Literatur

Poetische Abenteuer der Nobelpreisträgerin Louise Glück

Als die US-amerikanische Autorin Louise Glück 2020 den Literaturnobelpreis erhielt, war sie in Deutschland kaum bekannt. Nach und nach werden ihre Werke jetzt übersetzt. Neu erschienen ist jetzt das Buch "Treue und edle Nacht"

Von 
Frank Dietschreit
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Die Werke von Nobelpreisträgerin Louise Glück werden nach und nach ins Deutsche übertragen, so auch „Treue und edle Nacht“. © Robin Marchant/Getty Images/AFP

„Eines Nachts, ich schlief schon fast, wurde mir klar, / dass ich abgeschlossen hatte mit den amourösen Abenteuern, / denen ich lange verfallen war.“ Abgeschlossen mit der Liebe?, fragt sich die Dichterin ratlos, und ihr Herz beginnt zu rasen. Warten nicht, auch wenn sie bereits auf ein langes Leben und viele Gedichtbände zurück blicken kann, noch viele große Entdeckungen auf sie?

Doch ihre Ängste spielen verrückt, verfolgen sie auch in den kommenden Nächten, legen ihr nahe, weitere Leidenschaften für immer beiseite zu legen, sogar das Dichten solle sie einstellen: „Und jede Nacht erwehrte sich mein Herz / seiner Zukunft wie ein kleines Kind, dem man sein liebstes Spielzeug nimmt.“ Abschiede, erkennt sie, sind der Lauf der Dinge, und können einen neuen, weiten Raum eröffnen: „Und mit jedem Satz wurde ich / zum glorreichen Ritter, der in die untergehende Sonne reitet, und mein Herz / wurde unter mir zu meinem Ross.“

Louise Glück erhielt 2020 den Literaturnobelpreis

Als die US-amerikanische Autorin Louise Glück 2020 den Literaturnobelpreis erhielt, war die Verwunderung hierzulande ziemlich groß. Kaum jemand kannte die zurückgezogen lebende Dichterin, ihre Gedichtbände waren vergriffen oder noch nicht übersetzt. Das wird jetzt nachgeholt. Nach „Winterrezepte aus dem Kollektiv“ hat Uta Gosmann nun auch für die Lyriksammlung „Treue und edle Nacht“ die passenden deutschen Worte gefunden.

Den Nobelpreis erhielt die 1943 in New York geborene Louise Glück „für ihre unverkennbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht“. Wer sich von der Wahrheit dieser Einschätzung und der Wahrhaftigkeit der lyrischen Stimme überzeugen möchte, die stets vom Ich zum Wir blickt und die persönlichen Empfindungen in gesellschaftliche Zusammenhänge überführt, findet in dem poetischen Schmuckkasten reichlich Stoff.

Glück erinnert sich in einem Gedicht an ihre verstorbene Schwester

„Ein Abenteuer“ heißt das Gedicht, in dem Louise Glück von Abschied und Aufbruch, von melancholischen Zweifeln und nie endender Sehnsucht träumt und gedanklich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft irrlichtert. Sie erinnert sich an ihre früh verstorbene Schwester und die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, erzählt von traumatischen Stunden auf der Couch ihres Psychoanalytikers, reist zurück in ihre Kindheit und imaginiert einen Bruder, der nachts im Licht der Taschenlampe ein Buch liest, das er „die treue und edle Nacht nannte“: Es war, erinnert sich die Dichterin, „eine Nacht vor langer Zeit, ein See aus Dunkelheit, aus dem / ein Stein ragte, und aus dem Stein / wuchs ein Schwert.“

Mystische Vergangenheit und märchenhafte Gegenwart vermischen sich in einer Poesie der assoziativen Zeitsprünge und abenteuerlichen Erlebniswelten. Gelegentlich mischt die Dichterin seltsam versponnene und hellsichtige Erzähl-Fragmente unter ihre Gedichte, einmal eine kindlich-naive „Utopie“, ein anderes Mal eine altersweise „Erkenntnistheorie“, vermittelt durch eine Wahrsagerin, die ihr einst aus der Hand las: „Große Dinge, sagte sie, liegen vor dir oder vielleicht hinter dir; man weiß es nicht genau. Doch würde das, fügte sie hinzu, einen Unterschied machen? In diesem Augenblick bist du ein Kind, das die Hand der Wahrsagerin hält. Alles andere ist Hypothese und Traum.“

L. Glück: „Treue und edle Nacht.“ Luchterhand. 158 S., 18 Euro.

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