Konstantin Gropper:
Frankfurt/Mannheim. Das Konzert war für mich tatsächlich das erste in dieser Größenordnung. Ich habe mich einfach immer für weniger erfolgreiche Bands interessiert. Also: aufregend! Die Arctic Monkeys vor 15 000 begeisterten Fans zu sehen stellt dann auch für einen Moment etwas seltene Gerechtigkeit in der Welt her: Die haben es nämlich verdient, eine der größten Rockbands der Welt zu sein! Das große Spektrum ihres Schaffens ist voll von ausschließlich künstlerisch motivierten, mutigen Wendungen und von den Indie-Disco-Floorfillern bis hin zu den beiden neuesten, schwelgerischen, durchaus sperrigen und extrem untanzbaren Crooner-Meisterwerken (mit denen ich erst zum richtigen Fan wurde) haben sie immer Stil und Seele bewahrt. Ich war also sehr gespannt, wie die Monkeys Tanzen und Schmusen auf den Abend verteilen würden. Zuletzt sah ich sie, als wir uns eine Festivalbühne in Griechenland teilten und es wurde ausschließlich getanzt, vielmehr: gerockt.
Ein Fall für die Familientherapie?
Zunächst betreten aber fünf sehr junge Männer aus Dublin die Bühne. „Ich will nicht werden, was mein Alter ist!“ sangen die Ton Steine Scherben. Aber was, wenn der Alte Bono heißt? Inhaler, die Band um Rockstar-Sprößling Elijah Hewson erinnert tatsächlich auch ohne diese Hintergrundinformation zuallererst an U2 und lässt leider auch sonst etwas eigene Identität vermissen. Mangelnde Rebellion – ein Fall für die Familientherapie?
In der Umbaupause lässt sich die Demografie studieren: Das Publikum ist bunt gemischt, aber in der eindeutigen Überzahl weiblich und jung. Interessant und schön ist das, nach 20 Jahren Bandgeschichte mit einigen Neuerfindungen. Der Auftritt von Alex Turner und seinen Kollegen wird dann auch mit so ohrenbetäubendem Kreischen gefeiert, dass man sich fragt: Ist da noch Luft nach oben, etwa bei BTS? Und so viel älter als ihre Vorgruppe sehen sie nicht aus, die Vier aus Sheffield. Ihre eher unprominente Heimatstadt ist meine persönliche Britpop-Hauptstadt, weil sie noch eine weitere Lieblingsband hervorgebracht hat: Pulp.
Gemeinsamkeiten mit Pulp
An diesem Abend wird mir klar, neben ihrer Herkunft haben die beiden Formationen noch einige Gemeinsamkeiten: herausragende, exzentrische und augenscheinlich gar nicht zum Rockstar taugende Frontmänner mit Faible für hochhackige Herrenschuhe (Turner trägt an diesem Abend Lack), immer deutlich mehr „Art-School“ als „Football“ im Vergleich zu den Bands ihrer Generation, eine Vorliebe für schrullige Song-Protagonisten, elaborierten Wortwitz und die 70er als wichtigste Inspiration: Glamrock, Punk, Disco, aber eben auch Serge Gainsbourg.
Alles ist eigentlich nicht für den Mainstream gedacht, und doch sind sie in den Rock-Arenen gelandet. Und so verzeiht man Turner auch die breitbeinigsten Rockposen, sogar die anfängliche Sonnenbrille (die hat Herr Hewson immerhin nicht von seinem Dad übernommen), weil alles eher wirkt wie eine ironische Inszenierung. Überhaupt ist das hier nur vordergründig eine angenehm unprätentiöse Rockshow (Gitarren werden zum Beispiel so gut wie nie gewechselt). Es herrscht eine geschmackvolle Liebe zum Detail und zu den 70er Jahren. Die Kulisse könnte einer Aufzeichnung des „Old Grey Whistle Test“ entstammen, sogar die Videoleinwände werden mit handgeführten Kameras in VHS-Optik bespielt – könnte man einfacher haben, es macht aber den Unterschied.
Alles "Vintage"
Alles ist „Vintage“, jedes Kleidungsstück, jedes Instrument. Aus den den deprimierenden 70er-Mief-Farben Braun, Ocker und Blassgrün, zaubern die Monkeys großes Kino. Sie decken die 20-jährige Geschichte mit all ihren unterschiedlichen Facetten ab – sehr beeindruckend, trotz nicht sehr guten Sounds. Ich hätte trotzdem gerne mehr neue Songs gehört.
Der Mannheimer Konstantin Gropper (40) ist Kopf, Songwriter und Sänger der Indie-Pop-Band Get Well Soon, Produzent und Komponist u.a. für Netflix
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Jörg-Peter Klotz
Turmhohe Erwartungen vor einem Konzert sind selten eine gute Idee. Fast immer werden sie enttäuscht. Für die seltenen potenziellen Ausnahmen versucht man es auch nach über vier Jahrzehnten als Konzertgänger und mit schmerzendem Kreuz nach langem Arbeitstag immer wieder gern. Was die Arctic Monkeys (AM) am Montagabend in der seit Monaten ausverkauften Frankfurter Festhalle abliefern, übertrifft alle Hoffnungen und wirkt wie musikalische Osteopathie. Man hört – staunt. Und grinst vor Glück...
Viele Boomer-Tochter-Konstellationen
Erstaunlich ist auch die Struktur des Publikums, in dem ungewöhnlich viele Boomer-mit-Tochter-Paarungen auflaufen. Dass junge Frauen, viele davon jünger als die 2002 gegründete Band, bei einem derart großen Konzert fast in der Überzahl zu sein scheinen, erlebt man selten, wenn es nicht um K-Pop oder sonstige Boygroup-Phänomene geht. Und es ist ein Erlebnis, dass der sehr erwachsen gewordene Anspruchs-Lounge-Rock der Arctic Monkeys auch so gehört werden kann, dass er massenhaft spitze Entzückensschreie auslöst. Auch die Väter sind ähnlich verzückt, freuen sich aber mehr nach innen.
Vorband Inhaler um Bonos Sohn flacht schnell ab
Bei der Vorgruppe ist die Freude eher geteilt: Das irische Quartett Inhaler wurde 2021 wohl hauptsächlich dank der DNA ihres Sängers auf Platz eins der britischen Album-Charts geführt: Elijah Hewson ist der Sohn eines gewissen Paul David Hewson, besser bekannt als Bono von U2. Der hat das Glück (oder Pech?) sehr ähnlich zu klingen wie sein Vater. Also hört man ihm gern zu, zumal diese junge Hitfabrik munter startet und echten Teenager-Alarm in der Festhalle auslöst. Beim dritten Song flacht das Ganze aber mächtig ab, ausgerechnet die Nummer „Dublin In Ecstasy“ gerät erschreckend langweilig. Und durch die Sonnenbrille Bonos würde man am liebsten fragen, ob dieser aufgewärmte 80er-Sound nicht etwas altmodisch ist. Inhaler bringen ihre 40 Minuten solide unterhaltsam mit dem Millionenklicker „My Honest Face“ zu Ende. Den Namen sollte man sich trotzdem merken – und Bono seinem Sohn mal „Achtung Baby“ oder „Zooropa“ vorspielen.
Weiter Weg seit 2006 in Mannheims Alter Feuerwache
Inhaler mit den Arctic Monkeys zu vergleichen, wäre unfair. Schon die Ekstase beim Auftritt von Frontmann Alex Turner und Co. ist kaum zu toppen (in Frankfurt gelingt das im Lauf der zwei Stunden allerdings mehrfach). Auf dem Weg zur Stadionband präsentieren sich gereifte, mehrfach gehäutete Musiker beeindruckend souverän. Auch wenn manche Feinheiten, etwa im Leadgesang, im Mix kaum zu hören sind, und sich die Band gelegentlich verspielt. Was nur noch souveräner wirkt, weil es bei großen, streng durchgetakteten Konzerten oft überperfekt zugeht.
Als AM 2006 in der damals schon viel zu kleinen Alten Feuerwache ihr bislang einziges Konzert in Mannheim spielten, waren sie eine umwerfende Gitarrenrockband mit großartigen Songs. Heute verkörpern sie fast alle Spielarten von Britpop und bringen ihre bislang sieben, teilweise höchst unterschiedlichen Alben live auf einen Nenner. Auch das ein seltenes Kunststück, zu bewundern gleich beim Auftakt: Wie sie auf die fast schon laszive, delikat dunkel groovende Bond-Song-Bewerbung „Sculptures Of Anything Goes“ vom aktuellen Werk „The Car“ (2022) den rhythmischen Wirbelsturm „Brainstorm“ folgen lassen, ist umwerfend frech.
Ein Abend der Hoffnung macht
Die Frühwerke „The View From The Afternoon“ und „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ ordnen sich ein und werden gefeiert – aber nicht so triumphal extrem wie „Do I Wanna Know?“, „Arabella“ und andere Nummern vom „AM“-Album (2013). Fazit: Wenn relativ anspruchsvolle Rockmusik die polarisierten Generationen so zusammenbringen kann wie an diesem Abend, ist doch noch Hoffnung.
Jörg-Peter Klotz (56) ist seit 1993 Rock- und Popkritiker dieser Redaktion
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