Literatur

Der gerechte Zorn des Kleinkünstlers

Von 
Waltraud Brunst
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Parodist, Kabarettist und Autor Mathias Richling rechnet in seinem neuen Buch „Das Virus Demokratie?“ mit den Begleiterscheinungen der Pandemie ab. © Büro MR

Warum nennt Mathias Richling sein jüngstes Buch „Das Virus Demokratie? Eine Abschätzung“? Das erhellt sich zunächst aus den reich gegliederten Kapitelüberschriften, die ihrerseits wie ein Drama aufgebaut sind: Prolog und Vorspiel, Akt 1 bis 5 und Epilog. Mit der Lektüre der 55 Einzelüberschriften weiß nicht nur der intime Richling-Kenner, was ihm auf den 250 Seiten blüht: eine monothematische Abrechnung mit der Corona-Pandemie und ihren mehrheitlich haarsträubenden Begleiterscheinungen. Das ist zum Teil hoch-seriöse, sauber recherchierte Journalistenarbeit, etwa in den sechs Originalinterviews, die er brav mit Ross und Reiter nennt.

Das doppelte Divertimento bieten freilich die fiktiven (potenziellen, imaginablen oder ungedachten) Redeprotokolle, für die der geniale Imitator Richling auch optisch in die Rollen von Lothar Wieler, Friedrich Merz, Saskia Esken, Ursula von der Leyen, Donald Trump, Andreas Gabalier oder Karl Lauterbach (!) schlüpft. Dass Richling mit seinem unsäglichen schwäbischen Zungenschlag viel authentischer wirkt als der „Minischderpräsident“ Winfried Kretschmann selbst, ist in Kleinkunstkreisen ein offenes Geheimnis.

Was dem Sprachfetischisten Richling, mittlerweile 68, an originellen Überschriften einfällt - à la bonne heure! „Vierzig Jahre Grüne und kein bisschen Klima“, „Kinder an die Macht oder auf die Straße?“, „Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“ oder „Höre nicht zu, wenn du bereits kommentiert hast!“ - das muss einem erst mal einfallen…

Virologen und Schlagerhelden

Für Karl Lauterbach, den in Talkshows omnipräsenten SPD-Virologen, scheint Richling eine leise Sympathie zu hegen, wohl weil dessen eigene Partei ihm lange keinen Ministerposten angeboten hatte und sich dennoch im Glanze seines Sachverstands sonnte. Im Übrigen verzichtet der Berufsspötter hinsichtlich der eingangs erwähnten „haarsträubenden Begleiterscheinungen“ der Krise erstaunlich oft auf den erigierten Zeigefinger. Er begnügt sich vielmehr mit Zitaten aus aparten Lockdown-Gesetzen, wonach es etwa im Frühling 2021 eine Sperrstunde gab, in der man von 22 bis 24 Uhr zwar joggen, aber nicht allein Auto fahren durfte. Im Kapitel über „den“ Wendler, einen deutschen Schlagerhelden, spricht Richling einen bemerkenswerten Satz aus: Wer mittags nur Zeit hat für Fast Food und Softdrinks, hat am Wahlsonntag auch nur Zeit für die AfD.

In dem gescheiten „Interview 4 zu Fragen nach Fragen“ mit Michael Pohl in der „Augsburger Allgemeinen“ am 11. März 2021 rechnet Richling mit seinem grünen Landesvater Kretschmann ab. Hat jener doch Kunst und Kultur als „Freizeitbeschäftigungen“ bezeichnet. Das, so Richling, haben Operndirektoren, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Choreografen, Kabarettisten zu Recht schon als beleidigende Herabsetzung empfunden. (Aufs modische Gendern hat er übrigens in einem gerechten Zorn verzichtet.) Auf die Schlussfrage „Wann hoffen Sie, wieder Bühnenbretter unter den Füßen zu haben?“, antwortet er mit leichter Süffisanz: „Fragen Sie Frau Merkel, aber erwarten Sie keine Antwort!“

Mathias Richling "Das Virus Demokratie?" Westend Verlag, 20 ...

Mathias Richling "Das Virus Demokratie?" Westend Verlag, 20 Euro

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