Mannheim. Was dem Punk sein Pogo, das ist den Fans von Roy Bianco und Die Abbrunzati Boys ihr „Schlagerstrudel“. Bei Letzterem kreiseln die Besucherinnen und Besucher nach Art einer Polonaise munter durch den Konzertraum. Genau so geschieht es auch wieder bei der Zeltfestival-Rhein-Neckar-Eröffnung durch die Gruppe auf dem Mannheimer Maimarktgelände.
Bis Sänger Roy Bianco irgendwann die Publikumsbewegungen orchestriert und sich die einzelnen Strudel im ausverkauften Palastzelt zu einem zentralen, mächtig rauschenden Malstrom der guten Laune vereinen. Das ist einerseits durchaus eindrucksvoll anzuschauen, andererseits hat man bis dahin schon so viel Fan-Euphorie erleben dürfen, dass einen kaum noch etwas überraschen kann.
Irgendwo zwischen U2-Frontmann Bono und Schlagersachverwalter Florian Silbereisen
„Die heilige Messe des Italo-Schlagers“ erwarte uns hier, lautet das vollmundige, aber offensichtlich nicht unhaltbare Versprechen, das eingangs aus den Lautsprechern tönt. Sänger Roy Bianco zelebriert dieses Hochamt in so salbungsvoll humoriger wie musikalisch ansprechender Manier – seine Bühnen-Persona ließe sich vielleicht als Melange aus U2-Frontmann Bono und Schlagersachverwalter Florian Silbereisen beschreiben. Wobei ihm der Gitarrist und Co-Vokalist mit dem leicht zur Irritation verführenden Namen Die Abbrunzati Boys sowie die vierköpfige Band kongenial zur Seite stehen.
Anders als etwa bei Kollege Dieter Thomas Kuhn wendet sich die Gruppe indes nicht wirklich der musikalischen Form des Schlagers zu, sondern übernimmt nur dessen Textmuster und Pathos-Potential, formt diese aber in eine höchst eingängige Indie-Pop-Fasson.
Die – fiktive – Bandlegende Roy Bianco und Die Abbrunzati Boys haben 1982 als Duo begonnen, trennten sich aber Ende der Neunzigerjahre. 2016, nach der Wiedervereinigung, erweiterte man sich auf Band-Breite, verstärkt durch Ralph Rubin am Keyboard, Eisensepp am Bass, Bungo Jonas am Schlagzeug und Blechkofler an der Trompete. (Die Klarnamen aller Beteiligten sind bis heute ein Geheimnis geblieben.) 2020 veröffentlichte die Gruppe – realiter – ihr Debütalbum, das sie in einem Streich schönster Chuzpe „Greatest Hits“ nannte. Die Langspieler „Mille Grazie“ und zuletzt „Kult“ folgten im Zweijahrestakt.
Reichweite und Wirkungskraft innerhalb von drei Jahren hörbar vergrößert
Vor drei Jahren war die Formation am gleichen Ort auf dem Maifeld-Derby-Festival zu Gast gewesen. Wie sehr sie seither hat Reichweite und Wirkungskraft vergrößern können, davon zeugt nicht nur die schiere Zahl der knapp 5000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Zelt, sondern auch der Umstand, dass bald jedes Lied so laut wie textsicher mitgesungen wird: Vom schwung- und gehaltvollen „Vino Rosso“ zum hymnenhaften „Bardolino“, von „Ich liebte die Musik“ und „Goodbye, Arrivederci“ zur Schunkel-Ballade „Und wenn sie singt“ und weiter zu „Weiße Rosen“ als Abschluss eines Abends, den Indie-Synthiepop-Schlagerkünstler Ein Rosenkavalier drei Stunden zuvor gelungen eröffnet hat.
Bei allem Überschwang und Pastiche-Charme der Show, betont Roy Bianco, dass der Italo-Schlager für „Unterhaltung mit einer gewissen Haltung“ stehe. Wer „transfeindlich, queerfeindlich, frauenfeindlich oder rassistisch wird“, stellt er klar, „diese Personen sind hier unerwünscht“, denn: „Es ist eine Veranstaltung der Liebe“. Umso angenehmer gerät dieser Abend.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/kultur_artikel,-kultur-roy-bianco-und-die-abbrunzati-boys-zelebrieren-in-mannheim-italo-schlager-_arid,2309028.html