Berlin, so denkt Emil Gililov, ist das richtige Pflaster für sein Vorhaben: Die Stadt ist groß genug, die Leute sind begierig auf Ungewöhnliches und immer für einen neuen Trend zu haben. Gililov ist Koch, jüdischen Glaubens und hat den Kosher Express gegründet, eine Mini-Firma, die koscheres Catering und koschere Kochkurse anbietet. Mag sein, dass es noch eine Weile dauert, bis sein Laden brummt, aber das Interesse, so stellt er fest, ist da. Gililov ist nicht der Einzige, der in Berlin neuerdings für "Alles koscher" wirbt.
Im Frühjahr fand im Bildungszentrum einer jüdischen Organisation die erste Messe zum Thema Koscher statt. Dort kochte der Küchenchef des Ritz Carlton unter Aufsicht eines Rabbiners und mehrere Hundert Besucher probierten Gerichte, die nach den jüdischen Speiseregeln zubereitet waren. Auf einmal interessiert sich auch ein nicht-jüdisches Publikum für die koschere Essenszubereitung, ein Publikum, dem an einer nachhaltigen, biologischen Küche gelegen ist. Und dass Koscher plötzlich sogar hip und ein Gourmet-Erlebnis ist, liegt vor allem am "The Kosher Classroom".
Kreativität gefragt
"Ein Haus für neue Kunst und Esskultur" nennen die Betreiber ihr Projekt: Die ehemalige jüdische Mädchenschule, ein historisches Gebäude in Berlin-Mitte, wurde saniert und restauriert und beherbergt jetzt Galerien und Gastronomie. Ein Teil dieser Gastronomie ist "The Kosher Classroom", kein Restaurant, sondern ein gastronomisches Ereignis, das an zwei Tagen der Woche im ehemaligen Biologie-Raum der jüdischen Mädchenschule stattfindet. Am Freitagabend wird ein traditionelles Schabbat-Dinner zelebriert, am Sonntagvormittag ein Brunch-Buffet angeboten. Erfinder dieser Events ist eine Firma, die ein ganzes Stück größer ist als die von Emil Gililov, die "Albeck & Zehden Hotels und Gastronomie", die neben diversen Hotels und dem "Kosher Classroom" auch das Cateringunternehmen "Top Kosher und Gourmet" betreibt. Trotzdem haben beide das gleiche Ziel: Koscher breit bekanntzumachen.
Koscher ist eine sehr aufwendige Küche. Weniger das Zubereiten selbst, vielmehr die Regeln über die Auswahl und Beschaffung der Lebensmittel sowie die Regeln über den Prozess ihrer Zubereitung. Der Küchenchef des "Kosher Classroom", Roman Albrecht, erinnert sich, wie viel Kopfschmerzen ihm das anfangs bereitet hat. Begonnen hat er mit kosher style, dann hat ihn sein Chef nach Israel geschickt, damit er sich dort den letzten Schliff holt. Mittlerweile liebt Roman Albrecht die Herausforderungen, die die koschere Küche an ihn stellt: Wenn man auf bestimmte Produkte verzichten muss, dann muss man besonders kreativ sein. Da sich der "Kosher Classroom" für die fleischige Richtung entschieden hat, darf Albrecht keine Milchprodukte verwenden. Deswegen hat er zum Beispiel, wie er erzählt, an einer Schokomousse ein halbes Jahr lang herumgedoktert. Auf das Ergebnis ist er stolz, weil es bei den Gästen so gut ankommt.
Inspektor prüft Zubereitung
Im "Kosher Classroom" wird die ganze Bandbreite der koscheren jüdischen Küche angeboten: die aschkenasische Küche, die überwiegend osteuropäisch geprägt ist, vor allem aber die sephardische, die vom Orient und den Ländern des Mittelmeers beeinflusst ist. Letzteres dürfte ein weiterer Grund für das Interesse eines modernen nicht-jüdischen Publikums sein: Eine leichte Küche mit viel Gemüse, Kräutern und Gewürzen, eine Küche, bei der alles frisch und mit großer Sorgfalt zubereitet wird, das ist nicht nur bei Vegetariern und Veganern Trend. Und in Kombination mit Klassikern der aschkenasischen Küche, wie etwa den berühmten "gefilte Fisch" werden auch neue Trends kreiert. Roman Albrechts erklärtes Ziel ist es, immer wieder Neues auszuprobieren, immer wieder trendy zu sein.
Albrecht ist zwar der Küchenchef, aber das letzte Wort hat in einer koscheren Küche der Maschgiach, der "kosher Inspector". Er ist derjenige, der im Auftrag des Rabbis für die religiösen Rituale und das Einhalten der Regeln zuständig ist, nur dann wird die Küche zertifiziert. Im konkreten Fall ist das Leo Golzmann. Er stammt ursprünglich aus Moldawien und erinnert sich noch daran, dass seine Großeltern lieber gehungert hätten, als unkoscher zu essen. Er ist derjenige, der morgens "das Feuer entfacht", profan ausgedrückt den Herd anmacht, und dann die Zubereitung überwacht.
Wenn dann am Freitagabend im "Kosher Classroom" das Schabbat-Dinner stattfindet, macht Golzmann seine Arbeit für ein überwiegend nicht-jüdisches Publikum. Er segnet das Schabbat-Brot, erklärt die Rituale und Gesetze der koscheren Küche. Und er serviert, gemeinsam mit Küchenchef Roman Albrecht und Restaurantleiterin Stephanie Babel. Das Team vom "Kosher Classroom" bietet außer Dinner und Brunch auch Kochkurse, Weinproben und Cocktailschulungen an.
Fremde Kultur kennenlernen
Manuela Hoffmann-Bleiberg vom Café Bleibergs würde sich wünschen, dass möglichst viele koschere Restaurants in Berlin eröffnen. Sie selbst ist eine Pionierin, führt schon seit acht Jahren ihr Café - koscher, vegetarisch und vegan - in der Nähe des Kudamms. Oft genug hat sie erlebt, dass jüdische Touristen bei ihr strandeten, nachdem sie sich, wie sie erzählt, auf der vergeblichen Suche nach koscherer Küche bereits eine Woche lang nur von Thunfisch aus der Dose und Äpfeln ernährt hatten. Ganz zu schweigen von den rund 25 000 Juden, die in Berlin leben, von denen aber ihrer Einschätzung nach nur etwa 400 koscher sind. Manuela Hoffmann-Bleiberg hat ihr Café im Laufe der Jahre zu einem Ort entwickelt, an dem die Gäste nicht nur koschere Kuchen, Snacks und Salate konsumieren, sondern auch die jüdische Kultur kennenlernen können. Sie veranstaltet zum Beispiel regelmäßig Klezmermusik-Abende.
Auch Manuela Hoffmann-Bleiberg betreibt einen Catering-Service. Ministerien, Hotels, Firmen, Kanzleien - wer immer unter seinen Gästen und Geschäftspartnern jüdische Teilnehmer hat, bestellt bei einem koscheren Caterer. Aber, so der Trend, nicht nur dann. Es gibt, wie alle Drei berichten, auch unabhängig davon die Neugier auf die koschere Küche und die Lust auf etwas Neues. Nachdem man nun japanische, thailändische und andere einst exotische Nationalküchen kennt - warum nicht koscher ausprobieren?
Und viele wollen auch eine uralte Speisekultur kennenlernen, das erlebt Emil Gililov vor allem in seinen Kochkursen. Er veranstaltet sie für Privatpersonen, für Gruppen von 15 bis 20 Leuten, und - was für ihn zunächst sehr überraschend war - für christliche Gemeinden, die an einem interreligiösen Austausch interessiert sind. Vor allem diese Gruppen wollen nicht nur koscher kochen und essen, sondern auch möglichst viel über die jüdische Religion und Geschichte erfahren. Doch wie in jedem Kochkurs, in jedem Café und jedem Restaurant wollen die Leute in erster Linie gut essen und gut trinken.
Übrigens: Emil Gililov veranstaltet seine Kochkurse auf Anfrage auch außerhalb Berlins.
Koscheres in der Region
In Mannheim und Umgebung gibt es keine Geschäfte, in denen man koscher einkaufen kann.
Die Jüdische Gemeinde Mannheim bemüht sich, falls Gruppen einen koscheren Kochkurs buchen wollen, diesen anzubieten. Anfrage über die Homepage: www.juedische-allgemeine.de
Studenten der Uni Heidelberg können mit Mensa-Ausweis in der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg koscher essen.
Was heißt koscher?
Koscher bedeutet "rein", "zum Verzehr geeignet" nach den religiösen Vorschriften der Tora, den fünf Büchern Moses.
Im Kern bestehen die jüdischen Speisegesetze aus drei Regeln:
- Fleisch und Milch müssen getrennt werden, sowohl bei der Zubereitung - laut Tora soll man "das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter bereiten" - als auch beim Verzehr. Das gilt auch für die entsprechenden Küchengeräte, Besteck und Geschirr. Wer zum Beispiel eine "Sahne"-Sauce zum Fleisch will, nimmt Sojaprodukte.
- Koschere Tiere sind alle Wiederkäuer, die zweigespaltene Hufe haben, zum Beispiel Kühe, nicht aber Schwein oder Wild. Damit das Fleisch koscher ist, muss es auf eine ganz bestimmte Art geschlachtet werden (Schächten).
- Meerestiere, die keine Fische sind, sind nicht koscher - so Krabben, Krebse und Muscheln.
Koschere Lokale bieten wegen dieser Vorschriften entweder fleischige oder milchige Küche an. Restaurants, die nicht von einem Rabbiner zertifiziert sind, bezeichnen ihre Küche als " kosher style".
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