Schauspiel

Klangvoll und bunt: Festspiele Ludwigshafen mit Shakespeare eröffnet

Mit einer sehenswerten Inszenierung von William Shakespeares „Maß für Maß“ hat Intendant Tilman Gersch die Festspiele Ludwigshafen eröffnet.

Von 
Frank Barsch
Lesedauer: 
Zwischen deftiger Komik, Tragik und Poesie: Shakespeares „Maß für Maß“ hat die Festspiele Ludwigshafen eröffnet. © Alen Ljubic

Ludwigshafen. Stilvoll spielte sich das Bläserensemble der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit Stücken von Händel und Bach durch das Haus. Der barocke Klang, „The Arrival of the Queen of Saba“ und „Nun danket alle Gott“ schlugen im modernen Pfalzbau einen passenden historischen Ton an. Nach der Begrüßung durch Intendant Tilman Gersch im Gläsernen Foyer verknüpfte Dramaturgin Barbara Wendland bei ihrer Einführung die im Stück von Shakespeare verhandelten Regierungsfragen mit den autoritären Tendenzen der Gegenwart. Auch Ministerpräsident Alexander Schweitzer blieb in seinem Grußwort über das Theater als wichtigem Raum für Dialoge in einer nicht mehr selbstverständlichen Demokratie am Tag der Deutschen Einheit ernst.

Tatsächlich kann einem die Komödie „Maß für Maß“ etwas spanisch vorkommen. So viel religiöse Tugend- und Lasterrhetorik animiert nicht gerade zum Lachen. Sie passt aber gut nach Wien, dem Schauplatz des Stückes, das 1604 in einer Atmosphäre von konkurrierenden ideologischen Strömungen vor dem Englischen König Jakob dem Ersten uraufgeführt wurde. Angesichts von Reformation, Puritanismus und Gegenreformation war es für Shakespeare sicher ein ambivalentes Unterfangen, dem strengen, kurz zuvor gekrönten Sohn Maria Stuarts ein Anschauungsstück über Recht und Moral, gute und schlechte Herrschaft, Ideologie und Pragmatik vorzusetzen.

Zum Stück

Es spielen: Nina Petri, Mohammad Nick Nayeri, Jörg Malchow, Ilona Christina Schulz, Fabian Stromberger, Josephine Thiesen.

Neben dem Profi-Ensemble tritt auch die Pfalzbau Bürger Bühne und der Beethovenchor Ludwigshafen auf.

Live-Musik: Jakob Boyny, Ruth Externbrink, Martina Kropf, Sophie Müller, Frank Rosenberger.

Weitere Termine: Freitag, 17. April 2026, und Samstag, 18. April, jeweils um 19.30 Uhr.

Kartentelefon: 0621/504 2558.

Mehr Informationen unter www.theater-im-pfalzbau.de

Der Meister des Elisabethanischen Theaters schürzt dafür folgenden Knoten: Vincentio, der Herzog von Vienna ist unzufrieden mit seiner eignen zu liberalen Herrschaft. Unter dem Vorwand, er brauche mal eine Auszeit, setzt er den ehrgeizigen Tugendwächter Lord Angelo als seinen Statthalter ein. Verkleidet als Mönch beobachtet er nun die Entwicklung, evaluiert die Meinungen über seine Herrschaft und die Vergleiche zum gnadenlosen Angelo. Der entpuppt sich schnell als wenig engelhaft. Während er das habsburgische Sodom mit dem harten Moralbesen säubert und an Claudio, der seine Verlobte geschwängert hat, eine abschreckende Hinrichtung wegen Unzucht anstrebt, verfällt er dessen Schwester, der schönen Isabella und erpresst sie zu Sex. Doch Vincentio, von Nina Petri gespielt, greift als Nonne getarnt in schwarzem Kleid und Lederjacke trickreich ins ziemlich hoffnungslose Geschehen ein, verpasst am Ende jedem Topf den passenden Deckel und übernimmt von Angelo ein halbwegs eingeschüchtertes Volk.

Gersch kitzelt die Komödie aus Shakespeares ernsten Gedankenpirouetten heraus

Tilman Gersch verlegt seine glitzernde Inszenierung auf eine Shakespearebühne mit zwei Ebenen und einer Vorbühne (Kostüme und Bühne Petra Straß). Aus der Kupplerin Madame Pompös und dem bierzapfenden Zuhälter Pompejus schafft Gersch mit den Schauspielerinnen und Schauspielern der Pfalzbau Bürger Bühne und dem Beethovenchor Ludwigshafen eine schillernde, derbe, kaum beherrschbare Dienstleistungsgilde, die wild frisiert auf Sinnlichkeit und rauschhaften Konsum ausgelegt ist und immer wieder lautstark über die kunstvollen Intrigen hinwegpöbelt, sei es wegen der Verlegung ihrer Etablissements an den Stadtrand oder als grölende Dauerbeschwerde über diese lustfeindliche Regierung.

Gersch kitzelt mit viel Körperlichkeit und dem modernisierten Text von Barbara Wendland die Komödie aus Shakespeares ernsten, meist klassisch auf der Vorderbühne präsentierten Gedankenpirouetten, heraus. Zudem unterlegen Frank Rosenberger und sein Quintett die Handlung mit musikalischen Bedeutungen, die die Figuren abrunden, ironisieren, verstärken oder sie um ein seelisches Leitmotiv ergänzen.

„Maß für Maß“ in Ludwigshafen: Mit dem Beethovenchor Ludwigshafen und der Pfalzbau Bürger Bühne sind 50 Menschen aus der Region an der Inszenierung beteiligt. © Alen Ljubic

Zusammen mit den Gesangseinlagen nach John Dowland und Tom Waits gelingt dem Ensemble so eine klug rhythmisierende Aufführung. Doch der eigentliche Clou des Abends ist die Besetzung. Josephine Thiesen ist als fundamentalistisch-unschuldige Novizin Isabella die Gegenspielerin von Lord Angelo. Jörg Malchow gibt den Statthalter als subtil verklemmten, leicht entflammbaren Tugendwächter. Zudem spielt er die Rolle des bauernschlauen, integer dahin tölpelnden Zellenschließers. Ilona Christina Schulz gibt den feinen, aber pikierten Minister Escalus und einen grob-sadistischen, stark an den Glöckner von Notre Dame erinnernden Henker. Fabian Stromberger meistert ebenfalls eine Janusaufgabe. Einerseits jammert er als der Tod geweihte Claudio bis zu seiner Rettung durch das Stück, andererseits rabaukt er sich als Wüstling Lucio um Kopf und Kragen.

Die kurzweilige Inszenierung wirkt wie eine dialektische Formel, die am Ende auf allen Ebenen aufgeht: Die Auflösung der Gegensätze spiegelt sich in der Figur von Herzog Vincentio. Nina Petri beginnt ihn als etwas zweifelhaften, selbstverliebten Charakter und entwickelt ihn zu einer weisen Herrscherin. Die Fundamentalisten haben ihre Schuldigkeit getan und die Pragmatikerin kann die Zügel wieder etwas lockerer lassen. Eine clever verpackte Botschaft von Shakespeaere an Jakob den Ersten und eine nachdenkliche, klangvolle und immer wieder bunt überbordende Eröffnung der Festspiele Ludwigshafen mit der sehenswerten Inszenierung eines spielfreudigen, vom Publikum gefeierten Ensembles.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke