Literatur - Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach veröffentlicht seinen zwölften Roman „Krass“

Martin Mosebach veröffentlicht seinen neuen Roman „Krass“

Von 
Peter Mohr
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Die legendären Pyramiden von Gizeh am Stadtrand von Kairo: In der ägyptischen Hauptstadt endet Martin Mosebachs Protagonist Krass krank und verarmt. © dpa

„Ich entstamme keiner Familie, ich gründe keine Familie, ich werde ohne Nachkommen sterben, ich bin ein Solitär.“ So beschreibt Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach die Hauptfigur seines zwölften Romans „Krass“. Mosebach, der im Sommer seinen 70. Geburtstag feiert, bevorzugt seit Jahr und Tag einen leicht altbackenen, detailverliebten Erzählstil und kokettiert überdies gern mit dem ihm verliehenen Attribut des „Erzkonservativen“.

Sein Roman kreist um die Themen Macht, Gehorsam und Ohnmacht sowie beinahe manisch übersteigertes Selbstbewusstsein, das sich hier auf den mehr als 500 Seiten mit einer gehörigen Portion Hochstapelei mischt. „Mein ganzer Erfolg beruht auf meinem Selbstvertrauen“, sagt die Hauptfigur.

Ein Spiegel unserer Gesellschaft?

Protagonist Ralph Krass hat es als Waffenhändler – leicht außerhalb der Legalität – zu Reichtum gebracht und hält sich im ersten Teil des Romans mit einer stattlichen Entourage in Neapel auf. Immer an Krass’ Seite sein Adlatus, ein ängstlich-subalterner Geisteswissenschaftler namens Jüngel, der seinen Chef ehrfürchtig als „Naturintellektuellen“ bezeichnet. Jener Dr. Jüngel führt uns über weite Strecken als neidvoll auf die Geschehnisse blickender Erzähler durch die Handlung.

2007 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet

  • Der Schriftsteller Martin Mosebach wurde im Juli 1951 in Frankfurt geboren und studierte in seiner Geburtsstadt und in Bonn Rechtswissenschaft. 1979 legte er das Zweite Staatsexamen ab. Mosebach lebt seit 1980 wieder in Frankfurt.
  • 1980 erhielt Mosebach den Literaturförderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung, 1983 erschien Mosebachs „Das Bett“, der erste Roman einer Frankfurt-Pentalogie. In dieser folgten „Westend“ (1992), „Eine lange Nacht“ (2000), „Der Mond und das Mädchen“ (2007) und „Das Blutbuchenfest“ (2014).
  • Mosebachs Werk umfasst neben unter anderem Romanen, Theaterstücken, Lyrik, Film-Drehbüchern, Reportagen sowie Hörspielen auch Essays und Artikel in der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
  • Der 69-Jährige ist vielfach ausgezeichnet. Im Oktober 2007 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.

Krass (der Name hat durchaus auch programmatischen Charakter) residiert in Neapel mit Blick auf den Vesuv, den er als adäquates Gegenüber betrachtet. Er führt ein Leben in protzigem Wohlstand, es wird edel gespeist und getrunken, alles wirkt etwas overstyled und von Mosebach mit „krassen“ Gegensätzen ausstaffiert. Der Protagonist ist grob, teilweise vulgär und abstoßend, aber dennoch großzügig, vielseitig kulturell interessiert und gebildet.

Hält Mosebach unserer Gesellschaft damit einen Spiegel vor? Sollen wir so erschrecken, wie die Bachstelze (die auf dem Cover abgebildet ist), als sie ihr Spiegelbild sah? Steht der unkonventionelle Krass für ein neues, pseudomodernes Menschenbild? Skrupellos, machtbesessen und egoistisch!

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„Die Kraft eines Genies besteht darin, die Realität seinem Willen zu unterwerfen und nach seinem Willen zu formen“, heißt es über die zwielichtige Hauptfigur Krass. Ist der Protagonist lediglich ein karikierter Hochstapler oder hat diese disparate Figur doch das Potenzial für ein Idealbild in einer glasklar strukturierten konservativen Gedankenwelt?

In der auf ziemlich genau zwanzig Jahre angelegten Handlung (1988-2008) sitzt Dr. Jüngel im zweiten Teil verlassen und verarmt in einem französischen Landhaus, verstoßen und aussortiert von seinem „Chef“. Krass endet dann ähnlich wie sein Adlatus. Verarmt und gesundheitlich angeschlagen vagabundiert er durch Kairo, und man fühlt sich sogleich an die atmosphärisch dichten Schilderungen aus Mosebachs Vorgängerroman „Mogador“ erinnert, der in Marokko angesiedelt war.

Alles eine Frage der Haltung

In Ägyptens Hauptstadt lernt Krass, der legitime Enkel von Thomas Manns „Felix Krull“, noch den jungen Rechtsanwalt Mohammed kennen, der sich rührend um ihn kümmert. Die Krass-Community ist geplatzt wie eine Seifenblase, zurück bleiben nur Verlierer. Sie unterscheiden sich aber in ihrem Habitus. Krass bewahrt selbst im Scheitern Contenance. Eine Attitüde, die sein Schöpfer Martin Mosebach in dieser turbulenten Gedankenreise künstlerisch perfektioniert hat.

Am Ende dieses aufreibenden Wechselspiels zwischen Macht und Ohnmacht fühlt man sich ein wenig an Wassili und Nikita in Leo Tolstojs Erzählung „Herr und Knecht“ erinnert. Hier wie dort sind am Ende alle wieder gleich. Alles eine Frage der Haltung.

Freier Autor seit rund 20 Jahren als Autor fürs Feuilleton tätig. Schwerpunkt: Literaturkritik

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