Herr Bergmann, Sie sind vor kurzem 80 Jahre alt geworden. Da sind die meisten Menschen längst im Ruhestand. Sie nicht. Sie waren in den letzten Monaten unterwegs …
Rudij Bergmann: Ja, mein neuester Film „André Butzer. Seine Kunst und seine Zeit“ hatte im vergangenen Oktober Weltpremiere in Madrid. Dort hatte Butzer zuvor eine vielbeachtete Ausstellung im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza. Ich habe über den Künstler bereits 2007 ein Short Movie realisiert und ihn in den Jahren 2017 bis 2019 kontinuierlich mit meinem Kamerateam, aber auch alleine begleitet. Dann lag das Material – wegen eines privaten tragischen Grundes – über zwei Jahre wohlbehütet im Archiv. Als ich es wieder angeschaut habe, war ich der Überzeugung, dass es besser, reifer geworden war. Im Juni 2023 war der Film dann fertig. Mit zwei Stunden 17 Minuten ist das nun mein bisher längster.
Was planen Sie für 2024, kommt da auch Mannheim ins Spiel?
Bergmann: Am 6. April ist die deutsche Butzer-Premiere in Berlin geplant, wo der aus Stuttgart stammende Künstler jetzt wieder lebt. Etwas ganz Besonderes ist dann die Mannheimer Premiere am 13. April im Foyer der Kunsthalle: Wir zeigen den Butzer-Film und Claus Boesser-Ferrari, der die Musik zum Film gemacht hat, wird eine eigens mir gewidmete Komposition live zur Aufführung bringen. Eine Doppel-Premiere also.
Und wie geht es weiter?
Bergmann: Am 19. September ist im Jazzclub Ella & Louis ein vielleicht sogar perspektivisch interessantes Projekt geplant. Nach vielen gemeinsamen Gesprächen wird Claus Boesser-Ferrari meinen 2016 entstandenen Dokumentarfilm „The Art of Boris Lurie“ über den Holocaust-Überlebenden und jüdischen Künstler musikalisch neu setzen.
Dieser international erfolgreiche Film läuft ja gerade in Buenos Aires. Wie hat man sich denn nun das Projekt in Mannheim vorzustellen?
Bergmann: Wir nehmen nur die Musikspur raus und Claus wird live zum Film mit der Gitarre improvisieren. Seine musikalische Reflexion – das ist Wunsch und Wille – fügt einen emotionalen Aspekt hinzu, der den Interpretationsspielraum erweitert. Ich selbst frage mich immer, was fühle und ahne ich hinter den Kunstwerken von Lurie, in denen er die im KZ Ermordeten mit PinUp-Girls konfrontiert? Neben der politischen Aussage sehe ich auch das Andere, für mich Bedeutendere: Nicht trotz, sondern wegen der Grausamkeiten der Shoa, die Lurie in seinem Werk unerbittlich thematisiert, ist seine Kunst keine Botschaft des immerwährenden Schreckens, sie ist vielmehr ein Bekenntnis zum Leben. Sie thematisiert in ihrer Substanz den Triumph der Liebe und der Triebe über alle Völkermorde dieser Welt. Und dabei ist es gar nicht so bedeutsam, ob mein Freund Boris das ganz bewusst so gemeint hat. Diese von mir behauptete Sichtweise, die andere ja nicht ausschließt, entspricht aber dem allgemein Jüdischen, das trotz aller Trauer das Leben feiert, auch angesichts des Todes.
Man hört, dass noch ein weiteres Projekt in Planung ist…
Bergmann: Über die Grande Dame des französischen Impressionismus, Berthe Morisot, habe ich einen halbstündigen Film für ARTE gedreht, zu dem Claus Boesser-Ferrari auch live eine andere Musik machen wird. Wir möchten auch eine Tänzerin dazunehmen.
Ganz prinzipiell: Was steht bei Ihnen im Fokus, wenn Sie Ihre Filmprojekte angehen?
Bergmann: Das Wichtigste ist, das Vertrauen jener Menschen zu gewinnen, mit denen ich etwas machen möchte. Ich gehe von der Kunst aus und reflektiere damit den Künstler oder die Künstlerin. Das ist mein Anliegen. Mich interessiert der Hinter- oder auch der Untergrund. Meine Filme sollen so sein, dass man etwas versteht von den Künstlern, ihrer Kunst und wie sie arbeiten und denken. Ich gestehe, ich habe die Neigung, etwas zu vermitteln. Bei Lurie zum Beispiel die beschriebene „positive Sichtweise“, bei Butzer das Spirituelle seiner Kunst mit ihrer noch lange nicht ausgeloteten Tiefe. Dabei möchte ich die Dinge für den Zuschauer nicht verkomplizieren. Aber auch nicht einfacher machen, als sie sind. Ich will die Schwelle nicht senken. Der Betrachter soll sich ihr annähern. Und dafür muss ich ihm eine Trittleiter geben. Mit ist grundsätzlich wichtig, dass ich in meinen Filmen einen Moment „des Ewigen“ oder des „Gültigen“ festhalte. Aktualität ist für mich nicht der Augenblick, sondern das, was über Jahre hinaus noch interessiert.
Sie selbst filmen ja gelegentlich auch. Bei dem Butzer-Film gibt es einige Passagen, die Sie mit dem iPhone aufgenommen haben…
Bergmann: Das erzeugt Lebendigkeit und Nähe. Zum Beispiel die Bilder beim Basketballspiel der Los Angeles Lakers, das ich mit Butzer besucht habe. Heute trage ich sogar als Erinnerung die Lakers-Kappe… Im Film habe ich André übrigens nie interviewt, sondern wir haben uns immer unterhalten, auch während er arbeitet. Der Künstler und ich mit meiner „smanl cam“ in der Hand. So entstand eine eigenwillige, durch niemanden sonst beobachtete oder gar gestörte Intimität, die diesen Film trägt.
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