Konzert

Bei Peter Gabriel wird in Frankfurt Pop zum Kunst- und Lebenswerk

Weit mehr als nur ein Konzert hat Peter Gabriel bei seinem Auftritt in der ausverkauften Frankfurter Festhalle präsentiert. Der Autritt im Rahmen der "i/o"-Tour macht den Blick frei auf ein Lebenswerk

Von 
Martin Vögele
Lesedauer: 
Peter Gabriel macht derzeit auf seiner „i/o“-Tour Station in Deutschland, unter anderem in Berlin (Bild) und Frankfurt. © Hannes P. Albert/dpa

Frankfurt. Das privilegierte Problem, wenn man es so nennen will, mit diesem Konzert von Popkünstler Peter Gabriel in der Frankfurter Festhalle ist, dass man nicht weiß, worüber man zuerst reden oder staunen oder wo überhaupt beginnen soll.

Vielleicht ja noch vor dem Anfang, als die Projektion einer Gestalt im orangenen Overall im Minutentakt die veränderten Zeigerstellungen auf das Ziffernblatt einer Uhr malt und wieder wegwischt: eine wunderbare poetische Vergegenwärtigung von Zeit. Oder ganz am berührenden Ende, als Gabriel und seine Band schon die Bühne verlassen haben, und nur das Schlagzeugspiel von Manu Katché und der Gesang des Publikums zurückbleiben, das wortlos die Melodie von „Biko“ weitersingt,

73-jährige Rock-Sensation

Gabriels Anti-Apartheid-Song von 1980, den er nach gewaltsamen Tod von Bürgerrechtler Steve Biko schrieb. Oder man erzählt von der immer wieder frappierenden Video-Kunst-Ästhetik, den Visualisierungen zur Show, die diverse Künstler, darunter auch Ai Weiwei (bei „Road To Joy“), gestaltet haben.

Aber dann hätten wir praktisch noch gar nicht von Gabriel selbst gesprochen, dem heute 73-jährigen britischen Sänger, Keyboarder und Komponisten, der einst in den 1960ern die Band Genesis mit begründete und zur Art-Rock-Sensation werden ließ. Ab 1975 beschritt er Solo-Wege, auf denen er so wegweisende Werke wie das 1986er-Album „So“ hervorbrachte - von dem an diesem Abend eine ganze Reihe von Stücken zu hören sind. Der, der uns hier mahnt, die Welt zu erhalten - „Here Comes The Flood“ singt er zur Konzerteröffnung auf Deutsch. Der, der über die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz sinniert und dabei einen wunderbar dezenten, selbstironischen Humor besitzt. Der gegen Ende seine Crew mit ins Kamerabild holt, um ihr für ihre Arbeit zu danken.

Songs erscheinen im Mondzyklus

„i/o The Tour“, auf der Gabriel nun vor vollem Haus in Frankfurt gastiert, ist seine erste Europa-Konzertreise seit rund zehn Jahren. Die ausladende Entwicklungsgeschichte des dazugehörigen Albums lässt sich kaum kurz zusammenfassen. Der Titel „i/o“ steht jedenfalls einerseits für „input/output“, ebenso lässt er sich mit dem Jupitermond Io assoziieren.

Tatsächlich veröffentlicht Gabriel zu jedem Vollmond eine neue Single, zu jedem Neumond folgen Mix-Versionen. Es ist mithin gleichsam die Tour zu einem Album, das es noch gar nicht gibt, sondern sich in einem fortlaufenden Entstehungsprozess befindet.

Band lässt Klassiker strahlen

Ebenso wenig wie Gabriel Stimme - wie schafft man es, mit Anfang 70 so stark zu singen? -, sind den daraus hervorgegangenen Songschöpfungen künstlerische Ermüdungserscheinungen anzumerken. Das gilt für „Panopticom“ und „Four Kinds Of Horses“ oder „The Court“, vor allem auch für die behutsame Ballade „This Is Home“.

Die mit so langjährigen Weggefährten wie Tony Levin, David Rhodes und Manu Katché sowie der umwerfenden Sängerin und Cellistin Ayanna Witter-Johnson exquisit besetzte Band lässt gleichermaßen Gabriels Klassiker strahlen: „Digging In The Dirt“ in seiner Nervensystem-überreizenden Intensität, „Sledgehammer“ in all seiner Aufprallkraft, „Dont’ Give Up“ (grandios!), „Red Rain“, „Big Time“ oder „Solsbury Hill“. Das hier ist nicht nur ein Konzert, das ist Pop als Kunst- und Lebenswerk.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen