Friedrich, ein junger Schweizer, geht 1942 nach Berlin. Er will wissen, wie Menschen in einer Kriegsstadt leben, nebenher nimmt er Zeichenunterricht. Was er erlebt, ist laut Bestseller-Autor Daniel Kehlmann, der den Klappentext des Buches schrieb, das „Aberwitzige“, der Autor wolle „das Unerzählbare erzählen“. Die Begegnung mit Kristin, die in Wahrheit Stella Goldschlag heißt und als jüdische Frau „Greiferin“ für die Gestapo war. Sie hat Hunderte jüdischer Mitbewohner, die sich getarnt oder versteckt hatten, verraten.
Der Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Kristin tritt Friedrich als schönes blondes Aktmodell entgegen, er verliebt sich in sie. Zusammen mit dem gut gelaunten SS-Mann Tristan von Appen, Käse aus Paris und Jazzplatten machen sich die drei schöne Tage. Bis es ungemütlich wird. „Ich wollte nicht, dass mein Freund Tristan in der SS ist“, schreibt der Ich-Erzähler. „Ich wollte nicht, dass Kristin für ein Ministerium arbeitet. Ich wollte, dass wir drei weiter tanzen.“ Die Erkenntnis eines Unrechts, das geschieht, setzt sich bei Friedrich durch. Indes: Als er weiß, was Stella tut, will er dennoch nicht von ihr lassen.
Hoher Vorschuss
Takis Würger (34) ist Journalist, er arbeitet für den „Spiegel“. Sein Debütroman „Der Club“ sorgte für Aufmerksamkeit. Für „Stella“ soll er einen hohen Vorschuss erhalten haben. Hanser und der Autor setzen auf Tabubruch. Ein Mann liebt eine Frau, die dafür sorgt, dass Juden gefasst und ermordet werden. Eine grauenhafte Geschichte, von Würger leicht erzählt, in einem Stil mit meist kurzen, nacheinander gereihten Sätzen, die Leser in den Bann ziehen.
Viele werden das als zu glatt empfinden, schon ist von Kitsch die Rede. Die FAZ schrieb vom „Bum-Bum-Stil“ des Autors, der aber auch sinnlich und präzise schreibt. Als Ärgernis wird empfunden, dass Würger ein heikles Thema, vor allem für Deutsche, in einem flüssigen, unterhaltsamen Stil erzählt. Das Thema fand er bei Peter Wyden, der Goldschlag aus gemeinsamen Schulzeiten kannte; er starb 1998. Beide besuchten eine Privatschule für jüdische Kinder, Wyden war verliebt in sie, emigrierte aber 1937 mit seiner Familie in die USA. Goldschlag, Tochter eines Komponisten, und Familie blieben in Berlin. Wyden schrieb über sie ein Buch, auch andere jüdische Autoren. Goldschlag, die später den Namen Kübler annahm, wurde nach Kriegsende gefasst und von einem sowjetischen Militärtribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ein zweiter Prozess in West-Berlin, nach ihrer Freilassung, hatte keine weitere Haft zur Folge. Sie starb 1994 im Alter von 72 Jahren.
Der Ich-Erzähler ist ein schwacher Mensch. Als er miterlebt, wie sie einen Juden jagt, stellt er fest: „Ihre Lippen waren kalt.“ Stella steckt ihm Zettel mit Liebessätzen in die Taschen, während Goebbels irgendwo brüllt. Der Roman hat sofort nach Erscheinen eine rege Debatte ausgelöst. Darf Fiktion so weit gehen? Kann eine Todesfrau die Heldin eines Romans sein, einer Liebesgeschichte? Takis Würger greift einen brisanten Stoff auf, er entwickelt eine besondere Dramatik. Sein Thema ist die Banalität des Bösen.
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