Mannheim. Von ewiger Ruhe spricht man bei Friedhöfen – aber von wegen. Quer durch die Stadtgeschichte gibt es unzählige wechselnde Orte, an denen die Toten bestattet werden. Viele kennt man. Nur die genaue Lage des Friedhofs vom alten Fischerdorf Mannenheim, die hat man bis heute nicht gefunden.
Die erste bekannte Mannheimer Bestattung liegt über 2000 Jahre zurück. 1907 wird sie im südlichen Schlossgarten entdeckt - ein Hockergrab aus der Glockenbecherkultur, benannt nach der Form der am meisten verwendeten Gefäße. Noch älter, nämlich aus der Jungsteinzeit, also dem fünften Jahrtausend vor Christus, sind zwei auf der Vogelstang gefundene Kindergräber.
Der Pestbuckel
Ob bei Feudenheim, Wallstadt, Sandhofen oder Neckarau - immer wieder machen Archäologen beim Autobahn- und Siedlungsbau der 1930er bis 1970er Jahre Gräberfunde, die eine frühe Besiedelung belegen. In der Ausstellung „Versunkene Geschichte“ im Museum Weltkulturen der Reiss-Engelhorn-Museen sind Beispiele früher Bestattungskultur zu sehen. Die bisher größte Entdeckung mit über 900 Grabfunden ist ein Gräberfeld der Merowingerzeit (5.- 8. Jahrhundert), wo Archäologen beim Bau der SAP Arena auf kostbare Grabbeigaben stoßen.
Im Mittelalter werden die Menschen bei den Kirchen beigesetzt. Man spricht von Kirchhof, Gottesacker oder Totenacker. Während die Pest wütet, in Mannheim besonders heftig 1666/67, muss „im jungen Busch gegen den kleinen Rhein und Neckar“, sprich im Jungbusch, ein eigener Pestfriedhof angelegt werden. „Pestbuckel“ nennt man ihn.
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Dass die Bewohner der 1606 gegründeten Festung Mannheim in dieser Gegend, außerhalb der Stadtmauern, ihre Toten beerdigen, ist schon früher belegt - nämlich während des Dreißigjährigen Krieges. 1622, als der Heerführer der katholischen Liga, Jean T’Serclaes von Tilly, die Festung erobert und zerstört, erreicht und beschießt er sie der Stadtchronik zufolge vom Hemshof kommend über ihre schwächste Stelle - den Friedhof im Jungbusch.
Großherzog macht Druck
Nach dem Wiederaufbau der Stadt gibt es zahlreiche Begräbnisplätze - abhängig von der Konfession. Die Juden erwerben 1661 einen Platz im Bollwerk hinter dem Herrnhuter Brüderhof im Quadrat F 7. Von 1686 ist belegt, dass die Stadt der Witwe des Stadtdirektors Heinrich Clignet (1607-1683) ihren Garten beim Rheintor abkauft, um einen Friedhof für die lutherische Gemeinde anzulegen. Aber im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 erlebt Mannheim wieder eine komplette Zerstörung.
Für die Zeit danach gibt es eine wesentlich bessere Quellenlage. So weiß man, dass sich der lutherische Friedhof in der Bastion St. Bartholomäus, also einem äußeren Teil der Stadtbefestigung, im Bereich der heutigen Quadrate P 7/Q 7 befindet, der katholische Kirchhof bei den Quadraten K 2/K 3 und die evangelisch-reformierte Gemeinde in F 6.
Immer wieder gibt es Pläne, einen neuen, konfessionsübergreifenden Friedhof anzulegen. Nach dem Ende der Kurpfalz erhöhen die nun regierenden badischen Großherzöge den Druck und drängen darauf, schon aus hygienischen Gründen die Totenäcker außerhalb der Stadt anzulegen. Die christlichen Friedhöfe gelten als überbelegt, müssen teils sogar alle fünf bis sechs Jahre umgegraben werden. Mehrfach wird eine Verlegung in den Jungbusch, zwischenzeitlich auch den heutigen Lindenhof oder vor dem Heidelberger Tor (heutige Oststadt) erwogen - und verworfen.
1838 verliert die großherzogliche Regierung die Geduld. Aus der Empfehlung wird eine Verordnung - die Verantwortung für Bestattungen geht von den Kirchen auf die Kommunen über und die Friedhöfe müssen verlegt werden. Dabei steht „nicht mehr der bis dato vorherrschende religiöse Gedanke der Auferstehung und Andacht im Vordergrund, sondern neueste medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse“, hebt Harald Stockert vom Marchivum hervor. Im März 1839 schickt die Regierung der inzwischen 23 000 Einwohner zählenden Stadt eine Ermahnung, weil die Zustände „absolut unhaltbar“ seien, und fordert eine Stellungnahme binnen vier Wochen.
Es dauert noch mal über ein Jahr, bis sich der Bürgerausschuss entscheidet. Im April 1840 votiert er dafür, im Gewann Sandäcker nördlich des Neckars zu bauen und damit weit genug weg von Mannheimer und von Feudenheimer Bebauung sowie etwas höher gelegen - also sicher vor Hochwasser.
Voraussetzung für die Anlage des neuen Friedhofs ist der zeitgleich begonnene, 1845 beendete Bau der Kettenbrücke, der ersten festen Brücke über den Neckar am Standort der heutigen Kurpfalzbrücke - denn nur dadurch kann man die Toten selbst bei Eisgang sicher auf die andere Seite des Flusses bringen.
Imposante Arkaden
Den Auftrag erhält der aus Österreich stammende, gerade zum Stadtbaumeister berufene Architekt Anton Mutschlechner, und in den Grundstein am Portal des neuen Friedhofsgebäudes werden am 13. April 1841 außer sechs Münzen und dem „Mannheimer Journal“ je eine Flasche Weißwein und Rotwein eingemauert - als Erinnerung an die vorherige Nutzung des Areals, wo lange Wein angebaut wird. Der katholische Pfarrer Orbin segnet sie, der evangelische Pfarrer Schwarz und Gemeinderat Johann David Bender halten Reden, und viele Zünfte, Vereine und Schulen beteiligen sich an der großen Feier. „Die Entschlafenen hier, sie schlummern vereint in der Erde, bis sie der Ewige ruft“, heißt es laut einer Abschrift in der Urkunde im Grundstein. Man habe den Friedhof gegründet, „damit die Körper von der guten Muttererde aufgenommen werden“.
Nur 15 Monate beträgt die Bauzeit des neuen, nun für alle Konfessionen ausgelegten Friedhofs. Schon am 14. Juli 1842 erfolgt die festliche Einweihung. In der kurzen Zeit wird nicht nur die 3,2 Hektar große Fläche angelegt, sondern auch das „stattliche Eingangsgebäude“, wie es Andreas Schenk, der Architektur-Experte vom Marchivum, nennt.
Weil der Hauptfriedhof damals auf völlig freiem Feld entsteht und damit weithin sichtbar ist, entscheidet sich der Architekt für eine repräsentative Gestaltung in Anlehnung an einen Kirchenbau. Das imposante Eingangsgebäude aus gelbem Sandstein mit drei Rundbögen wird von einem Kreuz bekrönt. Der Giebel trägt die Inschrift „Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben, sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach“. 1992, genau zum 150. Jahrestag der Einweihung des Friedhofs, hat die Stadt die Giebel-Inschrift wieder herstellen lassen. Sie war im Jahr 1967 verschwunden, als man die Fassade einer so gründlichen Sandstrahlreinigung unterzieht, dass dabei auch die rötliche Backsteinfärbung verblasst. Die nach dem Zweiten Weltkrieg verschwundenen Amphoren an den Ecken des Giebels will der Verein Stadtbild bald wieder herstellen.
Mehrfach erweitert
Zwei dreiachsige Flügelbauten flankieren die Eingangshalle. Sie beherbergen zunächst links die Wohnung des Friedhofsaufsehers, rechts einen Betsaal. Heute dienen beide als Urnenhallen. An die Flügelbauten schließen sich Arkadenreihen mit je 13 Rundbögen und gusseisernem Gitter an. Darunter finden sich Gruften und die Reste der Gebeine der einstigen Innenstadtfriedhöfe. Daran schließen sich Pavillons an. Zunächst zur ersten Aufbewahrung von aufgefundenen, nicht identifizierten Leichen genutzt, wird der rechte Pavillon 1905 Gruft der Familie Lanz, der andere erst Leichenwagenremise und jetzt Trafostation.
Dem 125 Meter langen Bau mit Ornamenten aus Gotik und Romantik misst Volker Keller vom Verein Stadtbild „durch seine präzise gearbeiteten Details, das ausgewogene Verhältnis der einzelnen Bauteile und die wohlproportionierte Reihung der Arkaden künstlerischen Wert“ bei. Derzeit, noch bis Ende 2022, werden Sockel, Teile des Mauerwerks sowie die Gitter saniert.
Die erste Beisetzung vor 180 Jahren ist Philipp Hornig, ein 34-jähriger Zimmermann, der zwei Jahre zuvor von Kreuznach nach Mannheim gezogen war. Heute ist der anfangs 3,2 Hektar umfassende Hauptfriedhof mit 34,37 Hektar mehr als zehnmal so groß. Schon 1856 gibt es die erste Erweiterung um 2,8 Hektar, weil die Stadt wächst und man den Angehörigen nicht zumuten will, sich so schnell wieder von den Gräbern zu trennen.
Mannheimer Hauptfriedhof - Besuchertipps
- Anschrift: Hauptfriedhof, Am Jüdischen Friedhof 1, 68167 Mannheim
- Öffnungszeiten Hauptfriedhof: prinzipiell immer offen, er ist jedoch zum Eintritt der Dunkelheit zu verlassen.
- Öffnungszeiten der Verwaltung: Montag bis Donnerstag 8 bis 15.30 Uhr und Freitag 8 bis 14.30 Uhr. Bestattungsdienst-Telefonnummer 0621/3377 200 (rund um die Uhr).
- Parkplatz: gegenüber Anschrift: Am Friedhof 29 und Ludolf-Krehl-Straße.
- Nahverkehr: Die Linien 2 und 7 fahren zu Haltestelle „Hauptfriedhof“.
- Friedhofsmobil: Kostenloser Service für gehbehinderte Besucher montags bis donnerstags von 8 bis 15 Uhr und freitags 8 bis 14 Uhr über Telefon 0152 22105764 für die Fahrt zum Grab und zurück.
- Veranstaltungen: 11. September, „Tag des offenen Denkmals“ mit Besichtigung der Gramman-Gruft auf dem Hauptfriedhof, 18. September, 11 Uhr, Parkgrabfeld 1, Auftritt Arnim Töpel, 23. Oktober, 11 Uhr, Führung über den Hauptfriedhof mit Katrin Fix und Dominique Stöhr-Schmidt, Friedhöfe Mannheim.
- Trauercafé: Ort der Begegnung jeden ersten Sonntag im Monat von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr in der Kleinen Trauerhalle, veranstaltet vom Katholischen Stadtdekanat, zum Beispiel am 7. August und 4. September. pwr
1871, 1881, 1892, 1900, 1937 und 1965 folgen weitere große Erweiterungen, 1975 noch ein kleineres Urnengräberfeld. Allerdings wird zugleich, obwohl 320 Kleingärtner der benachbarten Anlage in der Sellweide bereits ihre Kündigung erhalten haben, auf die längst geplante große Erweiterung verzichtet, indem man die Ruhezeit verkürzt, Vorortfriedhöfe vergrößert und den neuen Waldfriedhof Gartenstadt anlegt.
Alarmklingel für Leichen
Bedeutende bauliche Erweiterungen erfährt der Hauptfriedhof durch das 1899/1900 entstehende tempelartige Krematorium mit reich verzierter Fassade und breiter, 15-stufiger Freitreppe, nach Inbetriebnahme eines 1983 fertiggestellten Neubaus als Urnenhalle umgebaut. 1903 entsteht eine große Leichen- und Trauerhalle; ab da ist die lange Aufbahrung der Toten zu Hause nicht mehr statthaft. Sie verfügt über ein Kuriosum: Jede Leiche erhält einen elektrischen Kontakt in die Hand, der bei der geringsten Bewegung eine Alarmklingel im Wärterzimmer läuten lässt - um so die Beisetzung von Scheintoten zu verhindern.
Das neugotische, einem mächtigen Sakralbau gleichende Gebäude übersteht zwar beide Weltkriege unbeschadet, betont Volker Keller vom Verein Stadtbild, aber nicht die Wirtschaftswunderzeit, wo man alles neu machen will. Im Sommer 1964 wird der prachtvolle Bau abgerissen, bleigefasste Buntglasfenster, die herrlichen Türmchen, handgeschmiedete Türbeschläge - alles landet im Schutt, bedauert er wehmütig. Als Ersatz entsteht 1967 nach den Plänen der Architektengemeinschaft Hans Scherrmann sowie Wilhelm und Karl Schmucker ein - seinerzeit sehr umstrittener - kubischer Betonbau mit Lichtwabenwänden. Die künstlerische Gestaltung stammt von dem lange in Schriesheim ansässigen luxemburgischen Maler, Bildhauer und Glasgestalter Theo Kerg (1909-1993).
Grüne Oase
Derzeit gibt es auf dem Hauptfriedhof 23 000 Wahl- beziehungsweise Familiengräber, die - einmal erworben - immer wieder verlängert werden können. Davon sind etwas über die Hälfte belegt. Dazu kommen 8771 Urnengemeinschaftsgräber, 657 Erdreihengräber sowie 710 Urnenreihengräber, die nach Ablauf der Ruhefrist von 15 Jahren nicht verlängerbar sind.
Neben prachtvollen, teils denkmalgeschützten Grabstätten berühmter Persönlichkeiten, die einen Spaziergang lohnen, ist der Friedhof nicht nur ein würdiger Ort der letzten Ruhe, sondern ein herrlicher schattiger und ruhiger Park mit rund 3600 stattlichen Bäumen, um die sich mit Tobias Schüpferling eigens ein Baumpfleger kümmert.
Da die großzügige Anlage inzwischen auch nach ökologischen Gesichtspunkten gepflegt wird, hat sie sich als Lebensraum für zum Teil bedrohte Vogel- und Tierarten mitten in der Großstadt entwickelt. Der Mannheimer Stadtrat Thomas Hornung, bekannter Vogelkundler, beobachtete auf dem Hauptfriedhof schon 30 Arten, die dort brüten oder längere Zeit im Jahr leben, also etwa Nahrung suchen. „Damit ist der Mannheimer Hauptfriedhof bundesweit spitze: Durchschnittlich werden auf städtischen Friedhöfen gut 20 Arten gezählt, auf großen parkähnlichen Anlagen im Schnitt 30“, so Thomas Hornung. Bei den Toten herrscht also auch viel Leben.
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