Comedy-Kritik

Wie das Mannheimer Publikum Comedy-Star Alain Frei zum Zirkusdirektor macht

Der Schweizer erlebt ist im ausverkauften Capitol den ungewöhnlichsten Abend seiner Karriere – dank allzu euphorischer weiblicher Fans, zwei "Hundekämpferinnen" und einem Baby

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Vom Publikum zur Improvisation gezwungen: Komiker Alain Frei. © Klotz

Mannheim. „All in“ heißt das fünfte Programm von Alain Frei, im Stil eines Pokerspielers, der alles auf ein Blatt setzt – und dann seine Karten aufdeckt. Am Freitagabend muss der Schweizer Comedy im ausverkauften Mannheimer Capitol auch alles zeigen – vor allem in puncto Improvisation. „Schuld“ ist ein ungewöhnlich besetztes Publikum, das die hübsche Struktur der Alltags-Comedy-Show des frischgebackenen 40-Jährigen immer wieder zu einem Reigen verblüffender Interaktionen macht.

Gefeiert wie eine Ein-Mann-Boygroup

Eigentlich kann das in dieser Geballtheit kaum wahr sein. Zumal die Show aufgezeichnet wird. Da regt sich schon kurz der Verdacht, der eine oder andere Zwischenfall könnte inszeniert sein. Aber dafür ist der als Alain Rüetschli geborene Frei zu oft zu offensichtlich baff über das, was an diesem Abend alles passiert. Dass Teile der weiblichen Fans auf ihn reagieren, als wäre er eine Ein-Mann-Boygroup. Das mag jenseits der Sphären eines Felix Lobrecht ungewöhnlich sein. Lässt sich aber gut dadurch erklären, dass der Schweizer Dieter Nuhr als bestaussehendsten Mann der deutschen Comedy-Szene beerbt hat.

Reihenweise Gag-Elfmeter

Dass eine besonders euphorische junge Frau lautstark „Happy Birthday“ singt, ist zwei Tage nach Freis 40. Geburtstag auch nicht so besonder ungewöhnlich. Aber der Komiker nimm es dankbar als Vorlage für einen interaktiven Running Gag auf („das war ganz creepy“)– ohne zu ahnen, wie viele Gag-Elfmeter ihm im Lauf der gut zwei Stunden noch auf den Punkt gelegt werden würden. Gut, aus dieser Ecke des Saals kommt dann wirklich etwas Stalkerinnen-Potenzial, als der schöne Mann am Mikrofon erzählt, er sei in ein Häuschen im Grünen gezogen. Die Frage „Und wo?“ kommt zwar im arglos klingenden Plauderton (wir erinnern uns: Es ist eine Comedy-Show, kein erstes Date), erinnert aber schon ein wenig an Kathy Bates’ Paraderolle als übersteigerter Fan im Entführungsthriller „Misery“. „Wie bist du denn drauf?“, entgegnet der Schweizer entgeistert.

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Dass sich mehrere Besucher berufen fühlen, die Show lautstark mit alternativen Pointen zu bereichern, ist nur durch die Häufung keine Routine. Frei ruft zur Ordnung: „Es ist nicht gut, wenn das Publikum lustiger ist als ich.“ Ansichtssache. Vollends skurril wird es, als man plötzlich ein Baby auf der Empore weinen hört. Das lässt sich der Komiker nicht entgehen und fragt ausführlich nach. Vier Wochen ist der Kleine alt, wie sehr er sich amüsiert, bleibt unklar. Sein Timing ist jedenfalls der Brüller. Als der leicht konsternierte Frei ins Publikum fragt „Wo waren wir eigentlich?“, kräht ihm schadenfroh entgegen: „Porno!“ Das Kind meldet sich noch mehrmals. Als es länger still ist, fragt der junge Vater fatalistisch von der Bühne: „Schläft es schon?“

„Ich fühle mich wie ein Zirkusdirektor!“

Zwei junge Frauen mit jeweils einem fast komplett verbundenen Arm in der ersten Reihe drehen es fast vollends ins Absurde. Als der inzwischen hyper-alerte Hauptdarsteller wissen will, was dahintersteckt, kommt erst eine ausweichende Antwort: „Wir haben uns geprügelt.“ Dann erzählen die beiden, sie seien Opfer einer Hundeattacke geworden. Da ist selbst ein Alain Frei kurz sprachlos – und verfängt sich dann in Hundekampf-Gags. Irgendwann fällt er jedenfalls in gespielter Verzweiflung auf die Knie und bekennt: „Ich fühle mich wie ein Zirkusdirektor!“

Insgesamt schlägt er sich aber nahezu brillant, wenn man bedenkt, wie oft ihm die Fans den roten Faden der Show kappen. „All In“ und die Kostproben vom gerade entstehenden sechsten Frei-Programm würden auch ohne Hilfe aus dem Saal funktionieren. Der Blick des schweizerischen Rebelcomedy-Mitglieds von außen auf deutsche Sonderlichkeiten sind erheiternd und erhellend. Sein offener Umgang mit potenziellem Cancel-Culture-Sprachgebrauch ist offen, witzig und trotzdem sensibel. Dass er Toby Käp die Bühne zum Aufwärmen überlässt, nutzt der hörgeschädigte Capitol-Lokalmatador erneut gekonnt.

Bekenntnis zu Panikattacken

Auch Frei bekennt sich in der Zugabe zu einem Handicap: Panikattacken. Er fühle sich erst dann richtig gut, wenn er von der Bühne komme. „Daran seid ihr schuld“, sagt er charmant. „Wir lieben dich trotzdem“, schallt es warmherzig aus dem „Zirkus Frei“ zurück.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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