Familien, die kein Auto mehr haben wollen oder sich keines mehr leisten können, Kurierdienste, Marktverkäufer mit mobilem Marktstand - eine wachsende Zahl von Menschen transportiert Kind und Kegel in einem Lastenfahrrad. Und auch wenn die Rückkehr des Winters den Start in die neue Fahrradsaison etwas verzögert hat, auf der Berliner Fahrradschau wurde vor Kurzem deutlich, was da ins Rollen kommt: Lastenräder sind in der Stadt eine preiswerte, klimafreundliche und dazu sportive Alternative zum Auto. Und was vielleicht genauso wichtig ist: Ein uraltes Transportmittel ist vom Geruch der Rückständigkeit und Armut befreit und gilt als hip.
Simone Rosenau von Moghul Rikschas in Berlin-Neukölln, einem Geschäft, das Transport- und Spezialräder verkauft und verleiht, gibt einen Überblick über ihre Kundschaft: 50 Prozent Eltern für den Kindertransport, 50 Prozent Gewerbe. Zum Gewerbe gehören die Touristenrikschas, Markthändler, Handwerker, aber auch ein veganer Pizzaservice. Wer schwere Lasten und vergleichsweise große Entfernungen innerhalb der Stadt zurückzulegen hat, der kauft sich ein Elektro-Lastenrad und hat damit je nach Steigung, Wind und Gewicht der Zuladung eine Reichweite von 70 bis 80 Kilometer.
Typisch beim Verleih sind Wochenendausflügler, die damit ins Grüne fahren, aber auch viele, vor allem sehr junge Leute, die noch einen kleinen Hausstand haben und mit Lastenrädern ihre kompletten Umzüge machen. "Es gibt aber inzwischen" sagt Simone Rosenau "viele, für die das Lastenrad einfach ein Autoersatz ist, sie transportieren damit ihre Kinder, machen ihre Einkäufe, fahren damit zum Baumarkt oder Möbelgeschäft." Sie selbst und ihr Freund und Geschäftspartner fahren auch nur noch Lastenrad.
Ab etwa 1000 Euro
Der Preis für ein Lastenrad beginnt bei etwa 1000 Euro, bei den E-Bikes bei rund 1500 Euro. Und auch, wenn ein E-Bike schon mal bis zu 5000 Euro kosten kann, ist das, wenn man es mit einem Auto vergleicht, nicht viel. Svenja Ehrhardt und Rüdiger Zorn sind mit ihren Kindern Johannes und Mathilda auf der Berliner Fahrradschau und testen dort verschiedene Lastenräder für den Kindertransport. Dass sie eines kaufen werden, steht fest.
Zurzeit findet der Kindertransport noch mit einem zweiten Auto statt, ein altes Modell, das sie von der Oma geschenkt bekommen haben. Es soll jetzt abgeschafft werden, weil es anfängt, Kosten zu verursachen. Die Kinder sind drei Jahre und vier Monate alt und auch insofern ist nach Meinung der jungen Familie der Zeitpunkt zum Umstieg auf ein Lastenrad gekommen. "Es muss" sagt Svenja Ehrhardt "so einfach wie ein Auto sein". Soll heißen: einsteigen, anschnallen und losfahren.
Es gibt die Kindertransporter mit gepolsterten, einklappbaren Bänken und natürlich mit (abnehmbaren) Regenverdecken. Und viele Eltern, so auch die Beobachtung von Experten, ziehen inzwischen ein Lastenrad dem normalen Fahrrad mit Kindertransport-Anhänger vor: zu lang, zu umständlich und die Kinder sind so weit weg, dass man nicht mit ihnen sprechen kann.
In Berlin gibt es inzwischen ein kleines Paralleluniversum der Lastenräder. Dazu gehört beispielsweise das Berliner Lastenrad-Netzwerk, das Hausgemeinschaften, WGs oder Projekten eine mobile Werkstatt zum gemeinsamen Bau von Lastenrädern, also des Umbaus und der Umrüstung von normalen Fahrrädern anbietet. Sie haben unter www.werkstatt-lastenrad.de auch Workshop-Dokumentationen und Bauanleitungen ins Internet gestellt.
Oder die Lastenrad-Fans Berlin/Urban Transport Pioneers, die sich einmal im Monat zu gemeinsamen Spazierfahrten treffen und Lobby-Arbeit betreiben. Sie wollen dieses Transportmittel nicht nur bekanntmachen, sie thematisieren auch die Infrastruktur-Probleme: Lastenräder sind lang und breit, sie brauchen eigentlich breitere Radspuren und in der ganzen Stadt gibt es so gut wie keine sicheren Abstellmöglichkeiten für diese Fahrradtypen.
"Ich ersetze ein Auto"
Die Fans der Lastenräder schaffen mit ihren Ideen und Projekten Tatsachen, an denen man nicht mehr vorbeikommt. Da ist zum Beispiel Alexander Koch, der auf der Berliner Fahrradschau einen Prototyp für ein Lastenrad präsentiert, mit dem man ein behindertes Kind transportieren kann. Ein spezieller Sitz, eine spezielle Kopfstütze, spezielle Sicherheitsgurte - Alexander Koch ist davon überzeugt, dass ein solches Lastenrad den Alptraum vieler Eltern beenden könnte, die mit ihrem behinderten Kind öffentliche Verkehrsmittel benutzen müssen.
Oder Andreas Triebenbacher der für Preise von 350 bis 700 Euro individuellen Lastenfahrrad-Bau inklusive Transportkiste nach den Wünschen des Kunden anbietet. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Leute in seinen Transportkisten nicht nur Kinder, sondern sehr gern auch ihre Hunde befördern.
Das größte Interesse an Lastenrädern haben zurzeit noch die Kurierfahrer. Sie präsentieren sich auf der Berliner Fahrradschau mit dem Projekt "Ich ersetze ein Auto", ein bundesweites Pilotprojekt des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in den Städten Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf, Bremen, Leipzig, Mainz und Nürnberg und vom Bundesumweltministerium gefördert. Bei diesem Projekt ersetzen private Kurierdienste in den jeweiligen Städten einen Teil ihrer Autoflotte durch Elektro-Lastenräder. In Berlin sind 15 solcher Elektro-Bikes im Einsatz.
Dirk Brauer, ein alter Hase unter den Fahrradkurieren, sieht darin jede Menge Vorteile und erzählt, dass die Logistik sich dadurch komplett verändert habe: "Man kann mit dem Elektro-Bike mehrere schwere Lieferungen auf einer Fahrt kombinieren, ist so flexibel wie ein Auto-Kurier." Doch damit nicht genug: Mit einem Lastenrad kann man Auto-Staus umfahren, umweltschonend und geräuscharm. Und man muss keinen Parkplatz suchen.
Lastenräder
Lastenräder werden vor allem in Holland, Dänemark und China gebaut, den klassischen Fahrradländern. Es gibt sie entweder mit zwei oder mit drei Rädern, sie sind um die zwei Meter lang und können je nach Typ und Bauart bis zu ca. 250 Kilo Fracht bewegen. Elektro-Bikes können eine Geschwindigkeit von bis zu 30 Stundenkilometern erreichen.
Das Fahren auf einem Lastenfahrrad bedeutet gegenüber dem normalen Fahrrad eine gewisse Umstellung: Das Vorderrad ist bei einem Lastenrad ungewöhnlich weit weg vom Lenker, der Wendekreis ist groß, da kann, wer ungeübt ist, leicht ins Schlingern geraten. Und vor allem das Anfahren kann bei entsprechender Last zu einem Kraftakt werden.
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