Schwetzingen. Immer weiter schreitet sie voran: die Klassik-Werdung großer Popaufnahmen. Auch Björks Album „Homogenic“, mittlerweile über 25 Jahre alt, ist längst dem Kanon und den einschlägigen Listen mit den hundert oder tausend besten Platten aller Zeiten einverleibt. Es ist zudem das erste, das die Sängerin als „Komponistin“ zeigt, mit einem quasi-orchestralen Denken. Einschließlich computergenerierter Sounds und Streicher-Arrangements des Brasilianers Eumir Deodato – nur die Ältesten werden noch wissen, dass der Mann einmal berühmt war, weil er Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ einen Funkjazz-Rhythmus unterlegt hatte.
Es gibt also genügend viele Ansatzpunkte für die Neubearbeitung von Ian Anderson, Bratscher der Gruppe Wooden Elephant. Sie ist ein Klassik-Streichquintett, mit einem Kontrabass statt eines zweiten Cellos. Was dabei herauskommt und jetzt beim Mannheimer Sommer (allerdings in Schwetzingen) gespielt wird, ist Crossover in einer zum Glück recht anspruchsvollen Variante. Und vielleicht ein Fingerzeig für eine Kunstform namens zeitgenössische Musik, die jede kleine Frischzelle gebrauchen kann, wenn sie ihr Ghetto-Dasein jemals wieder überwinden will.
Manchmal reicht schon etwas Alufolie für den besonderen Klang
Im gut besuchten Mozartsaal des Schlosses klingt zumindest der geräuschhafte Beginn entsprechend klassisch-zeitgenössisch. Immer wieder tauchen auch Passagen auf, in denen Wooden Elephant spezielle Bogentechniken und -arten einbringen – und ihre Instrumente manchmal sogar zweckentfremden. Überdies werden Percussion-Elemente eingestreut, sie haben freilich stets etwas sympathisch Selbstgebasteltes und Schlichtes. Das mag unter anderem auch daran liegen, dass ein Teil der Utensilien auf der langen Anreise nach Schwetzingen verschwunden ist, wie Wooden Elephant berichten. Aber manchmal reicht ja schon ein bisschen Alufolie, um dem Cello einen ziemlich haarigen, verkratzten E-Gitarrenton als Audio-Tuning zu verpassen. Der Effekt sei allerdings geklaut, gesteht die Gruppe.
„Homogenic“ heißt die Björk-Aufnahme. Homogen ist sie jedoch mitnichten, viele Divergenzen, Brüche und Kontraste prägen sie. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Video zu der Nummer „Jóga“: Geigen untermalen Bilder einer weiten Landschaft, schroffe Beats lassen Vulkanausbrüche von der Leine (die es in Björks Heimat Island häufig gibt). So ist auch das Konzert im Mozartsaal: Pop trifft auf Avantgarde. Und Hymnisches auf Kakophonisches. Am Ende freilich siegt die Melodie, die schiere Schönheit. Oder anders ausgedrückt: der Pop.
Das Publikum ist aus dem Häuschen. Fast ein bisschen überenthusiastisch. Zugaben bleiben nicht aus, diesmal sind Songs der Gruppe Radiohead die Vorlage. Die Interpretationen fallen rundum überzeugend aus, unwiderstehlich groovt das erste Stück, fein ausgehört gibt sich das zweite. Und im Nachgang folgt noch ein Gespräch im Freien, in gelöstem Tonfall („deutsches Bier hilft immer“). Selbst das größte Rätsel können wir noch lösen: Was bedeutet eigentlich der Name Wooden Elephant? Die Geigerin Hulda Jónsdóttir gibt die Antwort: „Wooden“, also „hölzern“, stehe für den Baustoff der fünf Instrumente, „Elephant“ für das Gewicht der ausgewählten Werke des (Elektro-) Pop. Das leuchtet ein.
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