Zeitreise

Herrnhuter Baukultur in Königsfeld: Wertvolles kulturelles Erbe

Die Herrnhuter Brüdergemeine hat auch im Schwarzwald ihre Spuren hinterlassen. Der Kurort Königsfeld zeugt davon inmitten von Wäldern und ist auch als Heimat von Albert Schweitzer bekannt

Von 
Manfred Loimeier
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Der zentrale ZInzendorf-Platz in Königsfeld mit dem Kirchensaal im Zentrum. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf war Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine. © Manfred Loimeier

Es ist gerade mal drei Wochen her, dass die UNESCO die sächsische Kleinstadt Herrnhut zum Weltkulturerbe erklärt hat, und damit einhergehend in Würdigung der herrnhutischen Siedlungsbewegung auch die Städte Bethlehem in Pennsylvania, USA, sowie Christiansfeld in Dänemark und Gracehill in Nordirland.

So schön ein Ausflug nach Dänemark, Nordirland, den USA oder Sachsen auch sein mag, muss doch niemand so weit reisen, um ein Zeugnis der Herrnhuter Baukultur sehen und begehen zu können. Mitten im Schwarzwald nämlich, in der Abgeschiedenheit eines hochgelegenen Waldgebiets, liegt die Gemeinde Königsfeld, eines der Zentren der Herrnhuter Brüdergemeine.

Einheitliche Architektur

Und auch dort in den Schwarzwaldhöhen findet sich, was die UNESCO für so bemerkenswert hält und was eben typisch ist für die Siedlungen der Herrnhuter: ein einheitlicher Städtebau mit zentralem Platz, einem erhabeneren Hauptgebäude, in dem sich der Kirchen- und Gemeindesaal befindet, sowie angrenzenden Gebäude für Schulen, Schwesternheim, Internate und Gästehaus. In Königsfeld sind derlei Gebäude mit QR-Codes versehen, die es ermöglichen, auf eigene Faust, auch ohne Stadtführung, die Besonderheiten einer Herrnhuter Siedlung nachzuvollziehen.

Die jahrzehntelange Heimat von Albert und Helene Schweitzer. © Manfred Loimeier

Von dem zentralen Hauptplatz aus gehen schachbrettartig die Straßen ab, in denen sich stattliche Gebäude im sächsischen Stil erheben: hohe Mansarden, kleine Holztäfelungen, Erker und Balkone. Das sieht auch in Königsfeld noch sehr imposant aus, wenngleich manche Häuser mitunter schon etwas verbaut wirken. Und der Gegensatz zwischen der Abgeschiedenheit im Schwarzwald und einer doch üppigen Raumgestaltung ist durchaus etwas verwunderlich.

Alle Menschen sind gleich

Schlichtheit ist eigentlich die Regel der Herrnhuter, zu sehen im Kirchensaal – keine Kanzel, kein Altar, ganz in Weiß, ein offener, demokratischer Raum – sowie vor allem auf dem Friedhof, dem Gottesacker.

Informationen Zu Geschichte und Gegenwart der Herrnhuter Gemeinde

  • Zur Geschichte: Als im katholischen Tschechien viele Protestanten ihren Glauben nur heimlich ausüben konnten, bot der sächsische Graf Nikolaus Ludwig Zinzendorf 1722 in seinem Gut Berthelsdorf in der Oberlausitz Glaubensflüchtlingen aus Mähren Schutz. Dieser Zufluchtsort „Unter des Herrn Hut“ wurde zur Keimzelle der Brüdergemeine. In dieser fand auch die Gemeinschaft der Mährischen Brüder – auch Böhmische Brüder genannt – eine neue Heimat, die schon seit dem Tod des Reformators Jan Hus verfolgt worden war.
  • Die Brüdergemeine: Wegen des Bezugs zu den Mährischen Brüdern gilt zum einen das Jahr 1457, zum anderen durch die Bezugnahme auf Graf Zinzendorf das Jahr 1727 als das Gründungsjahr der Herrnhuter Brüdergemeine.
  • Die Aufgaben: Die Herrnhuter Brüdergemeine setzte als internationale Kirche vor allem auf Missionsarbeit, weshalb es weltweit Herrnhuter Siedlungen gibt. Die größte Tochtersiedlung befindet sich in Tansania und stellt die Hälfte der Kirchenmitglieder.
  • Die Sterne: Die bekannten Herrnhuter Sterne, als Advents- und Weihnachtssterne genutzt, haben deshalb ihre ungewöhnliche Form, weil ihr Licht in möglichst alle Richtungen leuchten soll.
  • Info: Gemeinde Königsfeld im Schwarzwald, Tourist-Info, Rathausstr. 9, 78 126 Königsfeld, Tel.: 077 25 - 800 45, info@koenigsfeld.de,

Entsprechend dem Credo, dass vor Gott alle Menschen gleich sind und der Tod alle Unterschiede aufhebt, sehen alle Grabplatten gleich aus und liegen auf den Gräbern statt sich grabmalartig zu erheben. Das ist Prinzip und erzeugt eine beeindruckende Wirkung, angefangen von der allersten Grabplatte in Königsfeld, die gleich rechts am Eingang zum Gottesacker zu sehen ist, bis hin zu den jüngsten Grabstätten. Dass das erste in Königsfeld geborene Baby 1809 zugleich der erste Todesfall dort wurde, ist dabei besonders berührend.

Beliebter Kurort

Nun ist Königsfeld vor allem als Kurort bekanntgeworden – und spürt derzeit wie zahlreiche andere Kurorte auch den Sparkurs der Kranken- und Rentenversicherungen. Zurückgehende Patientenaufenthalte schmälern die Einnahmen der Gemeinde, Abwanderung und Arbeitssuche andernorts haben den Leerstand auch in Königsfeld erhöht, während zugleich in gehobenere Wohnanlagen investiert wird.

Eine Mischung aus Spätbarock und Jugendstil. © Helga Hofmann

Denn Ruhe und sommerliche Kühle entwickeln sich zu einer neuen Qualität, zumal der Freizeitwert sehr hoch ist. Wanderungen zu den nahegelegenen Burgruinen Waldeck und Burgberg bieten sich an, zum Dorfmuseum Buchenberg mit den Beispielen des einstigen Schwarzwaldalltags sowie vor allem der Nikolauskapelle, deren Alter auf rund 1000 Jahre geschätzt wird. Hinzu kommt ein gut angelegtes Netz an Wanderwegen durch die Wälder, entlang des Glasbachtals etwa mit indes kaum noch erkennbaren Resten früherer Mühlen oder vorbei an zahlreichen historischen Schwarzwaldhöfen. Gehobenere Restaurants künden zudem davon, dass die Region von Freunden wertiger Lebensqualität sehr geschätzt wird.

Albert Schweitzer zu Ehren

Seit gut 20 Jahren gibt es im Albert-Schweitzer-Haus in Königsfeld außerdem ein Forum für Kunst und Kommunikation, eingerichtet in den Schauräumen, die dem Leben und Werk des Theologen und Arztes Schweitzer gewidmet sind und insbesondere auch das Wirken seiner Ehefrau Helene herausstellen.

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1923 bezog die Familie Schweitzer dieses Haus, errichtet nach eigenen Vorstellungen. Bewohnt wurde es überwiegend von Gattin Helene und Tochter Rhena, denn Albert Schweitzer war da meist in Lambarene oder auf Vortrags- und Konzertreisen. Kein Wunder also, dass auch der stattliche Speisesaal im Gasthof der Brüdergemeine im Zentrum Königsfelds, auch Herrnhuter Haus genannt, nach Helene Schweitzer benannt wurde. Der Speisesaal wurde nach Originalvorlagen restauriert und illustriert den Jugendstil und die Gepflogenheit der gemeinsamen Mittagstafel für die Gäste.

Der ehemalige Löschteich am Rande des Zinzendorf-Platzes. © Helga Hofmann

Das Schweitzer-Haus, das einst am Rande von Königsfeld stand und jetzt in einem Wohngebiet liegt, befindet sich unmittelbar neben dem Doniswald in Königsfeld, dem ersten Kurpark des Ortes. Einstmals der Bauernwald des Donis-Gehöfts wurde er vor nun schon 160 Jahren zur Kuranlage, so dass sich heute Entenweiher, Kneipp-Becken und Barfußpfade darin finden lassen.

Wem die Stille und die Ruhe in Königsfeld indes zu viel wird, findet etwas Abwechslung in den nahen Orten St. Georgen, Villingen-Schwenningen und dem nächstgelegenen Kurort, Bad Dürrheim.

Hoch hinaus

Als Ausflugsziel beliebt ist zudem der TK-Elevator-Testturm in Rottweil, der weltweit zweithöchste Testturm, der ohnehin von der einen oder anderen Lichtung auf einem der Wanderwege, insbesondere nach Buchenberg, weithin zu sehen ist.

Der von Thyssenkrupp errichtete Turm wird mit einer Höhe von 246 Metern für Express- und auch Hochgeschwindigkeitsaufzüge genutzt und ist technisch höchst interessant. Die Besucherplattform auf 232 Metern ist die höchstgelegene Deutschlands und bietet entsprechend einen sehr weiten Panoramablick über den Schwarzwald.

Redaktion Geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion

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