Heidelberg. Eine junge weiße Frau mit schwarzem Haar und breiten, dunklen Augenbrauen stempelt auf ihr Gesicht unermüdlich kleine schwarze Bundesadler. Nach und nach färbt sich ihr Teint auf diese Weise völlig schwarz. Das Video von Künstlerin Selma Alaçam steht am Anfang der Ausstellung „Die Erfindung des Fremden in der Kunst“, die das Kurpfälzische Museum ab 12. Januar 2025 zeigt. Alaçam hat sich selbst gefilmt. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters wächst sie in Mannheim zwischen zwei Kulturkreisen auf, wird sicher immer wieder durch Stereotype „abgestempelt“. Je dunkler sie in dem Video wird, desto mehr verschwindet sie. Und was sehen andere nun noch in ihr?
Es ist ein spannendes Sich-Auseinandersetzen mit Bildern von Fremden aus 500 Jahren Kunstgeschichte, das Kuratorin Julia Carrasco zusammengetragen hat. „Europas Blick auf ferne Welten und fremde Kulturen war stets von oftmals widersprüchlichen Interessen geprägt“, formuliert sie, „die zwischen Faszination und Ausbeutung, Erforschung und Unterwerfung, Idealisierung und Dämonisierung changierten.“
Diskussionen um „kulturelle Aneignung“
Das Thema passt sehr in unsere Zeit, befinden wir uns doch mitten in der Diskussion um „kulturelle Aneignung (englisch: cultural appropriation)“, die Übernahme von kulturellen Elementen anderer Kulturen, die im besseren Fall bewundernd wäre. Und wie überhaupt „darf“ man das Fremde noch beschreiben, ohne als Post-Kolonialist zu wirken, wenn auch „nur“ verbal“?
Rund 80 Exponate von 30 Leihgebern sind in der Ausstellung des Kurpfälzischen Museums zu sehen. Nach dem Einstieg mit der zeitgenössischen Videoarbeit geht es erst einmal 500 Jahre zurück. Die Zeichnungen von den indigenen Völkern aus der „Mundus Novus (lateinisch: Neuen Welt“), wie sie Amerigo Vespucci im Windschatten von Christoph Kolumbus mit nach Europa brachte, bedienten aus Sicht von Carrasco vor allem die Lust an Sensationen. So habe es beispielsweise auf den „Wimmelbildern“ fast immer auch Darstellungen von Kannibalismus gegeben. Die Bildaussage war klar: Diese Unzivilisierten sind ganz unbedingt auf die Kolonisierung durch Europa angewiesen. Dass es den Entdeckern vor allem um die (Boden-)Schätze und eine Ausbeutung der Arbeitskräfte ging, verdeckte die Faszination für das Exotische mit bunten Farben. Es ist auch die Zeit, in der Objekte der fremden Kulturen, die nicht selten Kult-Gegenstände sind, in die europäische Kultur einziehen, erklärt die Kuratorin. Europäische Seefahrer brachten indes nicht nur Rohstoffe und Kunstgegenstände mit von ihren Reisen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Menschen - alles wurde vors staunende Publikum gezerrt.
Katalog, Audioguide und Gesprächsabend
- Die Ausstellung „Die Erfindung des Fremden in der Kunst“ ist bis 12. Januar im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (Hauptstraße 97) zu sehen.
- Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr (geschlossen am 24., 25. und 31. Dezember sowie 1. Januar).
- Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Frieder Hepp und bearbeitet von Julia Carrasco, ist im Michael Imhof Verlag erschienen und kostet 24,95 Euro.
- Am Donnerstag, 24. Oktober, 19 Uhr, gibt es einen Gesprächsabend unter dem Titel „Jenseits der Erfindung des Fremden“ mit dem Sozial- und Kulturanthropologen Antony Pattathu und Ausstellungskuratorin Julia Carrasco (in Kooperation mit dem Amt für Chancengleichheit).
- Der Eintritt kostet acht Euro (4,50 Euro ermäßigt) inklusive Audioguide.
- Weitere Infos unter www.museum.heidelberg.de.
Durch die Orientbilder im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit ziehen sich die Themen Harem und sinnliche Freizügigkeit. „Eigentlich ist ein Harem ein sehr intimer Ort“, erklärt Carrasco. Bei den vielen Darstellungen aus dieser Zeit schwinge daher immer Voyeurismus mit, ein kolonialisierender Blick auf die nackte Orientalin nämlich. Ob Mexikanerhut jüngst bei einem Auftritt der Mannheimer AWO-Tanzgruppe, zurückzugebende, geraubte Kunstgegenstände, die unsere Museen füllten, ob Zeichnungen der „Wilden“ in den brasilianischen Urwäldern durch die ersten Entdecker um 1500 oder moderne Bilder der „Neuen Wilde (Fauves)“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Alle Darstellungen sagen nicht nur etwas über das Motiv aus, sondern noch viel mehr über den, der abbildet - und über sein jeweiliges Publikum. Karl Brandt malte um 1765 Kurfürstin Elisabeth Augusta von der Pfalz mit einer Kaffeetasse leger auf dem Sofa. Die lebenslustige Frau von Carl Theodor stellte sich so, im goldbestickten türkischen Obergewand, als aufgeklärte Herrscherin da. Zu dieser Zeit galt die Türkei als chic. In den 1770er-Jahren baute der Kurfürst den Schwetzinger Schlosspark um und ließ ein weißes Gebäude errichten, das einer Moschee glich, nie aber als solche genutzt wurde: Ihre einzige Aufgabe war, „einen pittoresken Blickpunkt in der gestalteten Landschaft zu bieten“. Eine Kernfrage war vor der Ausstellungskonzipierung zu beantworten: Wie kann es gelingen, das Thema zu zeigen, ohne selbst Stereotype zu produzieren?
Carrasco ist dankbar über die enge Zusammenarbeit mit den städtischen Anti-Rassismusbeauftragten. Die schmale Gratwanderung gelingt in der Ausstellung auch, indem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit eigenen Arbeiten intervenieren. Etwa Maxine Helfman, die Porträts im Stil flämischer Maler mit ausschließlich schwarzen Personen vorstellt und damit kritisiert, dass die Darstellung schwarzer Identifikationsfiguren lange in der europäischen Kunst fehlte. Wer ist fremd und warum, dies ist nicht nur in der Kunst eine Frage der Perspektive - und der Machtverhältnisse.
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