Vor der Abrissbirne findet Bausubstanz aus der Zeit zwischen 1960 und 1990 wenig Gnade. Diese Architektur hat kaum eine Lobby, und deshalb werden intakte, ordentlich funktionierende Schulen, Verwaltungsgebäude und neuerdings auch Museen skrupellos zerstört. Der beschlossene Abriss der Mannheimer Kunsthalle von 1983 (Mitzlaff Lange Böhm Müller) steht in diesem Kontext, und nun wird wohl auch in Karlsruhe über die Demontage des Gesamtkunstwerks der Staatlichen Kunsthalle nachgedacht. Der Grund: Die seit 2009 amtierende Direktorin Pia Müller-Tamm klagt über chronischen Platzmangel.
Zuvor hochgelobt
Sie hat offenbar Probleme im Umgang mit diesem über Jahrhunderte gewachsenen Haus, das 1846 von Heinrich Hübsch als ein Ort "wo Auge, Gefühl und Gedanke Hand in Hand gehen" erbaut wurde. Josef Durm (um 1898) und Heinrich Amersbach (um 1908) bauten an diesem von italienischer Palastarchitektur inspiriertem Kunsttempel weiter. Im Jahr 1990 war das Haus vom Karlsruher Architekten Heinz Mohl im Geist der gemäßigten Postmoderne und mit großem Respekt vor der historischen Substanz erweitert worden. Mohl ging als erster Preisträger aus einem Wettbewerb hervor. Die Jury lobte damals ganz besonders die gelungene "räumliche und funktionelle Integration des Neubaus (. . .) in den Gesamtkomplex", und dieses Urteil ist bis heute absolut gültig. Gemäß der Ausschreibung entwarf Mohl Tageslichträume für den kontemplativen Sehgenuss in einem zweigeschossigen Rundgang.
Der Museumsleiterin Müller-Tamm missfiel dieses Konzept sichtlich, denn inzwischen wurden interne Neuinszenierungen vorgenommen, die kritische Besucher als "Hasenstallambiente" bezeichnen. Aber die von "produktiver Unruhe ergriffene" Museumsfrau strebt nach noch mehr Veränderung: Sie will zur Erfüllung ihrer Vision, einmal in der internationalen Museumsliga mitzuspielen, nochmals erweitern und hat bereits 2011 eine Machbarkeitsstudie vom Büro Kuehn Malvezzi bestellt. Wie es sich abzeichnet, steht zu befürchten, dass diese Erweiterung auf Kosten des Mohl-Flügels geschehen soll. Ein absurder Gedanke und ein Alptraum für den Architekten: Warum ein gutes und gerade 20 Jahre altes Museum, das 34 Millionen Mark gekostet hat, ohne Not liquidieren? Dabei wären die altersbedingten Mängel des Hauses in der museologischen Ausstattung sowie der Licht-, Energie - und Klimatechnik einfach und kostengünstig zu beheben, man müsste nur wollen.
Doch die Direktorin strebt nach einer Erweiterung in Form einer riesigen Blackbox für Blockbuster-Events. Das würde eine Zerstückelung des historischen Gesamtkunstwerks der Staatlichen Kunsthalle bedeuten und den Verlust historischen Erbes. Dabei gibt es kluge Alternativen zur Lösung des beklagten Raumproblems: Ein klimatisiertes "Schaulager" auf der grünen Wiese böte sich an, eine Auslagerung des Grafischen Kabinetts oder ein Umzug der Verwaltung in Gebäude vis à vis. Das allerdings lehnt die Museumschefin strikt ab.
Inzwischen geschah Merkwürdiges: Schon im Juli 2012 hat das Vermögens- und Bauamt Karlsruhe die "Umstrukturierung und Erweiterung der Staatlichen Kunsthalle" ausgeschrieben. Diese soll um 2800 Quadratmeter erweitert und im heutigen Hauptgebäude ein "Bedarf von 7400 Quadratmetern" Nutzfläche gedeckt werden. Einen offenen Wettbewerb gab es seltsamerweise nicht, sondern ein Verhandlungsverfahren, zu dem nur fünf nach unbekannten Kriterien ausgewählte Architekten aufgefordert wurden.
25 Millionen Euro Baukosten
Chipperfield Architects, HG Merz, Hufnagel Architekten, Kuehn Malvezzi und Staab Architekten durften Projektskizzen abliefern. Eine Jury aus Museumsdirektorin Müller-Tamm, Hochbauverwaltung, freien Architekten und Denkmalpflege haben die Entwürfe begutachtet. Erstes Urteil: "Urheberrechtliche und denkmalschutzrechtliche Probleme", Fragen zum Raumprogramm und zu den vom Land Baden-Württemberg zu tragenden Kosten.
Man denkt an 25 Millionen Euro für einen ersten Bauabschnitt. Nun prüft die Bauverwaltung "unter Berücksichtigung der Konkretisierung der Problemstellung". Im Sommer darf die Öffentlichkeit dann sehen, ob sich Karlsruhe für den Genius Loci oder eine Kistenkultur entschieden hat.
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