Albumkritik

Missionarisches Rumpeln: Neil Youngs 48. Album ist eine Mahnung

Rechtspopulisten und High Tech-Milliardäre bedrohen den Weltfrieden. Das ist das Thema von Neil Youngs 48. Studio-Album „Talkin To The Trees“.

Von 
Marcel Anders
Lesedauer: 
Was echt ist, hat Ecken und Kanten. Deshalb wehrt sich Neil Young gegen Perfektion. Und mag den schrägen Ton dazwischen. © Nils Meilvang/epa/dpa

Die meisten seiner Kollegen scheuen die Konfrontation mit der Trump-Administration. Ganz anders der große, stämmige Kanadier: „Talkin To The Trees“ ist eine unmissverständliche Mahnung in Bezug auf alles, was nicht nur in den USA schiefläuft. Das Hauptaugenmerk legt Young auf eine Industrie, die Fortschritt wie Umweltschutz bewusst ignoriert – und sogenannte Volksvertreter, die primär an ihr eigenes Wohl denken. Stücke wie „Big Change“, „Let´s Roll Again“ oder „Moving Ahead“ sind Anklageschriften gegen Unternehmen wie Chrysler, Ford, GM und Tesla, denen er mangelnde Weitsicht vorwirft; im Falle von Elon Musk sogar offenen Faschismus.

Deshalb fordert Young Erneuerung und radikales Umdenken statt Festhalten an überholten Standards. Außerdem das sofortige Ende von politischer Einflussnahme: „Verbrenner-Motoren sind nicht mehr zeitgemäß, doch in Sachen E-Mobilität kommt zu wenig“, so Young in einem seiner seltenen Interviews. „Diesen Firmen, die einst tolle Autos gebaut haben, fehlt es am Willen, etwas Neues zu schaffen. Für sie ist es günstiger, die Politik zu schmieren als in die Zukunft zu investieren. Sie finanzieren die Parteien und nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung. So werden Politiker zu Handlangern. Das ist zumindest meine Meinung.“

Mit den Chrome Hearts live in Stuttgart



Der Sänger, Songwriter und Gitarrist wurde am 12. November 1945 in Toronto geboren . 1966 gründete Neil Young mit Stephen Stills die Band Buffalo Springfield, dem ersten Soloalbum folgte 1969 der Auftritt mit Crosby, Stills and Nash beim Woodstock-Festival. Dank seiner vielfältigen Arbeit als Solokünstler und mit der Band Crazy Horse gilt er als Rock- und Folkikone sowie als Wegbereiter des Grunge.

Neil Youngs 48. Studioalbum „Talkin To The Trees“ erscheint am 13. Juni 2025 .

Begleiten lässt er sich darauf von Mitgliedern der Band Promise Of The Real wie Drummer Anthony LoGerfo, Bassist Corey McCormick und – ehemals – Micah Nelson. Diese haben ihn auch schon bei seinem fabelhaften Konzert 2019 in der Mannheimer SAP Arena unterstützt. Außerdem spielt Altmeister Spooner Oldham Keyboards und Orgel. Zusammen firmieren sie als Neil Young And The Chrome Hearts.

Live ist diese Konstellation zu erleben am 3. Juli auf der Berliner Waldbühne, am 4. Juli im Mönchengladbacher SparkassenPark und am 8. Juli auf dem Cannstatter Wasen . Karten für Stuttgart gibt es ab 103,50 Euro plus Gebüren unter eventim.de. jpk

Gegen den Einfluss von Bezos, Musk oder Zuckerberg

Mit der hält Young nicht zurück: Er spielt auf Kundgebungen von Bernie Sanders gegen den wachsenden Einfluss von Oligarchen wie Jeff Bezos, Elon Musk oder Mark Zuckerberg, legt sich offen mit Präsident Trump an und bietet Monopolisten wie Ticketmaster die Stirn. Ein Kämpfer, der nie müde zu werden scheint und allein deshalb wichtig ist, weil er – mit Ausnahme von Bruce Springsteen – allein auf weiter Flur steht.

Doch auf „Talkin To The Trees“ zeigt der gebürtige Kanadier auch seine verletzliche Seite. Nicht als Alt-Hippie, der mit Flora und Fauna kommuniziert, sondern als Familienvater, der in „Family Life“ und „Dark Mirage“ Probleme mit seinen Kindern offenlegt – besonders Tochter Amber, die den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Da gewährt Young genauso tiefe Einblicke in sein Gefühlsleben wie in „Thankful“, dem letzten Stück des Albums: ein Dankeschön für seine Zeit auf Erden – mit dem Wunsch, noch ein bisschen weitermachen zu dürfen. Das klingt zwar nicht nach Abschied, aber doch nach jemandem, der sich der eigenen Sterblichkeit bewusst ist.

Am 12. November wird Kanadas Rock-Ikone 80 Jahre alt

Kein Wunder: Young wird am 12. November stolze 80. Ein Alter, das ihn nicht weiter tangiere. „Für mich ist das nur eine Zahl“, setzt er auf seine stoische Art an. „Und sie hat keinen Einfluss auf mich. Denn: Ich mache Musik, weil ich sie liebe und damit etwas bewirken kann. Nämlich ein Bewusstsein für Dinge zu schüren, die sonst nicht genug Beachtung finden.“

Diesen Ansatz verfolgt Young seit den frühen 70ern und darin sieht er seine Mission – egal, ob er damit aneckt oder sich mächtige Feinde macht. Er ist eine Institution und ein Fels in der immer stürmischeren Brandung. Genau das macht ihn so wertvoll – ganz gleich, mit welcher Art von Song er seine Botschaften transportiert.

Entstanden in Rick Rubins Studio, klingt aber nach Scheune

Auf seinem 48. Album pendelt er zwischen knarziger Americana und ruppigem Garagenrock. Alles rau und ungeschliffen, mit Rumpelrock-Charakter sowie dem einen oder anderen schrägen Ton. Eben, weil er seine Kompositionen am liebsten im ersten Take festhält, sich gegen Overdubs und spielerische Perfektion wehrt, aber auch weil ein Statement – in seinen Ohren – am stärksten rüberkommt, wenn es Ecken und Kanten hat statt allzu geschliffen zu wirken.

Die Ironie: Die aktuellen zehn Stücke sind in Rick Rubins mondänem Shangri-La Studio in Malibu entstanden, klingen aber nach Scheune oder Proberaum. Woran Co-Produzent Lou Adler wenig ändert – eine 91-jährige Hollywood-Legende, die schon The Mamas & The Papas sowie Carole Kings „Tapestry“ betreut hat. Entweder ist der Mann inzwischen weitestgehend taub oder er verfolgt dieselbe Philosophie wie der Künstler: Sauber ist angepasst, unglaubwürdig und insofern nicht erstrebenswert. Nur, wenn es rumpelt und kracht, hat es Seele – und ist Neil Young.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke