Kino

"Rivale" im Cinema Quadrat: Zwischen Heimat und Fremde

"Rivale“ läuft im Cinema Quadrat in Mannheim. Der Film aus dem Jahr 2020 erzählt die Geschichte eines neun Jahre alten Jungen aus der Ukraine, der seine Mutter in Deutschland sucht.

Von 
Wolfgang Nierlin
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Alles ist ihm fremd: Yelizar Nazarenko als neunjähriger Roman. © Drop-Out Cinema eG

In den weitläufigen Feldern einer ukrainischen Landschaft spielt ein kleiner Junge. Auf seiner Hand balanciert er einen kleinen Ast, versucht ihn ins Gleichgewicht zu bringen; kurz darauf begräbt er einen toten Vogel in einem Kartoffelacker. Die folgende Szene zeigt den neunjährigen Roman (Yelizar Nazarenko) bei der Trauerzeremonie für seine verstorbene Großmutter. Offensichtlich ist das Kind jetzt allein. Jedenfalls wird Roman bald nach der Beerdigung im Lieferwagen eines Schleusers versteckt, der ihn gegen Bezahlung nach Deutschland zu seiner als Pflegerin arbeitenden Mutter Oksana (Maria Bruni) bringen soll.

Nur ein schmaler Sehschlitz verbindet die ängstliche, illegale „Menschenfracht“ mit der vorbeiziehenden Welt draußen. Der kleine Roman ist im Film „Rivale“ ein Gefangener, dessen Isolation sich im fremden Land nicht nur bestätigt, sondern sich noch verschärfen wird.

Aus der Perspektive des Kindes

Neben den realen Ereignissen seiner sehr reduzierten, kammerspielartigen Geschichte etabliert Marcus Lenz in seinem Film „Rivale“ von Anfang an eine symbolische Ordnung. Diese verhandelt Motive der Gefangenschaft, einer gestörten Kommunikation und zunehmender Verwilderung im Spannungsfeld von Heimat und Fremde, Vertrauen und Furcht, wobei eine realistische Alltagsbeschreibung mit ihren sozialen Aspekten eher in den Hintergrund tritt. Dafür gewinnen surreale Passagen in Form von Alpträumen und Eskapismen an Gewicht. Wie sich überhaupt die äußere Welt immer mehr in eine innere Seelenlandschaft verwandelt, die konsequent aus der Perspektive des Kindes erzählt wird.

Nach der Ankunft bei seiner geliebten Mutter, die für den Jungen der einzige Halt ist, muss Roman feststellen, dass diese offensichtlich ein Verhältnis zu dem Witwer Gert (Udo Samel) unterhält. Zuvor hatte Oksana dessen kranke Frau gepflegt. Jetzt hofft sie, durch eine Heirat mit dem älteren, an Diabetes leidenden Gert ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland zu legalisieren. Roman reagiert darauf verstört und mit heftiger Abwehr. Etwas vordergründig und plakativ kontrastiert Marcus Lenz dabei die gleichsam symbiotische Mutter-Kind-Liebe mit einer kleinbürgerlichen deutschen Ordnung, deren Gefängnischarakter überdies mit allerhand Absonderlichkeiten und bizarren Spleens angereichert wird.

Auch wenn Gert als Ersatzvater immer wieder um Normalität bemüht ist und auf den Jungen zugeht, verwandelt sich ihr gestörtes Verhältnis und mit ihm der Film in einen sukzessiven Psychohorrortrip. An dessen Ende bewegt sich Roman in einer Mischung aus Krieger und wildem Tier durch einen dunklen deutschen Wald. Indem er die Isolation zu einer vagen Freiheit hin durchbricht, scheint er auch die verbliebenen Reste der Zivilisation abzustreifen.

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