Rhein-Neckar. Das zweite KulturGut-Festival dieser Redaktion ist im Kasten. Um speziell auf die schwierige Situation junger Kreativer in der Pandemie aufmerksam zu machen, haben wir insgesamt 24 Künstlerinnen und Künstler zur Aufzeichnung einer Streaming-Show ins Mannheimer Schatzkistl eingeladen. Am Wochenende geht die Aufzeichnung eines mit Musik und Gags vollgepackten, neunstündigen Aufnahmetags in den Schnitt. Nach Postproduktion und Qualitätskontrolle soll das Endprodukt, also rund zwei Stunden Popkultur für fast alle Geschmäcker und mit guter Unterhaltung, ab Samstag, 19. Februar, 20 Uhr, auf der Homepage dieser Redaktion online gehen - als kostenlos verfügbare Streaming-Show.
Ein Indiz, wie prekär die Lage für Kulturschaffende immer noch ist: Alle waren sofort erreichbar und fast niemand hatte andere Termine - zu normalen Zeiten undenkbar. So gab es auch nur zwei Absagen, quasi wider Willen: Songwriter Marvin Merkhofer konnte aus dem Ausland nicht anreisen, die große Mannheimer Pop-Hoffnung Loi ist mit ihrem Debüt beschäftigt. Aber diese Musikgeneration aus der Region ist qualitativ und quantitativ so exzellent aufgestellt, dass sich problemlos mehrere abendfüllende Shows hätten zusammenstellen lassen - und das auch noch insofern zeitgemäß, dass Frauen in der Überzahl sind.
Bei der Auswahl gab es beratende Unterstützung von Produzenten, Veranstaltern und Kuratoren, darunter Schatzkistl-Impresario Peter Baltruschat vom Kulturnetz Rhein-Neckar, dessen Mitarbeiter Martin Heiler auch die Produktion der Benefizshow organisiert hat, Comedy-Spezialist Roland Junghans oder Ella-&-Louis-Chef Thomas Siffling, der den Jazz-Block kuratierte.
Breites musikalisches Spektrum
Vor allem das musikalische Spektrum ist enorm: Es reicht vom feinfühligen Indie-Folkpop des Mannheimer Ehepaars Svenja und Jonas Birthelmer alias Jona Bird bis zu Heavy-Rock-Powerballaden in 80er-Jahre-Tradition, die das Mannheimer Quintett Supernova Plasmajets um Lead-Sängerin Nastassja Spieß alias Jennifer Crush in ungewohnter Unplugged-Manier abliefert. Mit einem Solo als Höhepunkt, das Manni McFly (bürgerlich: Markus Mantei) aus einer Art Spielzeug-Gitarre in Textmarker-Pink wringt.
Songwriterin Alex Mayr ist das aktuellste Beispiel für das Problem von Kreativen, deren Schritt auf die nächste Karrierestufe von der Pandemie abgegrätscht wurde: Bislang kam die Popakademikerin noch ganz gut durch die Pandemie, konnte im Sommer 2021 auch einige Festivals zu spielen. Aber statt ihr grandioses zweites Album „Park“ permanent und bundesweit dem Live-Publikum anzudienen, „wurde mir gerade die kleine Deutschland-Tour ab dieser Woche komplett abgesagt, weil die Pandemie-Auflagen von Ort zu Ort zu verschieden sind.“ Das betrifft auch den Auftritt am 19. Februar im Heidelberger Karlstorbahnhof. Im Schatzkistl kompensiert sie die Frustration mit zwei tieftraurigen, aber wunderschönen Balladen.
Ihre Kollegin Listentojules präsentiert im Zusammenspiel mit Konrad Hinsken am Klavier international dimensionierten Songwriterinnen-Pop mit Jazz-Einschlägen. Der beschwingte Ohrwurm „Movin On“ propagiert das Weitermachen im Lockdown. Ihr mondäner 70er-Jahre-Look toppt modisch allenfalls die musikalisch seelenverwandte Henny Herz im strahlend blauen Anzug - was aber die inhaltlichen Glanzlichter keineswegs überstrahlt.
Stand-Up ohne Publikum ist Herausforderung
Energetisch haben Alarmbaby-Frontfrau Mary-Anne Bröllochs und ihr Mann Frederic Lipgens an der Gitarre den stärksten Auftritt. Ihren Hit-Refrain „Alarmbaby setzt die Bühne in Brand. (…) Alarm, Baby! Lass’ den Abriss regier‘n!“ ist wörtlich zu verstehen. Und zeigt mal wieder, dass Punkrock-Attitüde auch akustisch funktioniert. Das perfekte Kontrastprogramm liefert der elektronisch fundierte Deutschpop der zu Recht hochgehandelten Adina und ihres Keyboarders Marc Rohles.
Angesichts dieser facettenreichen weiblichen Kreativbreitseite sollten Diskussionen um Frauenquoten bei Live-Events eigentlich obsolet sein. Das unterstreicht auch das Jazz-Festival im Festival mit Duo- bis Quartett-Konstellationen: Die Sängerinnen Jil Pappert und Gabriele Maurer, die solo am Saxofon glänzt, harmonieren prachtvoll. Dazu liefert Bassistin Shana Moehrke lässig, aber mitreißend das rhythmische Rückgrat und Pianist Philipp Weyand unterlegt das Ganze federleicht swingend. Auch hier herrscht Stil-Pluralismus bis hin zu Passagen, die nah am Gospel-Soul sind. Wenn Gaby Maurer „It’s gonna be alright, it’s gonna be okay“ singt, glaubt man ihr nur zu gern, dass alles wieder in Ordnung kommt. Mit den feinfühligen Songs der stimmstarken Gabriel Zanetti und Paul Gerlingers markantem Gesang wird in Zukunft auch zu rechnen sein. Der Ex-Flourishless-Sänger bringt seine Nöte vor dem kleinen Pandemie-Hit „Gut allein“ auf den Punkt: „Ich wünschte, ich könnte ihn öfter spielen auf den Bühnen dieser Welt.“
Für die beiden Stand-Up-Comedians ist es eine Herausforderung, im Schatzkistl ohne jede Publikumsreaktion auskommen zu müssen - das Timing der Pointen ohne Lacher ist kein Spaß. Dem hörgeschädigten Toby Käp gelingt sein Auftritt auch dank einer entzückenden Spielgefährtin: Hündin Frieda. Amir Shabazz füllte die Lücken einfach mit seinem lakonischen Stil - auch ein Mittel, um durch die Krise zu kommen. Das KulturGut-Festival möchte die jungen Kreativen dabei unterstützen - auch dank Ihrer Hilfe: Jede Spende steigert die Pro-Kopf-Gage.
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