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Düstere Schatten: Olympia in Deutschland

Am Freitag beginnen in Paris die Olympischen Sommerspiele. Zwei Mal fanden sie in Deutschland statt – 1936 in Berlin und 1972 in München. Beide Male sportlich und organisatorisch gelungen, doch für die olympische Idee von Völkerverständigung und Frieden ein Debakel

Von 
Konstantin Groß
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Plakat für die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin: der Athlet mit martialischem Gesichtsausdruck und die Quadriga des Brandenburger Tores. © Konstantin Groß

Als sich die Fußballfans am vergangenen Sonntag zum EM-Finale treffen, da haben sie Anderes im Sinn als die Geschichte dieser Location. Aber auch sonst ist kaum jemandem bewusst, dass es sich bei dem Olympiastadion in Berlin um ein Relikt der NS-Zeit handelt, der Olympischen Spiele von 1936. Damals und 1972 in München ist Deutschland Gastgeber der fünf Ringe. Doch es sind zwei Spiele mit dauerhaft düsterem Schatten auf der olympischen Idee.

Die Bewerbung für 1936 erfolgt Ende der 1920er Jahre noch durch die Weimarer Demokratie – und stößt daher auf großes Wohlwollen. Im IOC erhält Berlin 1931 43 Stimmen, Konkurrent Barcelona nur 16.

Leichtathletik-Siegerehrung 1936: Bei den Nationalhymnen salutiert Jesse Owens (M.) militärisch, der unterlegene Deutsche Luz Long (r.) mit Hitler-Gruß. © Ausstellung

1933 ändert sich die Lage. Die Nazis übernehmen die Macht. International kommen Zweifel auf, ob Hitler-Deutschland der richtige Austragungsort ist. Erst recht nach den „Rassegesetzen“ von 1935, die jüdische Bürger entrechten. Vor allem in Amerika flammt Kritik auf. Am 8. Dezember 1935 entscheidet das NOK der USA denkbar knapp mit 58 zu 56 Stimmen für eine Teilnahme. Andere Staaten schließen sich nun an, nur die Sowjetunion sagt ab. Am Ende gibt es mit 4000 Athleten aus 49 Staaten sogar einen Teilnahmerekord.

Mehr erfahren über die Geschichte der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin und von 1972 München

Information: Anlässlich der dortigen Olympischen Spiele informiert in Paris eine Ausstellung über die Geschichte dieses Wettbewerbs seit 1896, dabei auch über die Spiele von 1936 in Berlin und 1972 in München.

Ort der Ausstellung: das Palais de la Porte Doree, ein neoklassizistisches Bauwerk, das einst „Palast der Kolonien“ hieß und für die internationale Kolonialausstellung in Paris 1931 errichtet wurde. Inzwischen firmiert es als Museum der Immigration.

Exponate: historische Fotos, Plakate und Urkunden, im Falle von Berlin ein Originalschreiben Hitlers an den Präsidenten des IOC von 1936 und ein Exemplar der Lorbeerkranz-Krone, die der Olympia-Sieger im Segeln, Hans Joachim Weise, erhalten hatte.

Gedenkstätte: An die Opfer des Attentats von 1972 erinnert am Münchner Olympiapark ein Denkmal, der „Klagebalken“, eingeweiht zum 25. Jahrestag des Anschlages 1997. Seit 2017 gibt es zudem ein Multimediazentrum zum Tathergang und den Lebensläufen der Opfer, errichtet vom Freistaat Bayern, der Stadt München, dem IOC und DOSB.

Gedenkveranstaltung: Auch auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck besteht eine Gedenkstätte, die 1999 vor dem Haupttor eingeweiht wurde. Alljährlich am 5. September findet hier eine Gedenkveranstaltung statt.

Beim 50. Jahrestag 2022 sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu den Angehörigen: „Ich bitte Sie als Staatsoberhaupt dieses Landes und im Namen der Bundesrepublik Deutschland um Vergebung für den mangelnden Schutz der israelischen Athleten damals und für die mangelnde Aufklärung danach.“ -tin

Die Nazis erkennen die Chance für ihr Image. Hitler duldet sogar, dass Theodor Lewald, nach der verqueren NS-Ideologie „Halbjude“ und seit 1932 Präsident des Organisationskomitees, im Amt bleibt. Ja, Deutschland verpflichtet sich gegenüber dem IOC darüber hinaus, jüdische Sportler nicht auszuschließen. Am Ende gehört aber nur die als „Halbjüdin“ geltende Helene Mayer der deutschen Mannschaft an und holt eine Silbermedaille im Fechten; dennoch wird ihr Erfolg in der NS-Presse bewusst verschwiegen.

Die Leichtathletin Gretel Bergmann wird wegen ihrer jüdischen Herkunft unmittelbar vor Beginn der Spiele doch noch ausgeschlossen. Werner Seelenbinder, mehrfacher Meister im Ringen und bekennender Kommunist, darf zwar teilnehmen und wird Vierter, 1944 aber zum Tode verurteilt und enthauptet.

Nur zum Schein geht Hitler auf die Bedingungen ein

Nach außen zeigt sich das Regime gemäßigt. In Berlin werden Schilder wie „Juden unerwünscht“ abgebaut. Das NS-Organ „Stürmer“ darf vorerst keine Hetzartikel gegen Juden veröffentlichen. Fanatische Nazis, die dies nicht verstehen, beruhigt man: „Nach der Olympiade/Schlagen wir die Juden zu Marmelade.“

Coverstorys, die vom zwiespältigen Charakter der Spiele 1972 zeugen: hier über den US-Schwimmstar Mark Spitz... © Konstantin Groß

Der NS-Sportfunktionär Carl Diem erarbeitet die Choreographie der Spiele. Erstmals wird ein Fackellauf inszeniert, der von Athen nach Berlin führt. Und erstmals werden bei Siegerehrungen die Nationalhymnen gespielt – diese beiden noch heute bestehenden Elemente der Spiele stammen also von den Nazis.

Von der Organisation zeigen sich alle Sportler begeistert. Anders als an früheren Standorten haben sie hier ideale Trainingsbedingungen und Unterkünfte. Doch das Olympische Dorf in Döberitz wird von der Gestapo überwacht. Die Quartiere sind verwanzt, Briefe von Sportlern in ihre Heimat werden gelesen und bei kritischen Bemerkungen über das NS-Regime beiseitegeschafft.

Sportliches Zentrum ist das Olympiastadion mit 100 000 Plätzen. Hitler ist täglich vor Ort; nur als der schwarze US-Leichtathlet Jesse Owens, mit vier Goldmedaillen erfolgreichster Teilnehmer, gewinnt, entschwindet er. Owens’ unterlegener deutscher Konkurrent Luz Long umarmt Owens, lässt sich mit ihm fotografieren – und erfährt eine Drohung von Hitlers Vize Rudolf Hess: „Machen Sie das nie wieder!“

1800 Journalisten aus 58 Staaten sind vor Ort. Die meisten senden die Botschaft aus: In Berlin ist alles okay. Auch sportlich kann Hitler zufrieden sein: Mit 33 Goldmedaillen rangiert Deutschland vor den USA mit 24. Dennoch erklärt er, es werde keine Olympischen Spiele mit Deutschland mehr geben – stattdessen nur noch „Kampfspiele“ in Nürnberg.

Es kommt anders. 20 Jahre nach Kriegsende sind sogar Spiele erneut in Deutschland möglich. Das Land ist wieder zurück in der Weltgemeinschaft. Bei der Abstimmung im IOC 1966 setzt sich München gegen Detroit, Madrid und Montreal durch. Mit 121 Mannschaften wird 1972 gar ein neuer Rekord erreicht, darunter sind erstmals viele Teams aus Afrika.

Die Organisatoren tun alles, um fröhliche Spiele zu gestalten, die sich von Berlin 1936 abheben. Maskottchen wird ein Dackel, der Olympia-Waldi. Beim Athleten-Einzug im Stadion sorgt die Big Band von Kurt Edelhagen mit einem von Peter Herbolzheimer komponierten Medley für einen lockeren Rahmen. Der Kinderchor aus dem nahen Dachau dagegen darf nicht auftreten – auf Grund des belasteten Ortsnamens.

Stars der Wettbewerbe sind die deutschen Leichtathletinnen Heide Rosendahl und die 16-jährige Ulrike Mayfarth sowie der US-Schwimmer Mark Spitz. Von ihm gibt es sogar einen „Bravo“-Starschnitt.

... und hier über die Geiselnahme. © Konstantin Groß

Alles läuft fantastisch, da klettern am 5. September, 4.10 Uhr, acht mit Kalaschnikows bewaffnete palästinensische Terroristen über den Zaun ins Olympiadorf. Um 4.35 Uhr erreichen sie die Unterkunft der israelischen Mannschaft, erschießen den Ringer Moschee Weinberg und verwunden den Gewichtheber Josef Romano; er verblutet, da kein Arzt zu ihm gelassen wird. Neun Sportler Israels werden als Geiseln genommen.

Um 8.50 Uhr fordern die Entführer, Hunderte in Israel einsitzende Palästinenser freizulassen. Mehrere Persönlichkeiten, darunter Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber, bieten sich als Ersatzgeiseln an – vergeblich. Um die Welt gehen nun die Bilder von einem der Entführer mit Strumpfmaske, die sich ins kollektive Gedächtnis einprägen werden.

Die israelische Regierung lehnt die Forderungen der Entführer ab, bietet Bonn stattdessen die Entsendung einer eigenen Spezialeinheit an. Die Bundesregierung verzichtet; sie glaubt, die Geiselnahme alleine meistern zu können, lässt das Gebäude umstellen – zu sehen in der Live-Übertragung des Fernsehens, die auch die Entführer verfolgen; die Behörden vergessen schlicht, den Entführern den Strom abzustellen.

Um 20.30 Uhr stimmt die Bundesregierung zum Schein zu, die Entführer mit ihren Geiseln ausfliegen zu lassen. Um 22.06 Uhr gelangen sie zunächst mit einem Bus und danach mit Helikoptern zum nahen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck.

Bei der Geiselbefreiung 1972 ist die Polizei überfordert

Hier will die Polizei zugreifen. Doch ihre Beamten sind damals keine Scharfschützen, sondern ganz normale Streifenpolizisten. Ausgerüstet mit alten Sturmgewehren Typ Heckler & Koch. Ohne Nachtsichtgeräte. Ohne Funkkontakt untereinander.

Um 22.38 Uhr beginnt ihr Einsatz. Es kommt zu kriegsähnlichen Gefechten, erst um 1.32 Uhr schweigen die Waffen. Am Ende sind alle neun Geiseln tot, außerdem ein Polizeibeamter (32) und fünf Attentäter. Drei andere können gefasst werden.

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Das IOC entscheidet, die Spiele fortzusetzen, sie nur für die Trauerfeier im Stadion einen Tag lang zu unterbrechen. Berühmt der Ausruf von IOC-Präsident Brundage: „The games must go on!“ Doch es bleibt ein düsterer Schatten – bis heute.

Die fünf toten Attentäter werden nach Libyen überführt und dort von Staatschef Gaddafi als Helden bestattet, die drei überlebenden sollen in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Doch dazu kommt es nicht: Deren Freilassung fordern Terroristen, die am 29. Oktober 1972 eine Lufthansa-Maschine mit zwölf Passagieren entführen. Bonn gibt nach.

Israels Regierungschefin Golda Meir erteilt dem Geheimdienst Mossad Befehl zur Operation „Zorn Gottes“. In den folgenden Jahrzehnten kommen 20 direkt oder indirekt am Attentat beteiligte Personen zu Tode. Von den drei freigepressten Attentätern von 1972 leben vermutlich noch zwei. Irgendwo. Versteckt.

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