Mannheim. Ein „jüdisch-muslimisch-christlicher Dialog“ könne hier erlebt werden, erläutert Rainer Kern. „Und das auf musikalische Art und Weise - schöner kann ich es mir nicht vorstellen“, fügt der Festivalleiter von Enjoy Jazz hinzu, als er das Publikum im Samuel Adler Saal begrüßt und der Jüdischen Gemeinde Mannheim dafür dankt, ihr Haus -inmitten des Laubhüttenfests - für diese Konzertmatinee zu öffnen.
Musikalischer Dialog in der Jüdischen Gemeinde Mannheim
Dieser Dialog beginnt mit einer einsamen Flöte, der Ney, die Mehmet Ungan wie im flatternden Spiel mit dem Wind erklingen lässt, bevor er seine sonor schwingende Stimme erhebt und sein Bruder Ali Ungan mit der Langhalslaute Baglama die ersten behutsamen Tonschritte setzt.
Amnon Seelig begleitet das Lied alsbald mit wortlosem, zwischen Bariton und Oberton changierenden Gesang, und schließlich steigt Joachim Vette mit filigran gezeichneten Klavierornamenten mit ein. Eine ausgedehnte Stille, wie von angehaltenem Atem, folgt der letzten Note, und es ist Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde, der den tonlosen Bann bricht: „Sie dürfen klatschen“, merkt er mit seinem feinen Humor an.
„One Kindness, One Love“ ist der musikalische Vormittag betitelt, den die vier Künstler zusammen gestalten - Ali und Mehmet Ungan, beide Instrumentalisten, Vokalisten, Dozenten und Mitbegründer der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM), Amnon Seelig an Gesang und Klavier sowie Joachim Vette, Pianist, evangelischer Pfarrer und bis zum Sommer langjähriges Leitungsteam-Mitglied des ökumenischen Bildungszentrums sanctclara.
Musik mit Bezug zu „Kindness“ und „Love“ bei Enjoy Jazz in Mannheim
Ausgewählt wurden Stücke, die einen besonderen Bezug zu „Kindness“ und „Love“ haben - zu Güte und Liebe also, ebenso zu „Wertschätzung und Trost“, wie Seelig sagt. „Das Programm heute ist ziemlich eklektisch“, führt Joachim Vette weiter aus, und „es ist auch sehr persönlich. Wir haben Stücke mitgebracht, die uns wichtig sind, wenn es darum geht, zum Ausdruck zu bringen: Worin liegt Trost für uns, gerade in der Zeit jetzt.“
Seelig spielt mithin etwa „Makom Lede’aga“, eine Ballade nach einem Text von Yehonatan Geffen und der Musik von Matti Caspi, die er mit warmen Timbre singt und in melancholisch-wogende Töne setzt. Und in Caspis Komposition „Mangina Avuda“ begibt er mit ausnehmend starker Stimme auf die Suche nach einer verlorenen Melodie.
Vette interpretiert mit tiefem Gefühl zwei von Bachs Goldberg-Variationen und stellt ausdrucksvoll eine „Vater unser“-Melodie aus dem 15. Jahrhundert einer zeitgenössischen Variation des US-Komponisten Philip Lasser gegenüber.
Mehmet und Alti Ungan instrumentieren mit Laute, Gesang und Stachelgeige in so kontemplativer wie lebensvoller Manier ein Stück des Dichters und Mystikers Yunus Emre.
Die beiden sind es auch, die das reichlich furiose Finale einläuten: Mit Stimme, Oud und Baglama formen sie gleichsam ein Mantra, dessen Intensität Seelig mit seinen Improvisationen am Flügel und Vette auf gesangliche Weise verdichtet. Die Musik wird zusehends hypnotischer, durchdringender, dynamischer und dabei - ohne ketzerisch sein zu wollen - streng genommen zu reinem Rock ‘n’ Roll. Großer Applaus.
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