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Vor 75 Jahren: Konrad Adenauer wird erster Bundeskanzler

Am 15. September 1949 ist Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler gewählt worden. In seine Amtszeit fallen Weichenstellungen für Frieden und Wohlstand. In seinem Haus in Rhöndorf wird an ihn erinnert

Von 
Peter W. Ragge
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ARCHIV - Konrad Adenauer (CDU) wird am 20. September 1949 durch Bundestagspräsident Erich Köhler (r) als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vereidigt. Bei der ersten Bundestagswahl gaben 78,5 Prozent aller 31,2 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab, wählten den ersten Deutschen Bundestag der Geschichte - und erteilten linken wie rechten Parteien eine Absage. Stattdessen ebneten sie dem CDU-Politiker Adenauer den Weg ins Bundeskanzleramt. Foto: dpa nur s/w (Serie "Bundestagswahl historisch"; zu dpa: "1949: Der wohl härteste Wahlkampf der Bundesrepublik") +++ dpa-Bildfunk +++ © picture alliance / dpa

Rhöndorf. Als es vorbei ist, murmelt er dem Abgeordneten Robert Pferdmenges, der neben ihm sitzt, zu: „Et hätt noch immer jot jejange“ („Es ist noch immer gut gegangen“). Es handelt sich um einen Spruch aus dem „Kölschen Grundgesetz“, das Konrad Adenauer da zitiert. So ist es beim Deutschen Bundestag überliefert. In der dritten Sitzung seiner ersten Wahlperiode, am 15. September 1949, ruft Bundestagspräsident Erich Köhler kurz nach elf Uhr den Punkt 2 der Tagesordnung „Wahl des Bundeskanzlers“ auf. Einziger Kandidat: Konrad Adenauer. Als er die Wahl annimmt, wird die Sitzung gleich wieder geschlossen, um 11.53 Uhr. Die Vereidigung Adenauers findet erst am 20. September statt.

Es ist noch immer gut gegangen – das gilt für Adenauers Wahl ganz besonders. Er erhält exakt die für die absolute Mehrheit erforderliche Mindestzahl von 202 der 402 stimmberechtigten Mitglieder des Bundestages. 142 Abgeordnete votieren mit Nein, 44 enthalten sich der Stimme und eine Stimme ist ungültig. Nur weil er für sich selbst stimmt, erhält der 73-Jährige die erforderliche Mehrheit. „Selbstverständlich, etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen,“ betont er.

Die knappe Mehrheit zeigt, dass Adenauers Wahl keineswegs ein Selbstläufer ist. Eigentlich verfügt seine Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei (DP) über insgesamt 209 Abgeordnete, aber es stimmen nicht alle für ihn. Aus der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag am 14. August war die CDU/CSU als stärkste Partei hervorgegangen. Allerdings stellt sich dann die Frage, welche der zehn in den Bundestag gewählten Parteien nun die Regierung bilden sollen.

Die „Röhndorfer Konferenz“ stellt die Weichen

Bei den Christdemokraten gibt es viele Anhänger einer Koalition mit der SPD, die dafür aber das Wirtschaftsministerium fordert. Weil im Bundestagswahlkampf die Auseinandersetzung zwischen Anhängern der Planwirtschaft und Sozialer Marktwirtschaft eine enorme Rolle spielt, will Adenauer auf keinen Fall mit der die Planwirtschaft favorisierenden SPD koalieren. „Das konnte unserer jungen Partei einen vernichtenden Schlag versetzen“, schreibt er in seinen Erinnerungen.

Viel Macht hat er damals eigentlich nicht. Seine Aufgabe als Präsident des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz formuliert hat, ist erledigt. Adenauer fungiert nur als Vorsitzender der CDU in der britischen Zone, zum Bundesvorsitzenden wird er erst mit der CDU-Gründung auf Bundesebene 1950. Aber er weiß, was er will – und was er nicht will. Also lädt er 26 ausgewählte Herren (Frauen sind keine dabei) der CDU und CSU am 21. August 1949 in sein Haus nach Röhndorf ein. „Ich wählte meine Wohnung als Sitzungsort, damit wir möglichst wenig ausgehorcht würden“, heißt es in seinen Erinnerungen.

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„Als Hausherr ergriff ich als erster das Wort“, schreibt er. Weil „die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes vom Sozialismus in all seinen Schattierungen nichts wissen wolle“, plädiert er für eine Koalition mit FDP und der DP, einer nationalkonservativen Kleinpartei. „Der Beifall, den ich erhielt, war nicht sehr stark“, blickt Adenauer zurück. Aber fast genüsslich schildert er dann, wie die Gegner seines Kurses „allmählich kleinlauter wurden“, wie er nach über vier Stunden Pause macht, gutes Essen und Wein auftischt und dann den Durchbruch erzielt.

In dieser – völlig informellen – Runde wird festgelegt, dass Adenauer erster Bundeskanzler, Theodor Heuss (FDP) Bundespräsident werden soll. Als „Rhöndorfer Konferenz“ geht diese Herrenrunde in die Geschichte ein. Sie ist eine der ganz entscheidenden Weichenstellungen der Nachkriegszeit.

Bundeskanzler Konrad Adenauer (l.) wird durch Bundestagspräsidenten Erich Köhler vereidigt. Unten v. l. das Haus in Röhndorf mit Rosen im Garten, Arbeitspavillon und das Schlafzimmer. © dpa (1) und Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus/Frank Homann (3)

In dem an einen Hang gebauten Haus mit Blick auf den Drachenfels lebt Adenauer seit 1937 bis zu seinem Tod. Es ist sein Wunsch, dass es im Original erhalten bleibt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gleich nach seinem Tod übereignen seine sieben Kinder daher das 5000 Quadratmeter große Areal mit dem 500 Quadratmeter großen Wohnhaus an die Bundesrepublik Deutschland. Verwaltet wird es zusammen mit dem gesamten Nachlass von einer überparteilichen Stiftung, die ihn wissenschaftlich aufarbeitet sowie historisch-politische Bildungsarbeit betreibt.

Wer das Haus mit Blick auf das Rheintal besucht, erfährt nicht nur viel über das Wirken des ersten deutschen Bundeskanzlers. 1876 in Köln geboren und aus einfachen Verhältnissen stammend, studiert er Rechtswissenschaften in Freiburg, München und Bonn – dank einem Stipendium für begabte Kölner Bürgersöhne. Nach Referendariat und Examen arbeitet er in der Justiz, wird als Mitglied der Zentrumspartei 1906 Beigeordneter der Stadt Köln – der Beginn seiner politischen Karriere. Kommunalpolitik, so sagt er mal sei eine wichtige Schule für die große Politik. 1909, mit erst 33 Jahren, steigt er zum Finanzdezernenten und Stellvertreter des Oberbürgermeisters auf, 1917 folgt die Wahl zum Stadtoberhaupt.

Von den Nazis verfolgt und gequält

Der Bau der Messe, der „Grüne Ring“ anstelle der früheren Stadtbefestigung, die (binnen zwei Jahren gebaute!) Hängebrücke über den Rhein nach Deutz, Hafenausbau, Gründung der Universität 1919, Sozialer Wohnungsbau und die Ansiedlung der Ford-Werke gehen auf ihn zurück. „Die Kölner verdanken ihm sehr viel“, sagt Ulla Schiefer, eine Mitarbeiterin der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus. Wenig später ergänzt sie: „Die Kölner haben ihn geliebt!“ Während des Ersten Weltkriegs kämpft Adenauer nämlich erfolgreich gegen den Hunger, plant Großküchen, meldet für ein Mais-Schrotbrot und eine Wurst aus Sojamehl sogar ein Patent an.

Tipps für Besucher

  • Anschrift: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Konrad-Adenauer-Straße 8c, 53604 Bad Honnef-Rhöndorf
  • Eintritt: frei, auch Führungen
  • Öffnungszeiten: Mai bis September Di bis So 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen. Oktober bis April Di bis So 10 bis 16.30 Uhr, montags geschlossen
  • Zu besichtigen: April bis Oktober Garten geöffnet, Wohnhaus nur mit Führung zu besichtigen. November bis März Garten und Wohnhaus nur bei Führung zu besichtigen.
  • Führungen: Öffentliche Führungen 11 Uhr, 13 Uhr, 14 Uhr und 15 Uhr, Mai bis September auch 17 Uhr für Einzelpersonen und kleine Gruppen bis neun Personen
  • Anreise: mit der Bahn ab Bonn Haltestelle Rhöndorf (10 Minuten Fußweg), RE 8/RB 27, U-Bahn: Linie 66, mit dem Auto auf der B 42 zwischen Koblenz und Bonn, Ausfahrt Rhöndorf, Besucher-Parkplatz an der Rhöndorfer Straße 30, neben der Feuerwache (10 Minuten Fußweg).
  • Berlin: Am 28. September eröffnet die neue Ausstellung im Konrad-Adenauer-Forum (Behrenstraße 18, 10117 Berlin), auf rund 400 Quadratmetern mit interaktiven Medien und originalen Objekten. pwr

Auch über Köln hinaus wird man auf ihn aufmerksam, weshalb er 1921 an die Spitze des Preußischen Staatsrats gewählt wird. Auch als Reichskanzler ist er mehrfach im Gespräch, wie etwa am 26. Mai 1926 eine Schlagzeile vom „Mannheimer Volksblatt“ belegt. Allerdings verzichtet Adenauer und begründet das mit der „parteipolitischen Zerrissenheit“ der Weimarer Republik. Zu einer Regierung mit schwankenden Mehrheiten sei er nicht bereit. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, bedeutet dies das Ende des zutiefst demokratisch gesinnten rheinischen Katholiken.

Weil er von SA-Männern an der Deutzer Brücke angebrachte Hakenkreuzfahnen von städtischen Arbeitern entfernen lässt, wird er vom Dienst suspendiert, am 17. Juli 1933 endgültig entlassen, verfolgt und schikaniert. „Adenauer an die Mauer!“, rufen Nazi-Horden. Ihm gelingt die Flucht ins Kloster Maria Laach, dessen Abt ein Schulfreund ist. Zwischendurch frei und dann doch von der Gestapo inhaftiert, kann Adenauer – dank juristischer Kenntnisse und seiner Kämpfernatur – 1937 immerhin erreichen, dass die Stadt Köln Adenauers Haus in der Max-Bruch-Straße übernimmt und ihm eine Pension zugesteht. Damit zahlt er dann den Bau des Hauses in Rhöndorf, das Ende 1937 fertig wird.

61 Jahre alt ist er da – und dennoch schafft er, und das bis ins hohe Alter, die 58 Stufen von der Straße bis hinauf in sein Haus. Die meiste Zeit lebt er hier alleine. Nicht nur er wird nach dem gescheiterten Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 von der Gestapo verfolgt und verhaftet, sondern auch seine zweite Frau Gussie. 1948 stirbt sie daher an den Spätfolgen der erlittenen Qualen, und Adenauer verliert zum zweiten Mal nach dem frühen Tod seiner ersten Frau Emma 1916 seine Partnerin.

„Die meiste Zeit ist er Witwer“, erklärt Ulla Schiefer daher, warum im Schlafzimmer des Wohnhauses nur ein Bett steht. „Er ist ein Kanzler ohne First Lady“, sagt sie. Manchmal müssen Töchter an seiner Seite repräsentieren. Adenauer hat aber eine Haushälterin, und nur in deren Zimmer steht ein Fernsehgerät – er selbst verzichtet. „Er hat gerne Krimis von Agatha Christie gelesen“, informiert die Stiftungsmitarbeiterin, bevorzugt auf dem Sofa im Wohnzimmer. Um von da einen guten Blick auf seine Lieblingsgemälde an der Wand zu haben, installiert Adenauer spezielle Strahler. Es gibt noch so ein paar Besonderheiten: die selbstgebaute Zeitschaltuhr der Leselampe am Bett, die Ruftaste fürs Personal am Esstisch oder der Schalter an der Lampe, mit dem Adenauer signalisieren kann, dass die Enkel nun zu ihm kommen dürfen.

Vor allem hat Adenauer hier gearbeitet. Dafür gibt es im Eingangsbereich zwei schwarze Bakelit-Telefone mit Wählscheibe, eines davon mit besonderen Knöpfen für die Direktleitung ins Bundeskanzleramt. Um 6 Uhr hat er sich, so erzählt es Ulla Schiefer, wecken lassen – obwohl er immerhin schon 73 ist, als er zum Kanzler gewählt wird. Aber er steckt jeden Morgen seine Füße in Eiswasser, das hält ihn fit. Ab 7 Uhr liest er erste Post, um 8 Uhr holt ihn der Fahrer ab und bringt ihn nach Bonn. Einen Führerschein hat Adenauer nie besessen – aber viel Sinn für Symbolik. Obwohl protokollarisch nach Bundespräsident und Bundestagspräsident als Kanzler erst die Nummer drei im Staat, besteht er für seinen Dienstwagen – einen Mercedes 300 – auf das Kennzeichen „0-002“. Das gilt bis heute . . .

Sein Kennzeichen ist erhalten und im Museum in Rhöndorf ebenso zu sehen wie viele besondere, originelle Exponate, etwa die von der Kölner Handwerkskammer geschenkte Bronzeglocke für Kabinettssitzungen oder einen Brief, in dem er den Wirtschaftsminister Ludwig Erhard kräftig in die Schranken weist. Für Adenauers Ära prägt sich der Begriff der „Kanzlerdemokratie“ ein, denn er führt straff wie ein Patriarch, aber höchst effektiv.

Dabei ist er anfangs sehr, sehr machtlos. „Noch waren wir allerdings nicht frei“, notiert Adenauer in seinen Erinnerungen als einen seiner ersten Gedanken nach der Kanzlerwahl. Das letzte Wort haben die Alliierten Besatzungsmächte, nur ihnen steht Außenpolitik zu. Als neu gewählter Regierungschef muss er am 21. September auf dem Petersberg bei Bonn „antanzen“, sein Kabinett vorstellen und das Besatzungsstatut entgegennehmen. Verschmitzt schildert er, wie er es wagt, auch auf den eigentlich den drei hohen Militärs vorbehaltenen Teppich zu treten, als sie mit ihm sprechen.

Konrad Adenauer: „Ich gehe nicht leichten Herzens“

Erst 1955 gelingt die Aufhebung des Besatzungsstatuts. Die klare Westbindung der Bundesrepublik, die Bildung der Europäischen Gemeinschaft, die Versöhnung besonders mit Frankreich und Israel, der Aufbau eines demokratischen Staatswesens auf den Trümmern der Nazizeit mit großem Wohlstand dank Sozialer Marktwirtschaft und „Wirtschaftswunder“, der Lastenausgleich mit den Opfern von Krieg und Vertreibung, die Einführung von Kindergeld und Vermögensbildung für Arbeitnehmer – all das gilt als große Erfolge Adenauers.

1953, 1957 und 1961 wird Adenauer jeweils überzeugend wiedergewählt, 1957 sogar mit absoluter Mehrheit. 1963 tritt er, während der laufenden Legislaturperiode, zugunsten von Ludwig Erhard, zurück – nach 14 Jahren Kanzlerschaft und ungern. „Ich gehe nicht leichten Herzens“, so der 87-Jährige, der aber weiter dem Bundestag abgehört.

Aber auch wenn sich der große Rosenliebhaber nun öfter seinem Garten widmet und dort Boccia spielt, so arbeitet er doch weiter. Um mit seiner Mitarbeiterin Anneliese Poppinga seine Erinnerungen zu schreiben, lässt er eigens einen verglasten Holzpavillon im Garten bauen. 1966 reist er noch nach Israel, im Februar führt den 91-Jährigen seine letzte Auslandsreise nach Spanien.

Kurz darauf erleidet er einen Herzinfarkt, bekommt eine Lungenentzündung. Als sich seine Kinder am Bett versammeln, soll er sie – typisch rheinischer Katholik – mit den Worten „Do jitt et nix zo kriesche“ („Da gibt es nichts zu weinen“) verabschiedet haben. Am 19. April 1967 senkt sich die Fahne vor seinem Haus auf Halbmast. Drei Tage wird er in Rhöndorf aufgebahrt, dann in Bonn. Zur Trauerfeier am 25. April 1967 im Kölner Dom bekommen die Kinder schulfrei, dann wird der Sarg auf einem Schnellboot der Bundesmarine auf dem Rhein nach Bad Honnef gebracht. Es ist, so Ulla Schiefer, „das erste große Medienereignis“ im noch nicht lange eingeführten Fernsehen.

Redaktion Chefreporter

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