Gesundheit

Sonne und schlechte Laune - Sommerdepressionen sind nicht selten

Der Sommer ist die beste Zeit des Jahres: Schönes Wetter, viele Veranstaltungen finden statt, die Menschen sind fröhlicher. Das stimmt nicht pauschal. Ein Schwetzinger Heilpraktiker für Psychotherapie spricht über Summertime Sadness

Von 
Tanja Capuana
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Schönes Wetter und schlechte Stimmung - das kann eine Sommer-Depression sein. © dpa

Mannheim. Hübsche Kleider anziehen, leckere Eiscreme im Freien genießen, mit Freunden im Garten grillen und im Meer schwimmen: Viele Menschen assoziieren mit dem Sommer vor allem Leichtigkeit und schöne Erlebnisse. Es wird erwartet, dass es die gute Laune frei Haus gibt. Wenn die Sonne nonstop scheint, bleibt da kein Platz für Schwermut. Doch nicht jeder hat aktuell die Zeit seines Lebens. Manchen Menschen geht es trotz warmen Temperaturen nicht gut: Sie erleben eine sogenannte „Summertime Sadness“ und leiden unter Sommerdepressionen, einer Saisonal-Affektiven-Störung.

„Ganz typische Symptome sind Unruhezustände und Appetitmangel“, sagt Carsten Kärcher, Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Schwetzingen. „Dazu kommen häufig noch Schlafprobleme, Nervosität und Erschöpfung, wie bei der normalen depressiven Verstimmung.“ Der Betroffene werde antriebslos, gehe in den Rückzug und könne sich schlechter konzentrieren.“

Die Ursachen dafür seien noch nicht eindeutig definiert, so Kärcher. „Man geht aber davon aus, dass Frauen häufiger betroffen sind.“ So sei bei Frauen das Hormonsystem komplexer aufgebaut als beim Mann, weshalb es empfindsamer auf Schwankungen reagiert. „Bei der Herbstdepression ist der größere Lichtmangel verantwortlich“, sagt er. „Im Sommer haben wir die größere Lichtintensität, die ebenfalls auf das hormonelle Gleichgewicht einwirkt. Wenn das in Dysbalance kommt, kann es zu solchen Störungen kommen.“

Wenn Fotos für miese Laune sorgen

Gleichzeitig kommen die gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüche auch auf den Einzelnen zu. „Gerade der Sommer gilt als DIE Jahreszeit. „Wenn wir uns das grundsätzliche Bild vom Sommer ankucken, ist alles Highlife“, sagt Kärcher. „Da sind Leichtigkeit, Strände, Genießen und Grillen.“ Das Grundbild vom Sommer sei häufig, dass man gut drauf sein und es sich gut gehen lassen soll. „Das kann aber kräftig kollidieren mit meiner persönlichen Lage“, warnt der Experte. „Wenn ich im Sommer arbeitslos werde, einen Trauerfall habe oder einen sonstigen Verlust, dann hilft mir auch Grillen nicht mehr.“ Im Gegenteil, diese typischen sommerlichen Aktionen könnten die Depressionen sogar noch verstärken.

„Die anderen machen sich das schöne Leben und ich selbst bin grad gefangen in ganz anderen Themen oder Problemen“, sagt er „Und die haben auch ihre Wirkungen.“ So zieht den Betroffenen der Anblick von schönen und gut gelaunten Menschen, die im schicken Straßencafé mit ihren besten Freunden Aperol Spritz genießen, während es einem selbst nicht gut geht, runter.

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Auch Soziale Medien haben häufig einen negativen Einfluss auf Menschen, die von der Summertime Sadness betroffen sind. Fotos auf Instagram sorgen dann nicht nur für Neid, sondern können richtig schlechte Laune verursachen. Etwa wenn die beste Freundin Cocktails auf Bali schlürft, der Cousin Spaß auf einem Festival hat, eine Bekannte nicht nur zeigt, dass sie durch ihre regelmäßigen Fitness-Sessions einen Waschbrettbauch hat, sondern nun auch noch in ein Designerkleid passt. Viele vergleichen sich und kommen (vermeintlich) schlechter weg. Statt am Strand sitzt man im Büro am Schreibtisch, die Hose kneift und die letzte Shoppingtour ist auch schon wieder ziemlich lange her.

Doch nicht nur der Neidfaktor beim Durchscrollen auf Instagram und Co. ist Gift fürs angeschlagene Gemüt. „Dazu kommt das Damoklesschwert, das über einem schwebt“, sagt Kärcher und spielt auf aktuelle Ereignisse wie Krieg in der Ukraine, Inflation und die Energiekrise an. „Da wird kräftig Angst verbreitet. Das kann verhindern, dass ich überhaupt in Sommerstimmung komme“, sagt er. „Wenn ich schon angeschlagen bin, durch irgendwelche Ereignisse, wie soll ich noch in Sommerlaune und Leichtigkeit kommen?“ Etwa, wenn die Angst davor, die Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können, im Hinterkopf ist. Oder die Angst, dass der Krieg hierherkommt.

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Zudem ist die Pandemie zwar nicht mehr so stark präsent, wie noch vor zwei Jahren, aber eben noch nicht ganz weg. Befürchtungen, was passieren könnte, wenn das Infektionsschutzgesetz Ende September ausläuft, können nicht von allen Menschen ausgeblendet werden. „So langsam bahnt sich das große Bangen wieder an, was im Oktober wieder sein wird und was an Maßnahmen kommen könnte, so Kärcher. „Die eine Gruppe taucht umso tiefer in diese Sommerleichtigkeit ein, um sich davon umzulenken oder das Thema zu verdrängen“, sagt er. „Die andere Gruppe fokussiert sich eher darauf. Dadurch können sie den Sommer weniger genießen.“ Im Gegensatz zum Ablenken, bei dem viele Leute sich mit Terminen und Events zuballern, damit sie nicht darüber nachdenken müsse, sei Umlenken sehr gesund, so Kärcher.

„Das Umlenken bedeutet, ja, da ist was im Hintergrund, ich versuche mich aber so gut wie möglich darauf nicht zu fokussieren.“ Da man ohnehin nichts ändern könne und es lediglich ein Energiefresser ist, sollte man die Sache im Hinterkopf bewahren, aber sich gleichzeitig mit Dingen beschäftigen, die einem gut tun. Das könne ein Urlaub sein, eine Veranstaltung oder etwas völlig anderes, das man bewusst erlebe. „Wenn ich versuche, mich stattdessen auf das jetzt Sinnvolle ausrichte, kann das nur gesund sein.“

Schlechte Nachrichten sind auch schlecht für die Psyche

Auch beim Medien- und Nachrichtenkonsum bezüglich Krieg, Inflation und mehr, sollte man vorsichtig sein. Und diese nicht von früh bis spät nutzen. Kärcher rät, Nachrichten nur in dem Maße zu anzuschauen oder zu lesen, um grundinformiert zu bleiben. „Das wirkt sich sonst nicht gut auf Körper und Psyche aus“, erklärt er. Außerdem sollte man sich lieber vormittags informieren statt abends. „Denn das Gehirn nimmt diese Reize mit in die Nacht und verarbeitet das. Das wirke sich negativ in den Folgetag aus. „Damit öffnen wir Schlafstörungen Tür und Tor.“  

Ein anderes Phänomen der Summertime Sadness ist Social Exhaustion. Dahinter verbirgt sich das Hangeln von einem Highlight zum nächsten, von einer Hochzeit zur Party und weiter zum Konzert.  „Das ist das soziale Pendant zum beruflichen Burnout“, sagt Kärcher. „Es ist eine tiefe Erschöpfung durch zu viel soziale Aktivität.“ Aus der Spirale kommt man heraus, wenn man eine Auswahl trifft, welche Veranstaltung für einen selbst wichtig ist. „Ich muss mir klar machen, dass ich nicht auf zehn Hochzeiten, fünf Junggesellenabschiede und 13 Konzerte gehen muss, weil es mich sonst überfordert.“ So könne man sich fragen: „Welches Ereignisse sind für mich persönlich wichtig, so dass ich noch in zehn Jahren erzählen will: da war ich. Weil ich es nicht versäumt haben möchte.“ Dann sollte man bei Einladungen, die man nicht annehmen möchte, ehrlich sagen, dass es einem sonst zu viel wird.

Um von vorneherein einen besseren Überblick darüber zu haben, wie der Sommer eigentlich aussehen sollte, rät Kärcher im Vorfeld zu notieren, was man sich von der Jahreszeit erhoffe. Denn der Satz „Das wird mein Sommer“ bedeute für jeden etwas anderes. Auch die Bedürfnisse seien individuell. Dadurch lernt man, zu Einladungen gezielter ja oder nein sagen.

Überhaupt plädiert Carsten Kärcher dafür, dass Zeit für sich wichtig ist. Rechtfertigen müsse man das nicht, wenn man lieber daheimbleibt, auch wenn draußen die Sonne scheint und die Clique zum See fährt.  Das sei kein Egotrip, sondern Selbstsorge, die wichtig sei. „Wenn mir heute der Netflixabend oder die Badewanne lieber ist, weil es mir heute hier und jetzt besser tut, ist es das Maß der Dinge und bedarf keiner Rechtfertigung.“

Freie Autorin Kulturredaktion, Lokalredaktion, Wochenende. Schwerpunkte: Bunte Themen, Reisereportagen, Interviews, Musik (von elektronischer Tanzmusik bis Pop), Comedy und Musicals

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