An die Romane von Nicholas Sparks, dem „Meister der großen Gefühle“, und deren Verfilmungen, etwa „Das Leuchten der Stille“ oder „Ein einziger Tag“, fühlt man sich gleich erinnert. Drama, Verrat, Tragödie, Tod und Herzschmerz: All das findet sich auch in „Der Gesang der Flusskrebse“ - im Original: „Where the Crawdads Sing“ -, dem Debütroman von Delia Owens, 1949 in Thomasville, Georgia, geboren. 2018 erschien das streckenweise autobiografisch inspirierte Buch der gelernten Zoologin, das sich über Monate in den diversen Verkaufslisten festsetzte, hierzulande 2019 zum „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ gewählt wurde und eine Woche lang die Bestsellerliste des „Spiegel“ anführte.
Viele Gerüchte und ein Prozess
In den späten 1960er Jahren setzt die Handlung ein. In den Sümpfen von North Carolina - die Autorin verbrachte ihre Ferien als Kind regelmäßig in den Bergen des US-Bundesstaats -, wo Kya (Daisy Edgar-Jones) von ihren Eltern, der überforderten Mutter und dem gewalttätigen Vater, sowie ihren Geschwistern zurückgelassen wurde. Alleine wächst das „Marschmädchen“ auf. Die zähe junge Frau versteht es geschickt, den Mitarbeitern des Jugendamts auszuweichen und so in ihrer einfachen Hütte wohnen zu bleiben.
Die Vielversprechende Daisy Edgar-Jones
- Bekannt wurde Daisy Edgar-Jones - nominiert für den British Academy Television Award sowie den Golden Globe - als Marianne Sheridan in der BBC-Miniserie „Normal People“ (2020), in Deutschland auf Prime Video abrufbar.
- Daisy Jessica Edgar Jones wurde 1998 als Tochter eines schottischen (Sky-)Produzenten und einer irischen Editorin im Londoner Stadtteil Islington geboren.
- Sie wuchs in Muswell Hill auf, besuchte nach Abschluss der Mount School for Girls das dortige Woodhouse College und wurde als 14-Jährige beim National Youth Theatre aufgenommen, wo sie erste Bühnenrollen übernahm.
- Mit 17 Jahren erhielt sie in der Serie „Outnumbered“ ihren ersten professionellen Job, es folgten TV-Parts in den Serien „Cold Feet“ (2016 bis 2020), „Krieg der Welten“ (2019 bis 2021) und „Under the Banner of Heaven“ (2022).
- Im Kino war sie bislang in Mimi Caves Horrorkomödie „Fresh“ (2022) und Bill Buckhursts „Pond Life“ (2018) zu sehen.
- Neben ihrer Fernseh- und Filmarbeit tritt sie regelmäßig in London am Theater auf.
Wilde Gerüchte kursieren über sie in der nahe gelegenen Kleinstadt Barkley Cove. Sie wird gemieden. Da wird eines Tages am Fuße des Feuerwachturms Chase Andrews (Harris Dickinson), der umschwärmte Quaterback des Ortes, mit gebrochenem Genick aufgefunden. Da Kya ein Verhältnis mit ihm gehabt haben soll, wird sie sofort des Mordes verdächtigt und verhaftet, Tom Milton (David Straithern) ihr als Pflichtverteidiger zur Seite gestellt.
Mix aus Romanze und Krimi
Im Rückblick erzählt das Drehbuch von Lucy Alibar („Beasts of the Southern Wild“) - mit markanten Änderungen zur Vorlage - Kyas Story. Hier kommt Tate Walker (Taylor John Smith) ins Spiel, der sich bereits als kleiner Junge zu dem merkwürdigen Mädchen hingezogen gefühlt hat. Langsam nährt er sich ihr an, bringt ihr Lesen und Schreiben bei, schenkt ihr Federn und Muscheln - und ein Muschelhalsband, dem in der Folge eine zentrale Rolle zukommt. Der Beginn einer Romanze, über der ein dunkler Schatten hängt.
Ein Mix aus Liebesfilm, Krimi, Mystery und Initiationsgeschichte, von der vom Fernsehen kommenden Olivia Newman („Chicago Fire“) in ihrem Leinwanddebüt ausgewogen aufbereitet. Keines der Genres drängt sich in den Vordergrund, im Zentrum des Interesses steht der Werdegang der Heldin, die selbstbestimmt ihren Weg geht und sich schließlich als Autorin und Zeichnerin naturkundlicher Sachbücher einen Namen macht. Ein Leben, aufbereitet in zwei Stunden. Konzentriert auf die Protagonistin, ihren Rechtsanwalt, Mabel (Michael Hyatt) und Jumpin’ (Sterling Macer Jr.), die farbigen Betreiber eines kleinen Gemischtwarenladens, die sich so gut es geht um Kya kümmern.
Zig Versatzstücke, viele Facetten und einige Klischees, wie dumpfe Hinterwäldler, kichernde Südstaaten-Beautys und herzlose Behördenangestellte. Geschickt ist der Spannungsbogen aufgebaut, verschachtelt montiert der Plot, dass es zum Happy End kommt, steht außer Frage. Kitsch, ja. Vorhersehbarkeit, ja. Unwahrscheinlichkeiten, ja. Dennoch entwickelt der Film einen gewissen Sog. Was vor allem am nuancierten, unterkühlten Spiel von Edgar-Jones („Normal People“) liegt, mit der man bangt und hofft, sie in Freiheit und endlich glücklich sehen will. Was ihr schließlich vergönnt ist, nicht zuletzt dank der geschickten Vorgehensweise Miltons, den Straithern („Good Night, and Good Luck“), der einzige Hollywood-Star im Ensemble, empathisch, zurückhaltend und höflich anlegt.
Clevere Wendung zum Schluss
Wobei gerade in der Aufklärung des Verbrechens die größte Überraschung des Dramas liegt, eine clevere Volte, die nicht unbedingt zu erwarten ist. Aller Rest ist perfekt gestaltetes Handwerk, wie von US-Produktionen dieser Art gewohnt. Dampfig-schwül sind die Bilder von Polly Morgan („A Quiet Place 2“), schleichend-nervös ist die Musik vom stets zuverlässigen Mychael Danna („Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger“) und trefflich das Produktionsdesign von Sue Chan („Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“), die den ruralen Old South exakt nachstellt.
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