Eine Hymne von Kassia aus dem 9. Jahrhundert, eine Barocksonate von Élisabeth Jacquet de La Guerre, jazzige und elektronische Klänge von Komponistinnen des 20. Jahrhunderts: Das ist der musikalische Bogen, der sich über dem dritten Abend von „Free Dance over Female Tunes III“ spannt. Nicht minder facettenreich und individuell ist die tänzerische und choreografische Bandbreite der sieben Miniaturen, die Sascha Koal, Leiter des Theater Felina Areal und Initiator des Formats, zu einer in jeder Nummer überzeugenden Revue gereiht hat: Geschichten werden spannend verdichtet, Gefühle expressiv vermittelt. Das Publikum lacht und leidet mit – und wird von Richard Oberschevens augenzwinkerndem Abschluss-Solo nach rund 100 Minuten beschwingt entlassen.
Die Musik muss von einer Frau komponiert worden sein – dies ist die einzige Vorgabe, die die Tänzer und Choreografen bei der Entwicklung ihrer maximal 15 Minuten langen Stücke beachten müssen. Entsprechend abwechslungsreich gestalten sich die Abende. Dieser beginnt fast mystisch: Vom Bühnenhimmel baumelt ein Kreis von Glühlampen herab. Um sie herum bilden Zuschauerbänke (die nach dem Stück schnell weggeräumt werden) ein Karree in der Dunkelheit. In der Mitte stehen zwei Tänzerinnen, Joelina Rietsche und Mareike Villnow, eng umschlungen. Als die Musik von Laurie Spiegel einsetzt, wird aus dem stummen Stehblues ein Wechselspiel vom Festhalten und Loslassen, Beschützen und Befreien. Eine Hommage des Choreografen Tobias Mulcahy an seine Mutter.
Thematische und tänzerische Kontrapunkte
Höchst komödiantisch verarbeiten Veronika Kornová-Cardizzaro und David Kwiek das Thema Vorurteile und Ausgrenzung zu „Frikassé“. In einer Fantasiesprache brabbelnd und pantomimisch überzeichnend machen sie deutlich: Sie liebt Tiere, er vor allem, dass man sie essen kann. Ein Herd, zwei Töpfe, Gemüse und ein Plastikhuhn, Elemente des Street Dance und Tutting sind Teil ihres Vokabulars. Thematische und tänzerische Kontrapunkte dazu setzen Katja Visschers und Amelia Eisen in „How do I know when I‘m there?“ sowie die beiden Schwestern Sarah und Sophia Wünsch, die in „Heimatlied“ nicht nur tänzerisch, sondern auch durch ihre Virtuosität als Geigerin und Pianistin in der Interpretation zweier zeitgenössischer Stücke beeindrucken.
Nach der Pause fordern Choreografin Katja Visschers und Mike Planz die Zuschauer emotional heraus. „Where did she go?“ erzählt von Gefühlen des Verlusts und inneren Kämpfen. Und erneut folgt ein stilistischer Kontrapunkt: Die Choreografen Luches Huddleston jr. und Giovanni De Buono erzählen zu Gesängen, die von Kassia, der ersten Komponistin des Abendlandes, überliefert sind, die Geschichte von Lilith. Elena Hollenhorst und Cara Hopkins zeigen sie als Göttin und Dämonin. Ein Genuss, ihnen dabei zuzusehen.
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