Kunst

Neue Sammlung in der Staatsgalerie Stuttgart blickt künstlerisch in die Zukunft

Die neue Sammlungspräsentation der Staatsgalerie Stuttgart „This is tomorrow“ möchte die Welt von morgen erahnbar machen. Mit rund 100 Werken von Andy Warhol über Bruce Nauman, Käthe Kollwitz und Yoko Ono

Von 
Hans-Dieter Fronz
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Ulrike Ottingers „Bande dessinée“ aus dem Jahr 1967 ist inspiriert vom frankobelgischen Comic. © Ulrike Ottinger

Stuttgart. Die Welt ist in Aufruhr. An allen Ecken und Enden brennt es, immer öfter geradezu buchstäblich. Die Erderwärmung schafft auch in Zentren des Westens wie Kalifor-nien brenzlige Situationen. Immer wieder aufs Neue auch flammen Krieg und Gewalt auf.

Angesichts dieser Situation ist die Frage, wie die Welt von morgen aussehen könnte, eine drängende. Kein Wunder, dass sie in der neuen Sammlungspräsentation der Staatsgalerie Stuttgart zur Kunst der Gegenwart bereits in der Überschrift aufscheint - nicht als Frage, sondern Feststellung: „This is Tomorrow“. Es ist der Titel einer im Besitz des Museums befindlichen Collage und Mischtechnik des britischen Pop- Art-Künstlers Richard Hamilton: keine apokalyptische Vision, vielmehr eine coole und gutgelaunte Prophezeiung des Siegeszugs der 1956 eben erst im Entstehen begriffenen europäischen Pop-Art.

Fünf Säle - gleich der erste handelt von „Körperbildern - Identitäten“. Werke von Marcel Duchamp, der als Vorläufer der in den 1960er-Jahren entstehenden Konzeptkunst seine Finger in der Gegenwartskunst hat; dazu drei gleichermaßen schrille und famose Schöpfungen der amerikanischen Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman - oder vier fotografische Selbstporträts Bruce Naumans, in denen er gruselige Grimassen zieht.

Nicht minder frappierend und ausdrucksstark: die Selbst-Porträts der in Düsseldorf lebenden Malerin Anys Reimann. Die Tochter einer Deutschen und eines Westafrikaners setzt ihre gemalten und collagierten Figuren aus Partikeln unter-schiedlichster Kontexte und Provenienz zusammen. Ein kleines Highlight, mindestens was den Unterhaltungswert angeht, ist die Animation „Damaged Goods“ des schwedischen Duos Nathalie Djurberg und Hans Berg. Eine Frau entnimmt auf der Suche nach Perfektionierung ihrer äußeren Erscheinung einer Kiste tierische Körperteile, die sie an- und wieder ablegt. Als schließlich allen äußeren Klischees perfekter Weiblichkeit entsprechende Idealfrau bricht sie zusammen - Kreislaufkollaps.

Im Folgesaal thematisieren verschiedene Kunstwerke Gewalt, Krieg und Erinnerung. Norbert Biskys „Colaba 1-9“, eine Serie von Gemälden, sind anonyme Szenen der Zerstörung und psychischen Dissoziation. Käthe Kollwitz berühmte Kohle-zeichnung „Nie wieder Krieg!“ mit zum Schwur erhobener Hand wiederum ist - vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation in der Ukraine - eine gewagte Erinnerung an womöglich nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten diplomatischer Einigung und Beendigung dieses Kriegs. Zur Seite treten ihr weitere Blätter Kollwitz’ wie „Tod entreißt der Mutter das Kind“, aber auch ein von Yoko Ono und John Lennon entworfenes T-Shirt aus den Siebzigern mit dem aufgedruckten Schriftzug „War is over! If you want it“.

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Den nächsten Saal beherrscht neben „El manto negro“, dem „Schwarzen Leichentuch“ der Mexikanerin Teresa Margolle aus Keramik-Rechtecken, Hito Steyerls 2019 mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz geschaffene Videoinstallation „Power Plants“. Ob die im Angesicht des Klimawandels optimierten Pflanzen der Zukunft utopische und nicht vielmehr dystopische Züge tragen, wäre noch die Frage.

Besucher kann Platz nehmen und förmlich in die Kunst eintauchen

Dieter Roths raumgreifende, unter der Saalüberschrift Partizipation laufende Installation „Bar 0“ von 1998 macht das Kunstmachen selbst zum Thema. Eine Holzwand mit allen möglichen Utensilien, die ein Künstler so für die Arbeit benötigt (Farbe und Pinsel, „Jack Daniels“ und „Pernod“). Oder ein Regal mit Aktenordnern, Aufschrift: „Beschaffen“, „Belege“, „Tagebuchartiges“, sowie einem Videorekorder. Der Bildschirm zeigt den Künstler selbst bei der Arbeit. An einem Tischchen mit Stühlen und auf die Platte gekritzelten Telefonnummern, Zahlen und Zeichnungsfragmenten kann der Besucher Platz nehmen. So taucht er förmlich ein in Kunst.

Der letzte Saal wartet mit Werken von Ulrike Ottinger, Maria Lassnig und viel Andy Warhol auf, aber auch mit Katharina Fritschs gelbem Turm aus Marienstatuetten und - gleich zu Beginn - Jeff Koons’ spektakulärer Bildkomposition „Hulk (Jungle)“.

Meist im Turnus mehrerer Jahre verändern Kunstmuseen ihre Schausammlung, nämlich die Zusammensetzung der Werke, die jeweils aktuell gezeigt werden. Sind die Kunstsammlungen von Ausstellungshäusern doch meist viel umfangreicher als das, was sich in den begrenzten Räumlichkeiten überhaupt präsentieren lässt.

Oft liegt solchen Neupräsentationen ein leitender Gedanke zugrunde. Im konkreten Fall, in der Neupräsentation des Bereichs der Kunst des 20. und 21. Jahrhundert der Staatsgalerie, ist dies die Krisenhaftigkeit der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit sowie die Erwartungen, die sich daraus für die Zukunft ableiten lassen.

Mit rund 100 Werken von Andy Warhol über Bruce Nauman, Käthe Kollwitz und Yoko Ono bis Dieter Roth illustriert der Querschnitt aber auch Themen wie Körperbilder und Identität oder die populäre Kultur.

Die Sammlung in der Staatsgalerie Stuttgart ist bis 31. Dezember 2025, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags von 10 bis 20 Uhr zu sehen.

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