Indie-Rock

Aufnahmen zum neuen Album für The National waren eine schwere Geburt

The National legt mit "First Two Pages Of Frankenstein“ das neunte Album vor. Selten ist ihnen eine Produktion so schwer gefallen - nicht zuletzt wegen der Depressionen des Sängers Matt Berninger in der Pandemie

Von 
Marcel Anders
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Frontmann Matt Berninger (Mitte) und seine Band The National haben gerade ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht. © Josh Colemann

Mannheim. Sie gilt als eine der angesagtesten Indie-Rockbands der USA: The National aus Cincinnati/Ohio. Seit den frühen 2000ern aktiv, veröffentlicht das Quintett alle zwei bis drei Jahre ein neues Album, spielt in immer größeren Hallen und unterhält zig Nebenprojekte. Und doch: „First Two Pages Of Frankenstein“, das neunte Werk dieser extrem produktiven Musiker, war - so Gitarrist Aaron Dessner - eine schwere Geburt: „Während der Pandemie litt unser Sänger, Matt Berninger, unter heftigen Depressionen. Wir haben alles getan, um ihm aus dem mentalen Loch herauszuholen. Aber er verlor seine Stimme und hatte eine Schreibblockade - was die Aufnahmen enorm verzögert hat. Der Durchbruch kam mit dem Song „Tropic Morning News“. Danach wurde es langsam besser und auch einfacher.“

Das komplexe Simple

Erst Sinnkrise, dann Kreativschub. Aaron Dessner, der so etwas wie der musikalische Direktor von The National ist, spricht von einem Drama, das letztlich jedoch für ein spannendes, neues Kapitel der Bandgeschichte sorgt. Eben elf Songs, die zum Teil live beim letztjährigen Konzert im Hamburger Stadtpark aufgenommen wurden - und pure Selbsttherapie sind. Es geht um schmerzhafte Scheidungen, Depressionen, pandemische Einsamkeit und sogenanntes „Doomscrolling“: Unsere seltsame Begeisterung für Negativ-Nachrichten auf Handy und Computer. Die neue globale Volkskrankheit - so Dessner.

Das ist der Nebeneffekt der sozialen Medien: Negative Gedanken werden durch den Algorithmus noch verstärkt.
Aaron Dessner

„Das ist der Nebeneffekt der sozialen Medien: Negative Gedanken werden durch den Algorithmus noch verstärkt. Und man kann süchtig danach werden - wovon ich mich nicht ausnehme. Ich bin geradezu besessen von den Ereignissen in der Ukraine, weil es der erste Krieg ist, den man in Echtzeit verfolgen kann. Das ist faszinierend, aber auch verstörend.“

Anspruchsvolle Inhalte passen zum cineastischen Sound

Die anspruchsvollen Inhalte und Themen passen zu einem vielschichtigen, cineastischen Sound. Was vor über 20 Jahren als Gitarren-lastiger Indie-Rock in der Manier von R.E.M. begann, ist inzwischen experimentell und genreübergreifend: ohne feste Songstrukturen aus Refrain und Strophe, mit einem Hybrid aus Akustik-Folk, Electronica und Orchester-Pathos. Ein bisschen wie Radiohead - ohne weinerlichen Gesang.

The National

  • The National zählen zu den erfolgreichsten Indie-Rock-Bands überhaupt – ihre Geschichte begann 1991 an der University Of Cincinnati. Dort trafen sich Bassist Scott Devendorf und Sänger Matt Berninger.
  • 1996 zogen sie nach New York. Dort schlossen sich ihnen 1999 Scotts Bruder Bryan (Schlagzeug) und die Dessner-Brüder Aaron und Bryce an (beide Gitarre/Keyboards).
  • Ihr erstes Album erschien 2001 und hieß wie die Band: „The National“. Seit 2007 erreicht das Quintett mit seinem düster-melancholischen Sound zwischen Joy Division und Wilco ein immer größeres Publikum. Die Alben „High Violet“ (2010) , das für einen Grammy nominierte Meisterwerk „Trouble Will Find Me“ (2013) und „Sleep Well Beast“ (2017) waren weltweit in den Charts.
  • Ihr Auftritt 2014 macht the National zu einer der namhaftesten Bands in der Geschichte des Mannheimer Maifeld Derbys.
  • Ihr neuntes Studioalbum „First Two Pages Of Frankenstein ist soeben beim Label 4AD erschienen. 

„Wir tendieren zu einem immer größeren Sound - etwas, das auf den ersten Blick sehr simpel ist, hinter dem sich dann aber etwas äußerst Komplexes verbirgt. Hinzu kommt der Mix aus dem Orchestriertem und rein zufälligen Geräuschen. Das ist es, was die Magie einer Aufnahme ausmacht: Je öfter man sie hört, desto mehr entdeckt man. Insofern sind die Songs wie Skulpturen. Wir feilen wirklich lange daran herum.“

Duett mit Taylor Swift

Der Albumtitel „First Two Pages Of Frankenstein“ ist denn auch pure Ironie: Eine Horrorstory sind die elf Songs nun wirklich nicht. Eher das perfekte Bindeglied zwischen Indie-Idealismus und Mainstream-Pop. Eine Schnittstelle, die der Band ein Millionenpublikum beschert - und für Gastauftritt von Phoebe Bridgers, Sufjan Stevens sowie Superstar Taylor Swift sorgt.

„Sie war ein Fan unserer Band und dann habe ich ihre Alben „Folklore“ und „Evermore“ produziert. Insofern ist es ganz natürlich, dass sie jetzt hier zu hören ist: Wir sind gute Freunde, und als ich ihr den Song ,The Alcott’ geschickt habe, hat sie ihn in 20 Minuten umgeschrieben und dadurch gleich viel besser gemacht. Mit ihr zu arbeiten, macht einfach Spaß.“

Für Dessner das i-Tüpfelchen auf einem Album, dessen langwierige Entstehung sich im Nachhinein als Glückgriff erweist: Sie sorgt für ein erfrischendes „jetzt erst recht“-Moment.

Freier Autor

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