Mannheim. Es ist offiziell eine Übung. 20 Tage lang rücken Pioniere der in Mannheim stationierten amerikanischen Streitkräfte mit schwerem Gerät, darunter Planierraupen mit 300 PS, an. Danach macht das Grünflächenamt die Feinarbeiten, und fertig ist der 50 mal 100 Meter große Platz mit immerhin 1200 überdachten Tribünenplätzen und 6000 Stehplätzen. 326 Pferde starten dann bei 14 Prüfungen an drei Tagen auf dem Friedensplatz – so beginnt im April 1964 das erste Maimarkt-Reitturnier.
„Und wer vom Pferd heruntergefallen ist, der hatte immer einen grauen Schatten auf der Hose – auch wenn sie gewaschen worden war“, weiß Peter Hofmann noch. Denn was die Pioniere auf dem Boden plattgewalzt haben, war schwarze Schlacke. „Aber damals waren Reiter und Pferde eben nicht so empfindlich“, so der heutige Turnierchef.
Er ist schon beim ersten Turnier dabei, als 14-Jähriger. Da darf er das Schleifenpony führen, an dem bei der Siegerehrung die Ehrenschleifen für gut platzierte Pferde hängen. Und da sei er „unheimlich stolz“ gewesen, auf diese Weise „ganz nah dran an allen Stars“ zu sein, erinnert er sich. Denn in der Tat sind damals gleich beim ersten Turnier die besten Reiter Deutschlands am Start, etwa Alwin Schockemöhle, Josef Neckermann und Gerd Wiltfang.
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Das Turnier ist eine weitere Aufwertung des Maimarkts, der damals gerade so etwas wie eine Neugeburt erlebt. In den 1950er Jahren läuft die Großveranstaltung unter Verantwortung der Stadt, im Schlachthof. Doch die Besucherzahlen sinken. Daher entschließt sich die Stadt zu einer Privatisierung. Ab 1962 trägt ein Familienunternehmen, heute die Mannheimer Ausstellungsgesellschaft, die Verantwortung.
Geritten wird anfangs auf dem Flugplatz
Unter deren Regie findet der Maimarkt ab 1962 auf dem neuen Standort am Friedensplatz statt – und zwar so erfolgreich, dass die Organisatoren schon zwei Jahre darauf erstmals Aussteller abweisen müssen, weil alle 22 Hallen belegt sind. Den neuen privaten Machern, allen Voran der langjährige Maimarktchef Kurt Langer, gelingt es, sehr viele neue Ideen umzusetzen, aber doch zugleich die landwirtschaftlichen Wurzeln des Maimarkts weiter zu pflegen.
Dazu haben von Anfang an Pferde gehört. Als Pfalzgraf Johann II. der jungen Stadt Mannheim am 10. September 1613 zwei Märkte bewilligt, ist das die Geburtsstunde des Maimarkts. Von Anfang an wird da Vieh gehandelt, auch Pferde als wichtige Zug- wie Zuchttiere. 1832 wird der Maimarkt zu Maifesttagen aufgewertet. Am 8. Mai 1836 startet erstmals ein „Preiswettrennen zu Pferde“ auf dem Exerzierplatz östlich der heutigen Otto-Beck-Straße. Der Landwirtschaftliche Bezirksverein ergreift die Initiative zu diesem Vorläufer der heutigen Pferderennen, und die Preise werden in Anwesenheit der Großherzogin überreicht.
1868 schlägt der Landwirtschaftliche Bezirksverein dem Stadtrat vor, zwar weiter zur Maimarkt-Zeit ein Pferderennen auszurichten – aber erstmals gegen Eintrittsgeld und an neuem Ort, den Neuwiesen am Neckardamm (heute Luisenpark). Zwei Jahre später wird dort erstmals die „Badenia“ ausgetragen, der 1870 vom Großherzog gestiftete Große Preis für das Jagdrennen über natürliche Hindernisse („Steeplechase“). Bis weit ins 20. Jahrhundert ist es das bestdotierte deutsche Herren-Hindernisrennen, zeitweise sogar Europas, und heute führen die Tradition des Preises sowohl der Rennverein als auch das Maimarkt-Turnier fort.
1926 wird der Reiter-Verein Mannheim gegründet. Er darf die einstige Reitbahn der Kurfürsten im Schloss-Ostflügel (heute Universität) nutzen und richtet 1932 erstmals parallel zum Maimarkt ein Reitturnier aus. Durch den Zweiten Weltkrieg kommt dann aber wieder alles zum Erliegen. Beim ersten Maimarkt nach dem Krieg, 1949 im Rosengarten, ist für Pferde kein Platz, doch parallel findet ein Pferdemarkt im Schlachthof statt. 1951 gibt es Reitvorführungen am Friedrichsplatz, und ein Reitturnier parallel zum Maimarkt, der damals im Schlachthof stattfindet, auf dem Flugplatz Neuostheim. Da ist Platz – denn erst ab 1955 erhält die Bundesrepublik von den Alliierten ja die Lufthoheit.
An all diese Traditionen will Oberbürgermeister Hans Reschke anknüpfen, als er den Maimarkt-Machern und dem Reiter-Verein vorschlägt, auf dem damals neuen Maimarktgelände am Friedensplatz auch einen Turnierplatz anzulegen. Emil Himmelsbach, seinerzeit Präsident des Reiter-Vereins, sei „der wesentliche Treiber“ gewesen, erinnert sich Peter Hofmann.
Aber er nennt weitere Namen: Elektro-Ingenieur Hans Dann als Mann für alles Technische, sowie der Mannheimer Unternehmer Helmut Gerard, selbst erfolgreicher Springreiter, „der das Reglement kannte und die Verbindungen zu allen großen Turnierreitern hatte“. Dank ihm seien die prominenten Sportler gleich zum Auftakt 1964, obwohl Olympiajahr, gekommen. Als ebenso wichtig erinnert er an Hans Rexin, Juwelier auf den Planken und Vereinspräsident 1975 bis 1979, sowie an Heinz Bloch, einst Vorstand der Mannheimer Versicherung, wichtiger Wegbereiter und Garant für die Finanzierung des Turniers.
Anfangs wird das Preisgeld bar gezahlt, die Stallungen sind im etwa einen Kilometer entfernten Schlachthof und die Pferde werden einfach auf der Straße zum Turnier geritten. Die ersten Hindernisse bauen Hobby-Handwerker, die Mauer die Werkstatt der Justizvollzugsanstalt. Und wenn es zu heftig regnet, steht der Platz so stark unter Wasser, dass die Feuerwehr helfen und abpumpen muss. „Wäre heute alles undenkbar“, seufzt Hofmann.
Zweimal richtet Mannheim die Europameisterschaft aus
Der Mann, der 1964 das Schleifenpony führt, ist die ganzen Jahre dabei. Er hilft im Stall, als Ansager, bei den zeitweise auf dem Neckarufer ausgetragenen Fahrwettbewerben und überall, wo jemand fehlt. Da er in den Semesterferien vom Jurastudium für den erfolgreichen Springreiter Achaz von Buchwaldt im Stall und auf Turnieren arbeitet, weiß Hofmann, worauf es ankommt. „Ich habe alle Top-Reiter, aber auch die Pfleger kennengelernt“, so Hofmann. Als das Mannheimer Turnier in den 1970er Jahren an Bedeutung zu verlieren droht, lässt er sich in die Pflicht nehmen. „Ich wusste: Das muss ich machen“, begründet der Enkel eines Hufschmieds noch heute, warum er 1982 – längst Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Firma Berrang – den Vorsitz des Reiter-Vereins und damit auch die Verantwortung für das Turnier übernimmt.
Kurz darauf gerät der Maimarkt freilich in eine Krise – die sich als riesige Chance entpuppt. Das Land erteilt Mannheim den Zuschlag, dass hier das neu gegründete Landesmuseum für Technik und Arbeit angesiedelt wird, will als Standort aber nur den Friedensplatz. Dafür entscheidet die Stadt 1981, den Maimarkt auf ein zuvor landwirtschaftlich genutztes Areal östlich des Flugplatzes zu verlegen, wo er 1985 erstmals stattfindet.
Für 5,5 Millionen D-Mark wird dort ein neues Reitstadion gebaut – mit einem speziellen Boden, der bei den Reitern einen hervorragenden Ruf genießt. Und nicht nur der Boden: Hofmann und seine ganze Familie engagieren sich, motivieren stets rund 100 ehrenamtliche Helfer. Das sorgt für eine besonders familiäre, persönliche Atmosphäre bei zugleich höchst professioneller Organisation. Dazu schätzen die Reiter das besondere Flair, wofür das reitsportbegeisterte Mannheimer Maimarkt-Publikum gerade auf den Stehplätzen sorgt. Gleich vier Mal (1982, 1983, 1993 und 2000) vergibt der Club Deutscher Springreiter daher seinen „Oscar“ für die beste Veranstaltung nach Mannheim.
„Der Maimarkt gehört zu den Top-Turnieren“, sagt Springreiter-Bundestrainer Otto Becker, der als junger Mann – noch auf dem alten Platz – selbst geritten ist. Im Mühlfeld ist längst nicht nur ein Platz entstanden, sondern die Anlage trägt den Titel „MVV Reitstadion“. Das ist nicht nur eine Hommage an den Mannheimer Energieversorger, der seit 1996 verlässlicher und großzügiger Sponsor des Turniers ist.
Maimarkt-Turnier: Tickets und Anfahrt
- Termin: Der Mannheimer Maimarkt findet vom 27. April bis 7. Mai 2024, jeweils 9 bis 18 Uhr, statt, das Maimarkt-Reitturnier vom 2. bis 7. Mai
- Eintritt: An der Tageskasse zahlen Erwachsene zehn Euro, Kinder (6-14 Jahre) sowie Ermäßigte sieben Euro. 16-Uhr-Karte sechs Euro. Das VRN-Maimarkt-Ticket kostet für Erwachsene zwölf Euro, für Kinder (6-14) 6,50 Euro und beinhaltet die Hin- und Rückfahrt zum Maimarkt im VRN-Gebiet sowie den Eintritt.
- Reitturnier: Die überdachten Tribünenplätze beim Reit- und Springturnier kosten am 4. und 6. Mai 27 Euro, am 5. und 7. Mai 37 Euro, Maimarkt-Eintritt inclusive. Tribünenplätze an den übrigen Tagen frei, Stehplätze an allen Tagen frei. Tickets unter maimarkt-turnier.de.
- Anfahrt: Die Stadtbahnlinien 6/6A sowie die Buslinien 50 und 45 halten direkt gegenüber vom Maimarkt-Haupteingang. Am S-Bahn-Bahnhof Arena/Maimarkt halten während des Maimarkts alle S-Bahnen, von dort kann man umsteigen in Busse und Stadtbahnen oder 10 Minuten zu Fuß laufen. Wer mit dem Pkw kommt, folgt der Beschilderung zum Großparkplatz neben dem Flugplatz, der 12 000 Plätze bietet und direkt über die Autobahn A 656 von Heidelberg kommend angefahren werden kann. pwr
Es trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass mehrere Ausbauschritte erfolgten – etwa ein zweiter Turnierplatz für Dressur, eine Verlängerung der Sitzplatztribüne und der Bau eines Richterturms mit Pressezentrum. Schließlich gehört nicht nur der Maimarkt zu den Top-Turnieren, wie der Bundestrainer sagt. Das Mühlfeld dient als Schauplatz höchst bedeutender Veranstaltungen für den Ruf Mannheims als Sportstadt. Das beginnt gleich 1986, als sich das neue Reitstadion bei der Deutschen Jugendmeisterschaft bewährt. In der Folge werden vier Deutsche Meisterschaften (1987, 1990, 1994 und 2002) und zwei Bundeschampionate (1989 und 1993) in die Quadratestadt vergeben, dann 1997 die Europameisterschaft der Springreiter und 2000 die Weltmeisterschaft der Voltigierer und 2015 die „CSIO - 100. Preis der Nationen“.
2007, als die Europameisterschaft der Springreiter zum zweiten Mal in Mannheim ausgetragen wird, ist das zugleich der überregional mit Abstand bedeutendste Beitrag zum 400. Geburtstag der Stadt. Schließlich legt Hofmann im Vergleich zu 1997 da noch mal eine Schippe drauf und macht daraus ein gesellschaftliches Ereignis erster Güte mit nachhaltiger Präsenz in der ganzen Stadt und einer begleitenden Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen mit dem Titel „Pferdestärken – Das Pferd bewegt die Menschheit“, das die gesamte Kulturgeschichte der Tiere als einer der ältesten Weggefährten des Menschen weit über den Reitsport hinaus darstellt. Die damals von Chris Buseck, Absolvent der Popakademie, eigens komponierte sehr eingängige EM-Hymne „When Horses fly“ wird seither weiter im Reitstadion gespielt – als Erkennungsmelodie des Mannheimer Reitsports.
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Auch Krisen stets gut gemeistert
Das alles hat für derart überregionale Aufmerksamkeit gesorgt, dass sogar die Schwaben die Bedeutung Mannheims anerkennen: Als sich Stuttgart (wenn auch vergeblich) um die Austragung der Olympischen Spiele 2012 bewirbt, geht es eine Partnerschaft mit dem Reiter-Verein ein und will ihm im Mühlfeld die Reitwettbewerbe ausrichten lassen. Daraufhin wird in Mannheim sogar mit größerer Euphorie für die Olympiaidee getrommelt als in Stuttgart – dank Hofmanns gewinnend-sympathischer Art und seinem Netzwerk.
Er ist eben einerseits mit dem Bloomaulorden geehrter, stets bodenständiger Mannheimer Lokalpatriot, andererseits als Präsidiumsmitglied der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und Vorsitzender vom Springausschuss des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei überregional hochengagierter, angesehener Vertreter der Sportart.
2022 erhält er daher den – nur selten vergebenen – Friedensreiterpreis der FN. Damit wird auch Hofmanns Rolle als Krisenmanager gewürdigt, ob 2001 bei der Maul- und Klauenseuche oder während Corona. 2020 muss es zwar ausfallen, aber 2021 hat Hofmann das Maimarkt-Turnier ohne Publikum, mit ausgeklügeltem Hygienekonzept und ohne Ansteckungen oder Zwischenfälle (!) stattfinden lassen, so dass die Top-Reiter stets auf die traditionelle Eröffnung der „grünen Saison“ in Mannheim bauen können.
Längst ist der Maimarkt nicht nur Qualifikationsturnier für Olympia, sondern seit 2022 sogar Standort der Longines EEF-Nationenpreisserie. Außer den traditionellen Springwettbewerben ist es Hofmann stets wichtig, weitere Akzente zu setzen. Das sind mal Westernreiter, mal Polospieler, mal Voltigierer. Immer dabei ist die Dressur und seit 21 Jahren die Para-Equestrians, also die Reiter mit Behinderung. Denn neben der Bedeutung des Turniers für das Stadtmarketing legt Hofmann große Bedeutung auf die soziale Seite seines Sports, spielt doch jenseits des Spitzensports auch im Alltag beim Mannheimer Reiterverein therapeutisches Reiten und Sprachförderung für Kindergartenkinder mit Hilfe von Pferden eine bedeutende Rolle.
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