Kunst

Liebe geht immer gegen den Strich

Der Frankfurter Sammler Tyrown Vincent zeigt derzeit seine Schätze im Mannheimer Kunstverein. Zu finden sind dort nicht nur große Namen, sondern auch Werke unbekannter Künstler

Von 
Christel Heybrock
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Sammler Tyrown Vincent beim Aufbau seiner Exponate. © Rinderspacher

Wenn man Kunst sammelt, wird man stets getrieben von etwas, was aus einem selber kommt. Manch einer findet etwas von sich in einem bestimmten Stil, einem Künstler, einer Farbe, einem Material… Bei dem Frankfurter Tyrown Vincent, Spross einer internationalen Familie und aktiv auf internationalen Bühnen in der Modebranche, ist das genauso und doch ganz anders: Er wird getrieben von der Suche nach Substanz. Und die findet er keineswegs nur in großen Namen. Er holt in sein Leben, was zu ihm „spricht“, und das können Fotografien von Will McBride ebenso sein wie eine kleine Skulptur von Salvador Dalí, Werke unbekannter Kunststudenten, afrikanische Masken oder weggeworfene Dinge, deren Urheber niemand kennt.

Der Mannheimer Kunstverein tat recht, diesem gegen jeden Strich sammelnden Liebhaber, den man eher als vielfältig Liebenden bezeichnen sollte, für ein paar Wochen seine Räume zu öffnen, um Besuchern zu zeigen, was Sammeln und Kunst abseits platt getretener Wege sein können. Und das tatsächlich erstaunlichste Werk, herzbewegend expressiv, ist eine Gruppe kleiner Schmiedearbeiten, vier Teile mit jeweils fünf streng stilisierten Figuren, Künstler unbekannt.

Große Namen und unbekannte

Für viele Besucher irritierend könnten auch die afrikanischen Masken und kleinen Skulpturen sein, die einen zentralen Sammlungsbereich bilden und mit mythischer Expressivität in den Raum ausstrahlen. Stets scheinen sie etwas zu zeigen, was sich zugleich tief verbirgt, und von ähnlicher Qualität, wenn auch aus völlig anderem Zusammenhang stammend, sind die zahlreichen Bilder von Martina Kügler. Die Malerin wurde 1945 in Schlesien geboren und kam auf der Flucht in den Westen nach Frankfurt, wo sie von 1966 bis 1972 bei dem in Mannheim geborenen Maler und Zeichner Karl Bohrmann (1928 bis 1998) an der Städelschule studierte. Bohrmann beschwor die Flüchtigkeit der Existenz von Menschen, Räumen und Dingen. Martina Kügler, mit psychischer Gefährdung ringend, widmete sich vordringlich dem menschlichen Körper, seiner Plastizität und dynamischen Kraft – und seinem Verschwinden. Dass einige ihrer Arbeiten die Rückwand der frei im Raum stehenden afrikanischen Werke bilden, ist ein Glücksfall der Präsentation.

Die großen Namen – dennoch gibt es sie, so auf der Galerie den Frankfurter Thomas Bayrle oder den oft als Popmaler definierten Ronald B. Kitaj (1932 bis 2007), dessen russisch-jüdisch-ungarischer Familienhintergrund die verschlungenen Rätsel seiner Bildmotive vielleicht etwas erklärt. Auf den zweiten Blick enthalten nicht nur Bayrle und Kitaj, sondern auch der lustig bunte japanische Popmaler Takashi Murakami politische Aussagen – Murakami zitiert beispielsweise als vordergründig dekorative Form das atomare Trauma seiner Kultur.

Breiten Raum nimmt auf der Galerie zudem die Auseinandersetzung von Kunststudenten mit dem „Kapital“ von Karl Marx ein – Bildideen, deren Vielfalt verblüfft, erheitert und nachdenklich macht. So wie man aus Tyrown Vincents Sammlung ohne Nachdenken schließlich nicht herauskommt.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

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