In „Wunderschön“, ihrer dritten Regiearbeit, hatte Karoline Herfurth – ganz auf Höhe der Zeit – über Beziehungen, Körperwahn, Geschlechterzwänge sowie Liebeslust und -leid räsoniert. Humorvoll, leicht, augenzwinkernd war der Ton – und 1,7 Millionen Besucher lockte die Komödie hierzulande trotz der damals grassierenden Corona-Pandemie in die Kinos. Nun knüpft die Filmemacherin mit „Wunderschöner“ nahtlos an ihrem Hit aus dem Jahr 2022 an. Erneut mit Monika Fäßller, auch bekannt als Monika Hebborn, als Co-Autorin, mit altbewährtem Personal und mit brisanten (Frauen-)Fragen – jedoch mit etwas weniger Humor und viel Angriffslust.
Film erzählt vom Frausein in heutigen Zeiten
Als Thesenfilm darf man die episodisch, manchmal gar didaktisch gehaltene Arbeit bezeichnen. In Robert Altmans „Short Cuts“-Manier setzt Herfurth ihre Figuren zueinander in Beziehung. Die Regisseurin selbst ist wieder in die Rolle der hyperkorrekten und überforderten Mutter Sonja geschlüpft, die sich inzwischen von ihrem Mann Milan (Friedrich Mücke) getrennt hat und mit diesem regelmäßig zur Paartherapie geht. Anker in ihrem Leben ist ihre beste Freundin, die mega-coole, woke Kunstpädagogin Vicky (Nora Tschirner), deren Partner, der durchtrainierte Sportlehrer Franz (Maximilian Brückner) sich gerade für ein paar Wochen in die Alpen verabschiedet hat, wo er ihre Beziehung „überdenken“ will.
Milans Schwester Julie (Emilia Schüle) hat in der Zwischenzeit ihre Karriere als Influencerin und Model an den Nagel gehängt. Sie sucht als TV-Aufnahmeleiterin eine neue berufliche Herausforderung – bedrängt von ihrem übergriffigen, vermeintlich allseits beliebten Chef Paul (Samuel Schneider) und herumkommandiert von der Star-Moderatorin Regine (Anja Kling), die sie Kaffee holen lässt und zum Gassi-gehen mit ihrem Hund verdonnert. Neu mit von der Partie ist Anneke Kim Sarnau als Nadine: eine mondäne, selbstbewusste Frau Anfang 50, die herausfindet, dass ihr Gatte Philipp (Godehard Giese), seines Zeichens Berliner Finanzsenator, regelmäßig die Prostituierte Nadja (Bianca Radoslav) aufsucht.
Deren Tochter Lilly (Emilia Packard) steckt unterdessen zusammen mit ihren umschwärmten Freundinnen in einem Schulprojekt über die Unsichtbarkeit von Frauen in der Historie und bastelt mit großem Eifer an einer Skulptur der Klitoris. Dabei beginnt sie über ihr Bild als Frau nachzudenken – und über ihr Verhältnis zu Freund Enno (Levy Rico Arcos), der auf Geheiß des Direktors mit seinen großsprecherischen Kumpels einen Kurs über „toxische Männlichkeit“ besuchen muss. Geleitet wird dieser von Trevor (Malick Bauer), Vickys neuem Kollegen, der dieser in Aussehen und Auftreten gut gefällt und ihre Libido weckt.
Karoline Herfurth – vor und hinter der Kamera talentiert
Romantische Girlies spielte die rothaarige, sommersprossige Karoline Herfurth in Teenagerfilmen wie „Crazy“ oder „Mädchen Mädchen“, ehe sie mit „Das Parfum“ (2008) und „Fack Ju Göhte“ (2013) zu einer gefragten Schauspielerin aufstieg.
Sie kam 1984 in Ost-Berlin zur Welt, besuchte die Waldorf-Schule, wo sie im Alter von zehn Jahren auf dem Pausenhof entdeckt wurde.
1995 absolvierte sie ihren ersten Kameraauftritt in der TV-Produktion „Ferien jenseits des Mondes“; nach ihrem Abitur schloss sie 2008 die Ernst-Busch-Schauspielschule ab, studierte dann Soziologie und Politikwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität.
Einen Publikumserfolg feierte Herfurth in der Außenseiter-Dramödie „vincent will meer“, als Blutsaugerin biss sie in „Wir sind die Nacht“ zu, als Komödiantin überzeugte sie in Helmut Dietls „Zettl“, internationale Aufmerksamkeit erregte sie in Brian De Palmas Erotikthriller „Passion“.
Seit 2016 arbeitet das Multitalent als Regisseurin und Drehbuchautorin , punktete mit den Komödien „SMS für dich“, „Sweethearts“, „Wunderschön“ und „Einfach mal was Schönes“ (nicht nur) an der Kinokasse.
Herfurth, Freundin von Nora Tschirner, unter anderem ausgezeichnet mit dem Grimme-, dem Ernst-Lubitsch-Preis sowie einem Bambi , ist mit dem Produzenten Christopher Doll („Buddy“) verheiratet und hat mit ihm zwei Kinder. geh
Eine Versuchsanordnung. Zielrichtung: das schwierige Frausein in heutigen Zeiten. Es geht um Mütter, Töchter, Ehefrauen und Geliebte, alt und jung, wehrhaft und unterwürfig. Um die Stellung der Frau unter der immer noch vorherrschende männlichen Dominanz, um das Frauenbild, das die Werbung vermittelt und wie dieses sich in der Realität darstellt. Es fehlt das Zusammenleben auf Augenhöhe, eine echte Gleichberechtigung. Die Schwierigkeit der weiblichen Ermächtigung kommt zur Sprache, #MeToo ist natürlich Thema – auch wenn Regine beim regelmäßigen Mittagessen mit ihren Freundinnen meint, das es „damit endlich wieder gut sein sollte“ und sich dann den jungen Kellner als Nachspeise wünscht.
Filmemacherin geht gnadenlos mit Männern ins Gericht
Die Frauen leiden unter ihren Partnern. So Sonja, weil Milan inzwischen „eine Pole Dancerin bumst“, während sie nur die „olle kleine Mutti ist, die die Babys rausgepresst hat“. Kämpferischer gibt sich Nadine, die dem erschrockenen Philipp „seine Nutte“ mit nach Hause bringt – wenig später diagnostiziert eine Frauenärztin an Nadja schlimmste Verletzungen. Stichwort: Sexarbeit, schonungslos, wütend aufbereitet. Gnadenlos geht die Filmemacherin mit den Herren ins Gericht. Mit einem finalen Kniff im Baseball-Stadion, wo ein Funktionär einer Spielerin nach ihrem Sieg ein Kuss aufzwingt – siehe spanischer Fußballpräsident.
Ein Frauenfilm, vom Ensemble auf den Punkt gespielt. Mutig, getragen von pointierten, mal urkomischen, mal bitterbösen Dialogen. Konsequent in Schlüsselpositionen mit Frauen besetzt, ob in Sachen Produktionsdesign (Susanne Hopf), Kostüme (Nelly Ruthenbeck) oder Casting (Daniela Tolkien), von Herfurths Stammkameramann Daniel Gottschalk einfühlsam und flüssig fotografiert. Streng aus weiblicher Perspektive erzählt – bis hin zu dem Punkt, dass der leitmotivisch eingesetzte Song, Ben E. Kings Ohrwurm „Stand By Me“, von einer Frau, von der unvergleichlichen Tracy Chapman interpretiert wird. Chapeau!
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