Zeitreise

Westminster Abbey - Die Kirche des Königs

Westminster Abbey ist ein Jahrtausend alt. Doch 2022 und 2023 markieren für die Kathedrale in London Jahre mit zwei besonders bedeutenden Ereignissen: dem Trauergottesdienst für Elizabeth II. im vergangenen September und der anstehenden Krönung von Charles

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Konstantin Groß
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Sie beeindruckt den Betrachter: Westminster Abbey, wie sie sich im Wesentlichen seit 1269 präsentiert. Nur die Türme gehören erst seit 1745 dazu. © Konstantin Groß

London. Von einer solchen Zuschauerzahl bei einem Gottesdienst können andere Geistliche nur träumen: Als der Dekan von Westminster Abbey, David Hoyle, am 19. September 2022 den Trauergottesdienst für Königin Elizabeth II. beginnt, da sollen schätzungsweise 4,1 Milliarden Zuschauer am Fernseher oder online dabei sein.

Hunderte von Millionen werden es auch in einer Woche sein, wenn König Charles III. an gleicher Stelle feierlich gekrönt wird. Dank derartiger medialer Großereignisse ist der Welt keine andere Kirche – der Petersdom in Rom vielleicht ausgenommen – so vertraut wie Westminster Abbey, von den jährlich 1,5 Millionen Besuchern vor Ort ganz zu schweigen.

Dabei ist der Anfang bescheiden. Ab dem Jahre 960 steht hier eine erste Abtei, St. Peters, aus Holz – und daher nicht lange. 1042 beginnt König Edward, daher mit dem Beinamen „Der Bekenner“ geehrt, mit dem Bau einer Kirche im romanischen Stil, deren Fundamente in der heutigen Kathedrale erhalten sind. Die einzige Darstellung dieses Gotteshauses enthält übrigens der berühmte Teppich von Bayeux.

Umbau zur Kathedrale

Edwards Ziel: für sich eine Begräbnisstätte zu schaffen. Das gelingt, gerade noch: Am 28. Dezember 1065 wird die Kirche geweiht – eine Woche später stirbt der König, der denn auch hier bestattet wird. 1103 lässt Nachfolger Heinrich I. das Grab öffnen: Der Leib ist in einwandfreiem Zustand – aus damaliger Sicht Beweis, dass der Verstorbene heilig ist.

Grabmal des Unbekannten Soldaten seit 1920 am Haupteingang der Kathedrale. © Konstantin Groß

Die normannischen Könige wollen eine Krönungsstätte schaffen – gemäß dem französischen Pendant in Reims. Am 6. Juli 1245 beginnt der Umbau im gotischen Stil, bei dem bis zu 400 Handwerker gleichzeitig auf der Baustelle sind. Dabei muss es wohl so zugegangen sein wie in Ken Folletts „Säulen der Erde“. Am 13. Oktober 1269 erfolgt die Weihe.

In der Kathedrale wird aber nicht nur gekrönt und bestattet, sondern auch gestorben und geboren. 1413 bricht Heinrich IV. zusammen, als er am Schrein von Edward dem Bekenner betet. Als Elisabeth Woodville, die Gemahlin von Edward IV., 1470 vor dem Bürgerkrieg in der Kathedrale Zuflucht findet, da bringt sie im Haus des Abtes einen Sohn zur Welt.

Schaurige Geschichten

Der hat ein trauriges Schicksal. Als Kinder sollen er und sein Bruder Richard 1483 ermordet worden sein. 1674 werden jedenfalls im Tower zwei Kinderleichen entdeckt und feierlich in Westminster Abbey beigesetzt. Ob es sich wirklich um die „Princes of Tower“ handelt, kann nur eine DNA-Probe klären; erst der neue König Charles erteilt dafür im Oktober 2022 die Genehmigung.

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  • Aussehen: 31 Meter hoch (Turm 69 Meter mit 10 Glocken), 26 Meter breit, 3000 Quadratmeter Fläche.
  • Grabmale: In Westminster Abbey ruhen Monarchen, die zwischen 1272 und 1760 regiert haben, unter ihnen die legendäre Elizabeth I. († 1603). Sie ist die letzte, deren Grabmal mit einer lebensgroßen Figurendarstellung geschmückt ist. Die Grabplatten der danach beigesetzten Monarchen tragen lediglich Inschriften.
  • Nicht-königliche Grabmale: Isaac Newton wird seit 1727 mit einem großen Denkmal geehrt. Begraben sind hier auch der Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin, der Entdecker David Livingstone und der zeitgenössische Physiker Stephen Hawking, Musiker wie Georg Friedrich Händel, Schriftsteller wie Rudyard Kipling („Dschungelbuch“), Schauspieler wie Sir Laurence Olivier („Der Marathon-Mann“) und Politiker wie Nachkriegs-Premier Clement Attlee von der Labour-Party.
  • Krönungsstuhl: Er wird seit 1308 bei Krönungen verwendet und war bis ins 19. Jahrhundert für Besucher frei zugänglich, die sich darin niederließen und sogar Initialen einritzten. Inzwischen nur hinter Glas, in der Woche nach der jetzigen Krönung ausnahmsweise im Kirchenschiff.
  • Stein von Scone: Auf ihm wurden einst schottische Könige gekrönt, schottischen Nationalisten ist er daher „heilig“. 1296 von den Engländern erobert und als Zeichen ihres Sieges über Schottland in den Krönungsstuhl eingebaut, seit 1996 aber im Schloss von Edinburgh. Zur jetzigen Krönung – gegen Protest schottischer Nationalisten – ausgeliehen.

Eine Zäsur für die Kathedrale bildet das Jahr 1531. Heinrich VIII. sagt sich von Rom los und gründet eine eigene, die anglikanische Staatskirche – vordergründig, weil der Papst seine zahlreichen Scheidungen und neuen Ehen ablehnt, in Wirklichkeit, weil der König an den Reichtum des Klerus kommen will. Auch Westminster Abbey wird beschlagnahmt, der goldene Sarkophag von Edward dem Bekenner eingeschmolzen. Nur die Gebeine können von Mönchen geborgen und versteckt werden.

Besucher stehlen Knochen aus Sarg

1559 erklärt Elizabeth I. die Kathedrale zur „Royal Pecular“, zur „Königlichen Besonderheit“. Seither untersteht sie nur dem Souverän persönlich und keinem Bischof. Diesen Ort schätzen sogar Revolutionäre: Als Oliver Cromwell, der 1649 König Charles I. köpfen lässt, 1658 stirbt, wird er selbst hier beigesetzt – Frevel für Monarchisten. Als die an die Macht zurückkehren, öffnen sie 1661 Cromwells Grab, schänden seinen Leichnam und hängen ihn an einen Galgen nahe der Kathedrale.

Ja, die Geschichte der Abbey ist voll solcher morbider Storys. 1669 besucht der Dichter Samuel Pepys die Kathedrale, legt sich in den Sarg der 1437 bestatteten Königin Chatherine und küsst ihren Leichnam innig auf dem Mund: „Das war mein Geburtstag, der 36.“, überliefert er der Nachwelt, „und ich habe zum ersten Mal eine Königin geküsst.“

Der Krönungsstuhl aus dem Mittelalter. Auch Charles wird auf ihm Platz nehmen. © Konstantin Groß

Ähnlich skurril ergeht es im 18. Jahrhundert dem Grabmal von Richard II., der seit 1413 in der Abbey ruht. Im Laufe der Zeit bildet sich im Sarkophag ein Loch, durch das die Besucher mit morbidem Schauer ihre Hände stecken. Knochen werden gestohlen, so der Kiefer durch einen Klosterschüler; dessen Nachfahren geben ihn erst 1906 zurück.

1760 wird Georg II. in der Abtei bestattet – neben seiner Frau Caroline von Ansbach. Gemäß seinem Testament werden die benachbarten Wände der beiden Särge entfernt – damit sich die sterblichen Überreste vermischen können und die beiden Liebenden im Tod vereint bleiben. Georg II. ist der letzte der britischen Könige, der in der Abbey begraben wird. Die meisten Nachfolger ruhen in Windsor, so auch Elizabeth II.

Zwischen 1722 und 1745 erhält die Kathedrale ihre beiden Türme. Und sie wird zunehmend zur nationalen Ruhmeshalle. Einen ersten Höhepunkt bildet 1727 der Bau des Denkmals für Isaac Newton. Dichter werden im südlichen Querschiff begraben, daher Poets Corner genannt.

Die Grabmale tragen lebensgroße Figuren, wie hier jenes der jungen Prinzessin Mary, gestorben 1607. Es scheint, als mache sie sich gerade auf, dem Sarg zu entsteigen. © Konstantin Groß

Damit rückt die Kathedrale in den Fokus der Öffentlichkeit. Da der Klerus als frauenfeindlich gilt, ist sie in den 1910er Jahren Ziel von Protesten der Frauenrechtlerinnen um Emily Pankhurst. Mal stören sie Festgottesdienste, indem sie bei der Hymne „God save Mrs. Pankhurst“ singen statt „God save the King“. Ein anderes Mal kettet sich eine Frau an den Stuhl des Erzbischofs von Canterbury. Und am 11. Juni 1914 zünden sie eine Bombe, die Gegenstände bis zu 18 Meter weit wegschleudert. Wie durch ein Wunder wird aber niemand ernsthaft verletzt. Der Erste Weltkrieg beendet derartige Proteste. Auch die Frauen kämpfen nun zu allererst gegen die Deutschen.

Mahnmal für Soldaten

Nach diesem Krieg erhält die Kathedrale einen ihrer wichtigsten Bestandteile: das Grabmal des Unbekannten Soldaten. Die Idee, später weltweit aufgegriffen, wird 1916 von Reverend David Railton entwickelt.

Ein aufwendiges Verfahren soll garantieren, dass bei der Auswahl des betreffenden Soldaten nur das Schicksal (weniger pathetisch: der Zufall) Regie führt. Auf englischen Soldatenfriedhöfen in Frankreich werden die Gebeine von vier namenlosen Gefallenen exhumiert und in Särge platziert. Mit geschlossenen Augen legt ein Offizier seine Hand auf einen der Särge. Dieser wird in einer aufwendigen Prozession mit dem Schiff nach England und dann mit dem Zug nach London transportiert, wo er am 11. November 1920 in Westminster Abbey bestattet wird.

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Ehrengäste sind neben der Königsfamilie 100 Frauen, deren Ehemänner und Söhne gefallen sind. Die Gruft enthält Erde aus allen großen Schlachtfeldern. Es ist die einzige Grabplatte, deren Betreten strikt verboten ist. Als die spätere Queen Mum 1923 den künftigen König Georg VI. heiratet, begründet sie die Tradition, wonach königliche Brautpaare vor ihrer Trauung hier einen Blumengruß niederlegen.

Im Fokus der Öffentlichkeit

Den Zweiten Weltkrieg übersteht Westminster Abbey, im Gegensatz zur berühmten Kathedrale von Coventry, weitgehend unversehrt. So steht sie bereit 1947 für die Hochzeit der jungen Prinzessin Elizabeth mit ihrem Philipp und 1953 für ihre Krönung als Königin – erstmals gefilmt.

Fernsehübertragungen werden nun zur Regel – bei freudigen wie bei traurigen Anlässen. Am 6. September 1997 findet hier die Trauerfeier für Prinzessin Diana statt, von zwei Milliarden Menschen verfolgt. Doppelt so viele sind es beim Staatsakt für Elizabeth II. am 19. September 2022, dem ersten für einen Souverän in dieser Kirche seit 260 Jahren.

Und kommenden Samstag nun wieder eine Krönung, gemäß einem Zeremoniell im Kern aus dem Jahre 1377. Seit Wilhelm dem Eroberer 1066 werden hier englische Monarchen gekrönt. Charles ist der 40. – wird es auch einen 41. geben?

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