Das Wichtigste in Kürze
- Das erste Trockenbier kommt aus der Pfalz und heißt Beerdrob.
- Es ist ein Pulver, das mit Wasser zu Bier wird und spart Energie.
- Ein Beerdrob-Kasten wiegt nur 300 Gramm und kostet 26,99 Euro.
Rhein-Neckar. Vielleicht liegt es ja daran, dass Anne van Gastel Holländer ist. Jedenfalls hat der 64-Jährige ein kleines Faible für Tütchen entwickelt, seit er sich Mitte der 90er Jahre erstmals mit dem Gedanken beschäftigt hat, Bier nicht mehr in Flaschen abzufüllen. Nun heißt Tütchen nicht per se, dass man Bier in Zukunft raucht. Vielmehr füllt man den 30 Gramm schweren Inhalt des Beutels in ein Glas, schüttet 250 Milliliter eiskaltes Wasser darüber und führt nach kurzer Zeit ein kühles Blondes zum Mund, wie es im Bilderbuch nicht schöner gemalt sein könnte.
Bringen wir also die eigentlich wichtigste Nachricht an den Anfang dieses Textes: Die Welt hat ihr erstes alkoholhaltiges Bier aus Pulver. Und die zweitwichtigste: Es kommt ausgerechnet aus dem pfälzischen Neustadt – dem Mekka der Weintrinker. Daraus ergeben sich relevante Fragen. Etwa: Steht die ohnehin disruptive Welt vor einem weiteren Paradigmenwechsel? Und noch relevanter: Kann man Bier jetzt auch auf der Weltraumstation ISS trinken?
Wie Beerdrob wirbt
Anne van Gastel hebt hervor, dass Beerdrob-Trinker auf den industriellen Transport von Wasser verzichteten. Das führe zur Einsparung von Energie.
Der Erfinder des Produkts stellt heraus, dass für Beerdrob nur geringe Lagerflächen benötigt würden – sowohl in der Produktion, im Transport als auch im eigenen Haushalt.
Im Gegensatz zu einem Kasten konventionellem Bier wiege ein „Kasten“ Beerdrob nur 10 Mal 30 Gramm. Das sind zehn Biere zu je 0,25 Liter. Mit Beerdrob sei ihm eine Innovation gelungen, die umweltbewusst, platzsparend und energieschonend sei.
Kosten für zehn Beutel: 26.99 Euro, inklusive Versand. Bestellungen werden über www.beerdrob.de online aufgegeben. sal
Es ist Montagmorgen, 31. März, in Lambrecht. In den Räumen einer ehemaligen Tuchfabrik im Pfälzerwald, nur wenige Kilometer westlich von Neustadt an der Weinstraße, steht Anne van Gastel vor mehreren Apparaturen, die der Laie nicht selbstverständlich mit der Herstellung von Bier in Zusammenhang bringt. Ein Rhönrad, das Pulver mischt. Ein Minifließband, das Beutel zuklebt. Kleine Röhrchen, die eher an ein Labor erinnern.
„Ich bin Landwirt“, antwortet der verheiratete Vater, der mit Familie in Neustadt-Haardt lebt, auf die Frage, welchen Beruf er erlernt hat. „Und Wirtschaftler“, fügt er hinzu. Nicht schwer zu erraten, dass jemand mit dieser Ausbildung jobmäßig bei der BASF zu Hause war. Im Pflanzenschutz kennt er sich genauso aus wie in der Kosmetik-Herstellung. Und an der im Jahr 2013 gescheiterten Einführung der Gen-Kartoffel Amflora war er auch beteiligt. Doch mit all diesen Dingen hat sein Bier nichts gemein.
Bier kommt hier per Post in den Briefkasten
Wir schreiben das Jahr 2019, als Anne van Gastel aus dem klassischen Berufsleben bei BASF aussteigt. Nun hat er Zeit, sich seiner Idee eines sogenannten Trockenbieres intensiver anzunehmen und somit der Menschheit einen echten Gefallen zu tun. Man denke schließlich an die unbeschreiblich gefährlichen Folgen für Rücken und Knie beim Herumhieven Hunderter Bierkästen pro Lebenszeit. Man stelle sich die Leichtigkeit Dutzender Junggesellenabschiede vor, die ohne das umständliche Umherziehen eines ungelenken Karrens ablaufen.
Ganz abgesehen von den Scherbenhaufen, vor denen mancher am Ende eines Tages steht, weil gleich zwei Bierflaschen beim schon beschwipsten Versuch auf den Boden fallen, die eine Pulle am Kronkorken der anderen Pulle zu öffnen. Man ziehe ebenfalls in Betracht, wie viel Freude plötzlich auch Frauen beim Bierkauf haben, denn die kleinen 30 Gramm schweren Briefchen kommen im Zehner-Gebinde per Post in den Briefkasten – also wie beim Online-Shopping.
Gemeinsam mit Jörg Paulus, einem Freund und Chemiker, arbeitet Anne van Gastel fünf Jahre intensiv an den wichtigsten Herausforderungen. Wie bekommt man Alkohol in ein Pulver? Was muss in diese Masse, damit später Kohlensäure im Bier ist? Schließlich muss eine Schaumkrone her. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung spielen Blindverkostungen. Nur langsam nähert man sich dem typischen Biergeschmack an. Zu den größten Kritikern gehören unter anderem seine Frau und seine Tochter.
Eine Bier-Sommelière muss her, um Geschmack und Aroma von Bier abzurunden. Das gelingt noch nicht zur Zufriedenheit aller. Immer wieder müssen die Zutaten gegeneinander abgewogen werden. Das Ergebnis heißt jetzt „Beerdrob“ (Biertropfen) und hat einen noch ziemlich zitronigen Einschlag. Zu 100 Prozent ausgereift kann das Produkt zu diesem frühen Zeitpunkt nicht sein. Anne van Gastel wird noch weiter tüfteln müssen. Es ist wie bei anderen Lebensmitteln auch: Beerdrob ist Geschmackssache.
Eine chemisch wichtige Komponente ist die Verpackung von „Beerdrob“
Welche Chancen das Produkt auf dem hart umkämpften Getränkemarkt hat, ist schwer vorherzusehen. 89,4 Liter Gerstensaft trinken Erwachsene in Deutschland pro Kopf und Jahr. Der Trend ist rückläufig, während alkoholfreie Bierprodukte beliebter werden. Schon ein Prozent des Konsums zu gewinnen, wäre für den holländischen Pfälzer ein riesiger Erfolg.
Zurzeit wäre er aber gar nicht in der Lage dazu, ein solches Aufkommen zu bewältigen. Seine Devise heißt: „Ganz langsam, aber stetig wachsen.“ Er möchte die Menschen nicht enttäuschen und ist bei Medienanfragen daher eher zurückhaltend. Ein kleines Marketingbüro führt „Beerdrob“ behutsam in den Markt ein. Auf Weinfesten will er etwas werben. Obligatorisch ist ein Instagram-Account mit dem stets freundlichen Gesicht von Anne van Gastel.
Eine wesentliche Rolle bei dem ganzen Prozess spielt die Verpackung des Pulvers. Sie stammt von einem deutschen Hersteller und besteht im Innern aus zwei Kammern, damit verschiedene Komponenten nicht schon in dem Beutelchen miteinander reagieren. Selbiges soll schließlich erst durch die Zugabe von Wasser geschehen. Woher das kühle Nass kommt, ist letztlich fast egal.
Still sollte es sein und einigermaßen sauber. Warum also nicht aus dem Gebirgsbach bei einer Wanderung ohne lästige Flaschen im Rucksack? Bleibt die Frage nach dem deutschen Reinheitsgebot, das van Gastel umgeht, indem er das Produkt „Beerdrob“ und nicht Bier nennt. Wo die Tüte Bier am Ende landet? Schwer zu sagen. Vermutlich neben einer Flasche Pommes Frites!
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/leben/geniessen_artikel,-restaurant-bars-und-essen-weltweit-erstes-trockenbier-kommt-aus-der-pfalz-_arid,2295406.html