Es gibt ja viele verschiedene Arten, über die chinesische Schrift zu schreiben. Statt wie üblich zuerst die Bildhaftigkeit der Schrift zu erklären und die Schwierigkeiten, sie zu lernen, um dann Beispiele zu bringen, geht Lothar Ledderose einen anderen, faszinierenden und einleuchtenden Weg. Sein Essay beginnt mit einer Einzigartigkeit, die er an drei Bildern aufzeigt: zwei junge Männer kniend vor einer Buddhafigur im Pekinger Yonghe Tempel, Frauen vor dem Gnadenbild Mariae in Altötting, aber das dritte zeigt eine Szene, „für die es im Abendland keinen Vergleich gibt“. Denn hier erscheint der Buddha nicht in menschlicher Gestalt, „sondern als überdimensionales Schriftzeichen, fo, das ‚Buddha’ bedeutet. Das Schriftzeichen verweist jedoch nicht auf den Buddha, sondern es macht ihn präsent“. Seine numinose Kraft „wirkt durch das Medium der Schrift“.
Aus weiter Ferne zu sehen
Ledderose, der in Heidelberg Professor für die Geschichte der ostasiatischen Kunst war, erklärt die Wichtigkeit der Schrift für die Chinesen an vielen Beispielen. Eine Besonderheit war, dass heilige Texte schon von Daoisten in Berge gemeißelt wurden, vor allem in Shandong, der Heimat von Konfuzius und Mencius. Die Buddhisten benutzten gar 21 Berge als Schreibunterlage, auf dem heiligen Berg Tai steht das halbe Diamantsutra: „Die 45 Zeilen fließen wie eine Kaskade über die Felsplatte.“ Schon aus der Ferne waren und sind sie noch zu sehen, wie der über neun Meter hohe Name „Buddha König der Großen Leere“ (Da kong wang fo). Zudem gelten Schriftrollen den Buddhisten auch als Reliquien, statt Knochen.
Chinesische Zeichen folgen übrigens nicht unbedingt linear aufeinander, sondern können auch zum Beispiel kreisförmig angeordnet werden. Sie sind flexibel genug, um auch moderne, westliche Begriffe aufzunehmen, und unterstützten jahrhundertelang die politische Stabilität des Landes, weil fast alle Völker in Chinas Reich die Schrift übernahmen. Und die Schrift ist einer der Gründe, „warum in China anders gedacht und gehandelt wird als im Westen“. Ledderose gelingt es, viele erstaunliche Fakten präzise, aber gleichzeitig locker und gut lesbar zu präsentieren, mit vielen Fotos illustriert, so dass auch Laien all dem folgen und ihren Gewinn daraus ziehen können. Sein Buch, das auf einem Vortrag für die Heidelberger Akademie der Wissenschaften beruht, ist somit eine kleine Schatzkammer (fuzang) für alle, die sich für die chinesische Sprache und Kultur interessieren.
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