Mannheim. Es sind mehr als sechs Jahre, eine Pandemie und ein beispielloser politischer Showdown vergangen seit unter dem Etikett Söhne Mannheims ein Studioalbum erschienen ist. Das Ergebnis eines komplexen Prozesses der Neufindung seit 2019 ist eine nur noch zehnköpfige Grundformation.
Diese besiegelt nun mit dem siebten Söhne Album „Kompass“ endgültig den Restart des 1995 von Xavier Naidoo erdachten Bandprojekts. Die 16 Songs erscheinen am Freitag, 15. September, als CD und digital.
Vielfältige 56 Minuten
Wie hörenswert und vielfältig diese 56 Minuten ausfallen, können Hardcore-Fans der Band schon absehen: Neun Songs haben ihre Live-Feuertaufe schon hinter sich, zuletzt beim Open Air in Fürth bestimmte neues Material fast die Hälfte des Konzerts - bei hoher Akzeptanz. Es gibt nachdenkliche, eindrückliche Nummern wie „Moral“, „Keine Eile“, „Kompassnadel“, „Am anderen Ende der Welt“, „Aus und vorbei“ und das wunderbar fragile „Vergessen“ am Schluss. Dazu kommen Aufbruchstimmung in „New Fire“, „Mut“ und „Running Out“ und viele radiotaugliche Balladen. Fast alles garniert mit kleinen Sound-Ideen, die im hochtransparenten klaren Sound gut zur Geltung kommen.
Als der Erfolgsweg der Söhne um die Jahrtausendwende begann, schwirrten über 20 Leute auf der Bühne herum. Das aktuelle Tentett ist also die kleinste Formation der Bandgeschichte. Trotzdem ist der kreative Input auf so viele Schultern verteilt wie noch nie - das extrem umstrittene Vorgänger-Werk „MannHeim“ (2017) war eine um zwei, drei Leute erweiterte One-Man-Show Naidoos. Jetzt sind allein 19 Komponisten im Booklet verzeichnet, 14 Texter und drei Produzenten.
Wobei man tatsächlich gendern müsste: Ulrike Mayer hat den Ohrwurm „Fragmente“ mitkomponiert, Viola Siller die „Bacholorette“-Nummer „Hauptgewinn“. An diesem Duett zu dritt wirkt Clara Louise als Sängerin und expliziter Feature-Gast mit.
Erstmals drei Frauen in den Credits
Die Wahl-Salzburgerin verantwortet mit Michael Klimas, Toni Berardi und Viola Siller auch den Text dieser poppig-eingängig dahinschmelzenden Liebesballade. Clara Louise ist damit die erste weibliche Stimme, die bei der Großformation der Söhne zu hören ist (wie berichtet). Mit Stephanie Neigel alias Phallée war schon eine Tochter der Stadt Worms als Frontfrau des Söhne Mannheims Jazz Department Teil des Band-Kosmos.
Trotz dieser Vielfalt gibt es dominante Figuren: Michael Klimas und Giuseppe „Gastone“ Porrello haben den Großteil der Songs kreativ geprägt. Bis auf den neu dazu gestoßenen Gitarristen Thilo Zirr sind tatsächlich aber alle Bandmitglieder in den Credits vertreten: am stärksten Keyboarder und Produzent Florian Sitzmann, Rapper Metaphysics (mit seinem bürgerlichen Namen Herbert Schwamborn), Bassist Edward Maclean und Sänger Karim Amun.
Kreativarbeit auf viele Schultern verteilt wie nie
Erstaunlich bei dem Heidelberger Live-Frontmann der Söhne: Anders als bei Konzerten ordnet sich seine Stimme neben den meist ebenfalls sehr sanften Dominic Sanz ein, während die Stimmen von Gastone und Klimas stärker herausstechen.
Der Wahl-Wiener Klimas hat drei Viertel der Songs produziert, an fast der Hälfte mitkomponiert und sechs Texte beigesteuert. Die breit gestreuten musikalischen Interessen des früheren Grunge-Rockers erklären zum Teil das enorme Stilspektrum auf „Kompass“. Es ist noch weiter gefasst als das maßgeblich von Tino Oac geprägte, etwas rockigere „Barrikaden von Eden“, das 2011 das erste Album ohne entscheidende Beteiligung der Bandgründer Naidoo und Michael Herberger war. Interessant: Die Schlussproduktion fand im Kangaroo Studio in Karlsdorf statt. Dort hatten die Söhne mit Hilfe von Vilko und Edo Zanki (1952-2019) aus ihrem Ideenwust das bahnbrechende Debütalbum „Zion“ (2000) gezimmert.
Klimas und Gastone prägen den Sound am meisten
Es wäre Unsinn, den nach außen so ruhigen und unprätentiösen Giuseppe „Gastone“ Porrello als neuen Xavier Naidoo aufs Schild zu heben. Nichts läge dem Frankfurter wohl ferner. Aber die unverkennbare brüchig-raue Stimme und das brillante Songwriting des langjährigen, fast ewigen Kritiker-Geheimtipps prägen diese Platte enorm. Auch seine Sichtweise als mit den Zuständen in der kapitalistischen Welt hadernder Geist prägt den Sound sehr. Da Klimas ähnlich tickt, dominiert inhaltlich die Suche nach Sinn und Orientierung. Der „Kompass“ ist zwar da, die wie in den Anfangstagen multikulturell offene, humanistische Haltung klar. In sich rasant verändernden Zeiten. Klar wird, es ist nicht leicht sich zurechtzufinden - aber Liebe („Ich hab Liebe für dich“) und Familie („Alles dafür“) sind Kompassnadeln. Der Ton unterscheidet sich dabei wohltuend vom Verkündigungsgestus mancher Naidoo-Texte.
Sozialkritik auch ohne Politikerfeindlichkeit
2017 hat Naidoos politikerfeindlicher Song „Marionetten“ einen Skandal bis in Regierungskreise ausgelöst. Nur halb aufgelöst nach einem Ultimatum von Mannheims damaligem Oberbürgermeister Peter Kurz. Aus Loyalität zu ihrem Freund und Bandgründer, aber auch als Verteidiger der Kunstfreiheit haben sich viele Söhne damals in den Konflikt hineinziehen lassen. Schon zu Beginn von „Kompass“ zeigt die aus Gastones Repertoire stammende, brillante Nummer „Moral“, dass kompromisslose Gesellschaftskritik weiterhin möglich ist - auch ohne politischen Kräften Steilvorlagen zu liefern, die alles andere als eine tolerante Gesellschaft wollen. So zeigt der Kompass auf „Volle Kraft voraus“.
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