Vor einigen Jahren bat die Fotografin Vanessa Beecroft in Berlin eine Gruppe jüngerer Frauen, stehend, sitzend oder liegend und fast nackt, nur mit durchsichtigen Strumpfhosen bekleidet, in der Neuen Nationalgalerie abgelichtet. Die Fotografien der Performance wurden von moralisch eifernden Zeitgenossen als „Fleischbeschau“ kritisiert. Aber alle wollten die Bilder sehen, auch jetzt wieder in der Ausstellung im Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel. Und manche Besucher stehen sehr lange davor.
21 Kuratoren waren mit der Schau „Fleisch“ befasst. Zwölf von ihnen sind Vegetarier. Sie befragten viele Leute, was ihnen Fleisch bedeute. Viele hielten viel davon, erstaunlich viele waren desinteressiert bis zum Ekel. Da wusste das Team, wie der Archäologe Thomas Hintermann sagt: „Wir haben einen Nerv getroffen.“ Das Publikum kommt. Fleisch als Nacktheit, Verführung und Sex ist von erstrangigem Interesse.
Wollust und Vergänglichkeit
Aber wie sieht es aus mit totem, verwesendem Fleisch? Die Besucher werden mit der Schönheit des Fleisches, aber auch mit seiner Vergänglichkeit konfrontiert. Sie bekommen anschaulich vor Augen geführt, dass Fleisch und unsere Körper unweigerlich im Verfallen enden.
Objekte aus aller Welt wurden nach Berlin geholt. Immer schon wurde ernst, aber auch ironisch über das Verhältnis des Menschen zum Fleisch nachgedacht. Da gibt es die Feier des Körpers und die Sinnlichkeit der irdischen Lust, hier am Beispiel einer barocken Venusskulptur. Oder am prallen, alabasterweißen Fleisch von Rubens üppiger „Andromeda“, die als Faksimile eine riesige Wand füllt.
Da gibt es die Gier auf Fleisch zum Essen, anhand der Tonfigur eines grotesk gemästeten Hundes aus Mexiko dargestellt, etwa 2000 Jahre alt, der als Fleischlieferant diente. Aber auch mit der Einstellung zum Fleisch in der Antike. Wer ein Tier tötete, beging eine Blutschuld. Deshalb stand in Pergamon ein kleiner zylindrischer Opferaltar für Tiere. Das Schlachten wurde zur rituellen Handlung erhoben. Das Christentum und der Islam hatten weniger Respekt vor dem Zerteilen von Tierkörpern.
In zahlreichen Religionen waren Tieropfer selbstverständlich. 1629 wurde in Bayern zu Fronleichnam die Hostie als verzehrbereites Fleisch Christi durch die Gassen getragen. Die prachtvoll-blutige Monstranz wird in der Ausstellung gezeigt.
In einem alten Kinderbuch spielt eine Frau mit ihrem Kind im Garten. Der Kommentar dazu: „Schweinchen schlachten. Würstchen machen. Quieck Quieck Quieck. Lustige Kleinkinderreime für Mutter und Kind.“ In keiner Kita würde heute noch aus einem solchen Buch vorgelesen. Dabei galten und gilt in China, Persien und Ägypten das Schwein als Glücksbringer und sogar Fruchtbarkeitssymbol. Im Mittelalter war das Tier ein Symbol des Sünders, weil es nicht aufschaut zum Himmel, zu Gott, sondern sich immer nur im Dreck suhlt. Das runde, fette Sparschwein gibt es immer noch in deutschen Haushalten.
Kannibalismus dokumentiert
Sogar Kannibalismus wird dokumentiert. In der Ausstellung ist unter anderem eine „Gabel zum Verzehr von Menschenfleisch“ von der Südseeinsel Fidschi zu sehen. Aber auch in Europa sollen Menschen Menschen gegessen haben, das wurde einst aus Hessen und Sachsen berichtet. Fleisch offenbare, heißt es im Katalog, „den allgegenwärtigen Konflikt zwischen Leben und Tod in der menschlichen Kultur“.
70 Kunstwerke und Objekte sind zu sehen. Zwischen verkörpertem fleischlichen Begehren, das zum Leben gehört, gibt es den Schinken, schon seit der Uruk-Zeit. Rund 3000 vor Christus belegt eine Tontafel 58 Bezeichnungen für Schweine. Eine „Literaturwurst“ vom Künstler Dieter Roth aus den 1960er Jahren sieht aus wie ein pfälzischer Saumagen. Das Fleisch muss für vieles herhalten – die Facetten des Themas werden in ihrer Vielschichtigkeit hier einmal kompakt ausgestellt.
„Fleisch“ auf der Museumsinsel
Die Ausstellung: Die Schau mit dem Titel „Fleisch“ widmet sich im Alten Museum (Bodestraße 1-3) auf der Berliner Museumsinsel einem Thema mit vielen Aspekten: Der Körper als Grundlage des Lebens und der Fortpflanzung ist vom Verfall bedroht und dient wiederum als Nahrungsquelle für anderes Leben. Diese Vielschichtigkeit und die Beziehungen zu Themenbereichen wie Genuss, Schmerz und Religion werden in der bis zum 31. August andauernden Ausstellung thematisiert.
Die Öffnungszeiten: Das Museum hat am Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet und am Donnerstag von 10 bis 20 Uhr. Montags bleibt das Museum geschlossen.
Eintrittspreise: Der Eintritt kostet zehn Euro (ermäßigt fünf Euro). Ein Katalog ist für 24,80 Euro erhältlich. Informationen, Buchung und Rückmeldung unter der Rufnummer: 030 / 266 42 42 42. lim
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