Karlsruhe

Bundesverfassungsgericht:  Naidoo durfte Antisemit genannt werden

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Die Amadeu Antonio Stiftung durfte Xavier Naidoo als Antisemiten bezeichnen. © dpa

Karlsruhe/Mannheim. „Xavier Naidoo darf als Antisemit bezeichnet werden“, twitterte Timo Reinfrank umgehend, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung gegen den Mannheimer Popsänger am Mittwoch veröffentlicht hatte. Der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung nannte den Erfolg einer seiner Referentinnen beim obersten Gericht eine „wegweisende Verfassungsbeschwerde, die nicht nur die beiden vorherigen Urteile korrigiert, sondern auch die Meinungsfreiheit in der Auseinandersetzung mit Antisemiten erheblich stärkt und endlich mehr Rechtssicherheit schafft!“  

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat „eine zivilrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin zur Unterlassung einer Äußerung“ aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Fachgerichte zurückverwiesen. Die Referentin der 1998 in Heidelberg Amadeu Antonio Stiftung, die sich die Stärkung der Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus zum Ziel gesetzt hat, hatte bei einem Vortrag zum Thema „Reichsbürger – Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik“ auf eine Nachfrage über Naidoo gesagt: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“ Diese Äußerung stufte das Landgericht Regensburg im Juli 2018 als unzulässig ein, was das Oberlandesgericht Nürnberg im Oktober 2019 bestätigte. Beide Gerichte gewichteten die Prangerwirkung der Bezeichnung Antisemit höher als die Meinungsfreiheit. „Die beanstandete Äußerung sei zwar eine Meinungsäußerung, obwohl sie einen Tatsachenkern enthalte. Eine Gesamtabwägung ergebe aber, dass der Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht rechtswidrig gewesen sei. Die personale Würde des Klägers sei beeinträchtigt“, fasste das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen zusammen.

Ähnliches Urteil in Mannheim 2015

Ähnlich hatte das Landgericht Mannheim am 19. August 2015 entschieden (hier zum Gerichtsbericht). Naidoo hatte sich damals entschieden gegen die Vorwürfe des Journalisten Roland Sieber, damals ebenfalls Mitarbeiter der heute in Berlin ansässigen Amadeu Antionio Stiftung, gewehrt: „Ich bin doch kein Antisemit!“.  Sie wurden vom Landgericht  mit Blick auf die Meinungsfreiheit aber nur relativiert. Die Stiftung und Sieber mussten in einem Vergleich zwar klarstellen, dass sie Naidoo als Person nicht als Antisemiten oder Feind der Juden einstufen. Sie setzten aber die Formulierung durch, „dass Teile des Songs ,Raus aus dem Reichstag’ antisemitisch verstanden werden könnten.“ Sieber teilte auf Twitter die Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts, ergänzt durch den  Satz „Xavier Naidoo ist ein Antisemit.“

Karlsruhe stellte nun klar, dass eine der Grundannahmen des Berufungsgerichts in Bayern „verfassungsrechtlich relevant fehlerhaft" sei. Nämlich: „Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen sei der Vorhalt des Antisemitismus bei einem Sänger, der von der Interaktion mit dem Publikum abhängig sei und im besonderen Maße im Licht der Öffentlichkeit stehe, besonders schwerwiegend. Das Berufungsgericht verkennt im Ergebnis die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Beitrag nicht lediglich eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen geführt hat, sondern im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erörtert.“ Zudem müsse, wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben habe, eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindere.

Stärkung der Meinungsfreiheit

Der Kläger des Ausgangsverfahrens Xavier Naidoo habe sich mit seinen streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben. „Er beansprucht für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit. Schon deshalb liegt die Annahme, die Aussage der Beschwerdeführerin habe eine Prangerwirkung, völlig fern. Ihm mit Hinweis auf sein Bestreben nach öffentlicher Aufmerksamkeit und eine Abhängigkeit von der Zustimmung eines Teils des Publikums den vom Berufungsgericht beschriebenen besonderen Schutz zuteilwerden zu lassen, hieße Kritik an den durch ihn verbreiteten politischen Ansichten unmöglich zu machen. Zur öffentlichen Meinungsbildung muss eine daran anknüpfende Diskussion möglich sein“, so das Bundesverfassungsgericht,

Beschluss vom 11. November 202: 1 BvR 11/20

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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