landete die Spitzenverdienerin – 40 Millionen Dollar Gage bekam sie für „Wanted“, 33 Millionen für „Maleficent – Die dunkle Fee“ – mit der Actionkomödie „Mr & Mrs. Smith“ (2005).
Sie arbeitet auch als Regisseurin, Autorin und Produzentin („In the Land of Blood and Honey“, „By the Sea“). geh
Aus der Perspektive seiner Protagonistin erzählt der Filmemacher in Rückblenden von ihren Triumphen und Tragödien, ihren Siegen und Niederlagen. Mit einer stupenden Eröffnung zu Verdis „Ave Maria“ aus „Otello“ wird der Zuschauer förmlich in den Film hineingezogen. „La Traviata“, „Tosca“ und „Anna Bolena“ … Venedig, Mailand, die Metropolitan Opera in New York … Rauschende Premieren. Heimvideos. Eine Begegnung mit John F. Kennedy (Caspar Phillipson), ein Tag mit Onassis (Haluk Bilginer) – für den kleinen Mann mit der großen Zigarre ist Maria eher Trophäe als Partnerin – auf dessen Yacht. Eine wohl komponierte Ouvertüre, blitzschnell und elegant aus unterschiedlichem Filmmaterial montiert. Super-8, Schwarz-Weiß, Nachrichtenclips. Vergangenheit, Gegenwart. Traum und Albtraum.
Perfekt versteht es Jolie, „La Callas“ zu verkörpern. In vier Kapitel – „La Diva“, „Wichtige Wahrheit“, „Letzter Vorhang“ und „Ende (Abstieg)“ – ist das von Ed Lachman („Carol“) vorzüglich fotografierte, in allen technischen Belangen makellos umgesetzte Drama aufgeteilt. Mit der Stimme der Callas als zweiter Hauptdarstellerin. Und mit Rohrwacher („Land der Wunder“) und Favino („Il Traditore“) als kongenialen, zurückhaltend und nuanciert agierenden Partnern. Ein intimes, vielschichtiges Künstlerporträt, das sich einer Legende nähert, ohne sie zu verklären oder demontieren. Große Oper im Wortsinn. Larraíns würdiger Abschluss seiner Trilogie über faszinierende Frauen des 20. Jahrhunderts.
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